Woher kommt der Strom? Zwischen den Jahren

Auch das Jahr 2019 hat einige Überraschungen gebracht. Der Strombedarf ist gesunken (Abbildung, bitte unbedingt anklicken. Alle weiteren Abbildungen und Mehr werden geöffnet); der CO2-Ausstoß ebenfalls (Abbildung 1). Das Klimaziel 2020 (40 Prozent weniger CO2 als 1990) rückt mit aktuell 35% in scheinbar erreichbare Nähe. Doch mit der Abschaltung des Kernkraftwerks Philippsburg 2 fällt ein CO2-freier Stromerzeuger. Der Ersatz dieses Stroms ist entweder CO2-belastet. Oder es wird Atomstrom aus Frankreich importiert. Im Jahr 2019 war es die Strommenge eines Kernkraftwerks. Ok, da hätte man Philippsburg auch am Netz lassen können. Wenigstens so lange, bis die Stromversorgung Deutschland durch erneuerbare Energieträger gesichert scheint. Doch nein, Ideologie geht vor. Klimaschutz spielt da dann keine Rolle mehr.

Sie haben sicher bemerkt, dass sich meine Argumentation im Rahmen der angeblichen Möglichkeit bewegte, versorgungssichere Stromversorgung allein beziehungsweise durch einen Großteil Strom, erzeugt durch erneuerbare Energieträger, bereitzustellen. Das aber ist praktisch unmöglich. Die Strommenge, die täglich, stündlich, minütlich in Deutschland benötigt wird, ist gewaltig. So gewaltig, dass der Ersatz nicht zur Verfügung stehenden Wind- und/oder Sonnenstroms praktisch ohne ein konventionelles Gas-Backup unmöglich ist.

Chemische Speicher, Pumpwasserspeicher und auch sogenannte virtuelle Speicher reichen bei weitem nicht aus, um den fehlenden Strom zu ersetzen. Als Sicherungsmaßnahme ist – schon immer – die Regelenergie, ich nenne sie erweitert „Netzausregelungsreserve“ vorgesehen. Sie dient dazu, bei unvorhergesehenen Ereignissen das Stromnetz stabil zu halten. Die Frequenz von 50 Hertz darf praktisch weder unter- noch überschritten werden. Mehr dazu finden unter Abbildung 2.

Hinzu kommt, dass eine Speicherung „überschüssigen“ erneuerbar erzeugten Stroms (= Strom der aktuell zur Bedarfsdeckung nicht benötigt wird) allein deshalb unmöglich ist, weil es diesen in Deutschland noch nie gegeben hat (Abbildung 3). Erzeugter Strom über Bedarf ist immer konventionell erzeugter Strom, der wegen – meist plötzlichen – starken Ansteigens der Windstromproduktion nicht schnell genug heruntergefahren werden kann oder aber gar nicht soll, weil der „Windstromberg“ genauso schnell verschwinden kann, wie er gekommen ist (Abbildung 4). Man weiß es halt nicht so genau, man ist auf Schätzungen, man ist auf Spekulation angewiesen. Diese Begriffe stehen einer wirtschaftlichen und sicheren Stromversorgung diametral gegenüber. Unerwartete Stromüberschussproduktion wird in aller Regel zu günstigen Preisen ins benachbarte Ausland abverkauft. Die Strombörse reagiert sofort, wenn zu viel, kaum benötigter Strom im Markt ist. Der Preis fällt.

