Zunächst muss geklärt werden, worin der Hauptunterschied zwischen einem tropischen [oder auch arktischen!] Wirbelsturm und einem Sturmwirbel der Westwindzone besteht. Ersterer bezieht seine Energie aus dem vertikalen Temperaturgradienten zwischen Boden und Höhe. Nimmt die Temperatur besonders stark mit der Höhe ab, sprechen die Meteorologen von einer labil geschichteten Atmosphäre. Sind gleichzeitig auch hohe Mengen an Feuchtigkeit in der Luft, bilden sich dabei große Gewittercluster, die sich u. U. Zu einem Wirbelsturm entwickeln. Horizontal befindet sich das Gebilde dann in einem ausgeglichenen Temperaturfeld ohne Gegensätze. Man spricht von einem „Labilitätswirbel“. Ausschließlich von Bedeutung ist dabei aber der vertikale Temperaturgegensatz. Dieser kann im Winter aber auch über eisfreien Meeresgebieten der Arktis sehr groß werden, wenn nämlich ein Kaltluftkörper aus dem Inneren der Arktis auf das offene Wasser zieht. Dann gibt es auch dort Labilitätswirbel, die man „Polartief“ nennt. Die viel treffendere Bezeichnung „arktischer Wirbelsturm“ hat sich bisher aber nicht durchgesetzt. Wer mehr dazu wissen will, kann nach dem Suchbegriff „Polartief“ googeln. Es ist jedenfalls ein nicht auszurottendes Ammenmärchen, dass die „Wassertemperatur mindestens 26°C betragen muss“.

Ein Sturm- oder Orkanwirbel der gemäßigten Breiten bezieht seine Energie aus dem horizontalen Temperaturgegensatz zwischen niedrigen und hohen Breiten. Sie weisen eine warme Vorder- und kalte Rückseite auf. Deren Zentrum ist mit hochreichend kalter Luft angefüllt, während ein Wirbelsturm durch die Massen an freiwerdender latenter Wärme einen warmen Kern aufweist.

Nun zurück zum Hurrikan Ophelia. Seine Zugbahn nach Norden bis Nordosten ist in der Tat sehr ungewöhnlich. Häufiger kommt es vor, dass ein Hurrikan, wenn er sich in dem erwähnten Seegebiet gebildet hat, nach Westen Richtung Nordamerika zieht, dann nach Norden einbiegt und sich bei günstiger Lage relativ zu den Wetterphänomenen der Westwindzone in eine außertropische Zyklone umwandelt. Der Hurrikan Ophelia hat aber, salopp gesagt, die Abkürzung genommen und ist gleich nach Norden gezogen und hat sich dabei ebenfalls umgewandelt. Was aber heißt „umwandeln“?

Es heißt, dass sich aus einem Wirbelsturm, also einem Zyklon mit einem warmen Kern in einem ausgeglichenen horizontalen Temperaturfeld ein Sturmwirbel, also eine Zyklone mit kaltem Kern entwickelt. Eine sehr gute theoretische Beschreibung, auch mit praktischen Beispielen, findet sich hier.

Der Hurrikan Ophelia nun hat diese Entwicklung ebenfalls durchlaufen. Hier folgt eine Reihe von Abbildungen, die diesen Übergang dokumentieren.

Die Satellitenbilder zeigen den Ablauf alle 6 Stunden. Die Karten zeigen 12-stündig die Lage im 850-hPa-Niveau (Mitte) und im 500-hPa-Niveau (rechts).

[Hinweis: Alle Zeitangaben erfolgen hier in UTC. Dabei gilt MESZ = UTC plus 2 Stunden. Die Quelle aller Satellitenbilder ist der Verein Berliner Wetterkarte e. V. Quelle der Grafiken ist die Wetterzentrale.de.]

Abb. 1 vom 15. 10. 2017, 00/01.30 UTC: Im Satellitenbild ist am linken Bildrand Ophelia noch eindeutig als Hurrikan erkennbar, vor allem dank des ausgeprägten ,Auges‘ (ganz links im Bild). Im 850-hPa-Niveau zeigt sich der horizontale Temperaturgegensatz eines Kurzwellentroges der Westwindzone weit nordwestlich des Wirbels.

Abb. 2: Auch um 06 UTC zeigt sich im Satellitenbild die Wirbelsturm-Struktur, doch kommt der Sturm jetzt in Kontakt mit der Bewölkung vorderseitig des Kurzwellentroges.

Abb. 3 vom 15. 10. 2017, 12 UTC: Der Beginn der Umwandlung (Transition) in eine außertropische Zyklone ist jetzt im Gange: rudimentär ist das Auge noch erkennbar, aber die Wolkenformation ist bereits integraler Bestandteil des Wolkenbandes der Westwindzone. Im 850-hPa-Niveau zeigt sich der Sturm bereits im Bereich des horizontalen Temperaturgegensatzes der Westwindzone.

Abb. 4: Das Satellitenbild von 18 UTC zeigt, dass Ophelia seine tropischen Eigenschaften immer mehr verliert. Die Kaltluft macht sich auf den Weg in das Zentrum von Ophelia. Ein Auge ist dabei nicht mehr zu erkennen.

Abb. 5 vom 16. 10. 2017, 00 UTC: Der Übergang in eine außertropische Zyklone ist abgeschlossen. Das Satellitenbild zeigt die eindeutige Struktur einer außertropischen Sturmzyklone. Im 850-hPa-Niveau weist diese jetzt einen kalten Kern auf, auch im 500 hPa-Niveau hat sich das Geopotential im Bereich von Ophelia deutlich erniedrigt. Der Sturm müsste jetzt korrekt als ,Ex-Hurrikan Ophelia‘ bezeichnet werden.