Praktische Gleichzeitigkeit

Eine wesentliche Besonderheit der Stromerzeugung ist das, was ich „praktische Gleichzeitigkeit“ nenne. Strom ist ein sekundärer Energieträger. Das bedeutet, dass Strom in der Natur in einer für Menschen nutzbaren Form nicht vorkommt. Der Energieträger Strom wird durch Kraftwerke nur dann erzeugt, muss genau in dem Augenblick erzeugt werden, wenn er benötigt wird. Genau in dem Moment, wenn eine – fachlich – Stromsenke, umgangssprachlich ein Stromverbraucher angeschlossen oder angeschaltet wird, also eine Lampe, ein Elektromotor, eine Maschine und, und, und, genau dann, wenn elektrisch übertragene Energie benötigt wird, genau in diesem Moment wird der Strom, der die benötigte Energie überträgt, im Kraftwerk erzeugt. Ein komplexer Vorgang, der hier nicht weiter behandelt werden soll. Dies ist kein Elektrotechnikseminar. Nur noch so viel: Der Strom wird nicht verbraucht. Die Energie sowieso nicht. Es finden hochkomplexe Umwandlungsprozesse statt. Der Strom fließt zurück zum Kraftwerk, die übertragene Energie wird vom „Stromverbraucher“ genutzt und dabei zum Beispiel in Wärme, Licht oder Bewegung umgewandelt. Ein Teil geht als für den Menschen nicht nutzbare Energie „verloren“. Meist in Form von Wärme. Kurz und gut und noch einmal: Der Energieträger Strom wird genau dann erzeugt, wenn die Energie benötigt wird. Dies ist in einem gewissen Umfang in einem hoch industrialisierten und zivilisierten Land wie Deutschland praktisch immer der Fall. Das nennt man Grundlast. Die muss rund um die Uhr bereitgestellt werden. Hinzu kommt bei zeitweise steigendem Bedarf die Mittellast, bei Spitzenbedarf die Spitzenlast, die kurzfristig zugesteuert werden kann und muss (Abbildung 5).

Es gibt mit den erneuerbaren Energieträgern Biomasse und Wasserkraft grundlastfähige Stromerzeugung. Da diese nicht ausreichend sind, ist mit der Kernkraft ein Energieträger für die Bereitstellung des grundlastfähigen Stroms zuständig, der bis Ende 2022 komplett aus dem Markt genommen werden soll. Das wird die Versorgungssicherheit Deutschlands weiter stark einschränken. Dass CO2-freier Strom in erheblichem Umfang wegfällt, dass dieser Strom vor allem durch Kohlestrom ersetzt werden wird, sei hier warnend angemerkt. Denn es geht bei der CO2-Reduktion ja angeblich um die Rettung der Welt. Da ist es meines Erachtens recht kleingeistig, die modernsten und sichersten Kernkraftwerke der Welt abzuschalten. Wind- und Sonnenkraftwerke sind nicht grundlastfähig, weil der Wind nicht regelmäßig weht, und die Sonne Solarpaneele unterschiedlich stark bescheint. Wenn sie denn scheint. Es gibt Stunden, Tage, manchmal auch Wochen, da kommt die Stromerzeugung mittels Wind- und Sonnenkraft fast komplett zum Erliegen. Da gingen ohne konventionelle Stromerzeugung schnell die Lichter aus. Auch das benachbarte Ausland benötigt in Wetterextremsituationen seinen Strom. Nun haben wir aktuell in Deutschland noch genügend konventionelle Stromerzeugung. Aber Achtung:

Jedes Abschalten eines dieser sicheren konventionellen Stromerzeuger führt zu einer Verringerung der Versorgungssicherheit. Im Fall des Abschaltens der Kernkraftwerke zusätzlich zu einer Erhöhung des CO2-Ausstoßes. 2019 hat Frankreich mehr als die Strommenge eines Kernkraftwerkes nach Deutschland/Baden-Württemberg geliefert (Abbildung 6). Vielleicht wird es 2020 die Strommenge zweier Kernkraftwerke. Ganz sicher aber ab 2023 nicht die Strommenge, die 7 Kernkraftwerke erzeugen. Ebenso sicher ist, dass Wind- und Sonnenkraftwerke den Stromverlust der abgeschalteten Kernkraftwerke nicht ausgleichen werden (Abbildung 7). Also wird es Kohle- und/oder Gasstrom sein, der benötigt wird. Kohlekraftwerke sollen allerdings ebenfalls wegfallen. Bis 2023 eine installierte Leistung von 12,5 GW. von 42,5 GW. Das Ziel: Die Komplettabschaltung im Jahr 2038, für besonders „progressive Weltenretter“ sogar das Jahr 2030. Da frage ich mal ganz naiv, was für Dummköpfe hier in Deutschland für die Energiepolitik verantwortlich sind. Oder will man staatsstreichartig von einer sicheren, bedarfsorientierten Stromversorgung in eine Zuteilungsversorgung einschwenken? Erzeugter Strom wird verteilt. Ist nicht genügend Stromerzeugung möglich, muss der Stromnutzer halt warten oder verzichten.

Ein schwarzer Kasten namens „Stromzähler“

Installierte Leistung, auch Nennleistung, ist der Begriff für die Menge Strom, die ein Kraftwerk in einer Stunde bei Volllast produzieren kann. Eine Gigawattstunde (GWh)/Stunde. Nun kann die Stunde gekürzt werden. Da bleiben Gigawatt (GW). Genau deswegen ist die Bezeichnung in den Agora-Charts = GW. Dort ist die Strommenge angegeben, die pro Stunde produziert wird. Das hat den Vorteil, dass man sofort sehen kann, welche installierte Leistung die benötigte Strommenge mindestens erfordert.

Wenn man wissen will, wieviel Strom ein Kraftwerk pro Jahr unter Volllast, also jeden Tag des Jahres, 24 Stunden lang, produzieren könnte, muss die installierte Leistung mit 8.760 Stunden multipliziert werden. Der so ermittelte Wert wird mit Wattstunden (Wh), Kilowattstunden (KWh), Megawattstunden (MWh), Gigawattstunden (GWh), Terawattstunden (TWh) benannt. Mehr dazu unter Abbildung 8.

Auch wenn der schwarze Kasten bei Ihnen zu Hause „Stromzähler“ genannt wird. Strom wird nicht gezählt, sondern gemessen. Die gemessene Strommenge wird in aller Regel in Kilowattstunden (KWh) ausgeworfen 3.000 KWh entspricht 3 MWh. Jetzt die installierte Leistung:

Ein (Wind-) Kraftwerk mit einer installierten Leistung von 3 MW kann theoretisch eine Strommenge von 3.000.000 x 8.760 Stunden = 26.280.000.000 Wh = 26.280.000 KWh = 26.280 MWh = 26,280 GWh liefern. Ein Kraftwerk produziert aber niemals rund um die Uhr ein Jahr lang. Konventionelle Kraftwerke müssen z.B. gewartet werden, Wind- und Sonnenkraftwerke müssen darüber hinaus warten, bis der Energieträger Wind und Sonne zur Verfügung steht. Das Verhältnis von installierter Leistung (Nennleistung) und tatsächlich produziertem Strom ist deshalb sehr aussagekräftig bezüglich der Wirtschaftlichkeit des Kraftwerks, der Kraftwerksgruppe. Abbildung 9 zeigt sehr eindrucksvoll, dass das Verhältnis bei der Wind- und Sonnenstromerzeugung höchst unzureichend ist. Wenn man bedenkt, dass nahezu 100% des zur Verfügung stehenden Energieträgers Wind- und Sonnenkraft von den installierten Wind- und Sonnenkraftwerken genutzt werden, ist das Ergebnis doch ernüchternd. Der Energieträger Gas weist ebenfalls ein relativ ungünstiges Verhältnis auf. Das liegt aber nur daran, dass es – aus welchen Gründen auch immer – gewollt ist, dass nicht mehr Strom aus Gas erzeugt wird. Es wäre jederzeit möglich, die Gasstromproduktion hochzufahren. Bei der Wind- und Sonnenstromerzeugung ist das durchaus nicht der Fall. Da liegt die Begrenzung in der Natur der Sache. Mehr geht nicht. Das birgt eine gewisse Tragik: Will man mehr Strom aus Wind- und Sonnenkraft haben, dann müssen immer mehr Wind- und Sonnenkraftwerke gebaut werden. Sobald aber der Wind kaum weht, die Sonne nicht auf die Solarpaneele scheint, wird trotz noch so vieler Wind- und Sonnenkraftwerke kaum, im schlimmsten Fall auch gar kein Strom erzeugt.