WICHTIG: Bereits zu diesem Zeitpunkt, also vor dem Übergreifen auf Irland, war Ophelia kein Hurrikan mehr! Natürlich hört man es in den Medien ganz anders – sonst wäre es ja keine Sensation!

Der Vollständigkeit halber hier noch die folgende Abbildung:

Abb. 6: Die Struktur unterscheidet sich in nichts mehr von einem ,normalen‘ außertropischen Orkantief. Die mitgeführte Warmluft ist zu diesem Zeitpunkt ,verbraucht‘, d. h. fast vollständig dynamisch gehoben, so dass sich der Wirbel nun stark abschwächt.

Die höchsten aufgetretenen Windgeschwindigkeiten in den Böen (km/h) zeigt diese Grafik:

Fazit: Der Sturm Ophelia ist lediglich hinsichtlich des Verlaufes seiner Entwicklung recht ungewöhnlich, in keiner Weise aber hinsichtlich seiner Auswirkungen. Winterliche Orkane sind in ganz West- und Mitteleuropa an der Jahresordnung, und es wäre schon sehr ungewöhnlich, wenn im kommenden Winter kein solches Gebilde mehr auftreten würde.

Der Weihnachtsorkan Lothar im Jahre 1999 wies in Süddeutschland deutlich höhere Windgeschwindigkeiten auf, vor allem auf den Bergen. Und die Windspitzen der Hurrikane Irma und Maria in der Karibik dürfte nochmals erheblich stärker, vielleicht sogar doppelt so hoch ausgefallen sein.

Aber auch wenn Ophelia beim Auftreffen auf Irland ein durch und durch baroklines [d. h. im Bereich eines horizontalen Temperaturgegensatzes liegendes] Gebilde war, so kam der Sturm doch immer noch mit außerordentlich hohem Luftdruckgradient daher. Die Ursache für diese starke Entwicklung ist Folgende:

Auf der Vorderseite eines progressiv (= sich nach Osten verlagernden) Kurzwellentroges wird die dort liegende Warmluft dynamisch gehoben. Dieser Vorgang passiert täglich mehrmals das ganze Jahr über. Entscheidend für die Stärke der Entwicklung ist u. A. der Temperaturgegensatz zwischen Warm- und Kaltluft. Hierbei ist aber zu beachten, dass nicht nur die fühlbare, sondern auch die latente Temperatur der Warmluft eine Rolle spielt. Um beide Größen zu kombinieren, fasst man sie zur sog. ,pseudopotentiellen Temperatur‘ zusammen. Diese gibt einen viel besseren Einblick in den tatsächlichen Temperaturgegensatz.

Ein tropisches Wettersystem nun setzt viel mehr latente Wärme um als ein ,normaler‘ Warmluftkörper auf einer Trogvorderseite. Die pseudopotentielle Temperatur in einem Hurrikan ist also deutlich höher und stellt einen massiven zusätzlichen Energieimpuls dar. Gelangt ein solcher ,Super-Warmluftkörper‘ auf die Vorderseite eines Kurzwellentroges, sind die Hebungsvorgänge ungleich intensiver als bei einem ,normalen‘ Warmluftkörper.

Genau dies war hier auch der Fall. Irland ist also von einem besonders starken, wenn auch kleinräumigem Orkantief heimgesucht worden, aber nicht von einem Hurrikan!

Zu befürchten ist, dass bei weiterer Erdabkühlung und dem damit verbundenen steigenden horizontalen Temperaturgegensatz zwischen niedrigen und hohen Breiten die Anzahl und Stärke winterlicher Orkanwirbel sukzessive zunimmt.

Zum Schluss: Eine gute Zusammenfassung der Entwicklung des Sturmes Ophelia gibt es in der ,Übersicht‘ zur Berliner Wetterkarte vom 16.10.2017:

Der Hurrikan OPHELIA, der gestern früh mit maximalen mittleren Windgeschwindigkeiten von 100 Knoten als sogenannter Major-Hurrikan in die Kategorie 3 eingestuft wurde und südöstlich der Inselgruppe der Azoren lag, wandelte sich bis heute früh auf seinem Weg nach Norden in ein außertropisches Tief um. Damit war OPHELIA der östlichste Hurrikan auf dem Nordatlantik seit 1851, der in die Kategorie 3 eingestuft wurde. Im gestrigen Tagesverlauf stieg der Kerndruck vorübergehend etwas an, ehe sich heute Morgen wieder eine Verstärkung ergab. Um 06 UTC lag ex-OPHELIA mit seinem Kern direkt südwestlich von Irland und einem Kerndruck von 958 hPa. Das zugehörige Orkanfeld griff ab dem späteren Vormittag auf Irland über. Um 10 UTC wurden am Roches Point südlich von Cork mittlere Windgeschwindigkeiten von 93 km/h (Windstärke 10) und maximale Böen bis 130 km/h gemessen. In Cork gab es zu diesem Zeitpunkt Orkanböen bis 122 km/h. Bis 11 UTC legte der Wind noch weiter zu, so dass am Roches Point nun Spitzenböen bis 156 km/h auftraten. Entsprechend wurde von den Wetterdiensten in Irland die höchste Warnstufe ausgerufen.

© Hans-Dieter Schmidt, Oktober 2017

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