Aus diesem Grund funktionieren die Investments in Wind- oder Sonnen„parks“ auch nur dann, wenn ein solventer Garantiegeber einen wirtschaftlichen Ertrag garantiert. In Deutschland ist es der Steuerzahler, der Stromkunde, der noch geduldig die – auch deshalb – höchsten Strompreise in Europa erträgt. Wäre das nicht der Fall, würde sich niemand, der auch nur die Grundrechenarten und den Dreisatz beherrscht, an Wind- oder Sonnenkraftwerken beteiligen oder sich Solarpaneele auf das Dach montieren lassen.

Ordnen Sie Deutschlands CO2-Ausstoß in den Weltmaßstab ein. Zum interaktiven CO2-Rechner: Hier klicken.

Noch Fragen? Ergänzungen? Fehler entdeckt? Bitte Leserpost schreiben. Oder direkt an mich persönlich: stromwoher@mediagnose.de. Alle Berechnungen und Schätzungen durch Rüdiger Stobbe nach bestem Wissen und Gewissen, aber ohne Gewähr. Die bisherigen Artikel der Kolumne Woher kommt der Strom? mit jeweils einer kurzen Inhaltserläuterung finden Sie hier.

 

Mit freundlicher Genehmigung. Zuerst erschienen auf der Achse des Guten.

Rüdiger Stobbe betreibt seit über 3 Jahren den Politikblog www.mediagnose.de.

 




Woher kommt der Strom? Ein Ingenieur zum Abschalt-Wahnsinn

Agorameter

Die Anpassung der konventionellen Stromerzeugung an die mit Vorrang einzuspeisenden Stromanteile aus erneuerbaren Energieträgern gestaltet sich schwierig. Zum Teil ist diese Anpassung so unzureichend, dass Strom in erheblichem Umfang hochpreisig importiert werden muss, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Gnade uns der Energiegott, wenn unsere Nachbarn ihren Strom bei über einen längeren Zeitraum sehr kalten, dunklen und windstillen Wetterverhältnissen selbst benötigen. Die Strompreise für den Im- und Export finden Sie nach Ländern aufgeschlüsselt hier. Gehen Sie mit der Maus mal über die diversen Bereichen und schauen Sie sich mal an, wie Strompreise aussehen, wenn Frankreich oder die Schweiz Strom nach Deutschland exportieren oder aus Deutschland importieren. Erkennen Sie ein Muster?

Die Detailzahlen zur Stromerzeugung der letzten 10 Tage des Jahres 2019 finden Sie in dieser Tabelle mit den Werten der Energy-Charts und dem daraus generierten Chart.

Die Tagesanalysen

Sonntag, 22.12.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 52,14 Prozent

Der bedarfsarme Sonntag weist eine recht ordentliche = über dem Durchschnitt liegende, gleichmäßige Windstromerzeugung auf. Die kleine Winddelle über Tag wird durch Sonnenstrom ausgeglichen. Insgesamt ein ruhiger Tag mit niedrigen bis knapp unter der 40 € pro MWh Grenze liegenden Strompreisen. Für die konventionellen Stromerzeuger ist es heute gut möglich, den Strom an die volatile Stromerzeugung anzupassen.

Montag, 23.12.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 60,00 Prozent

Der erste Werktag der Woche zeigt im Prinzip das gleiche Bild wie der Sonntag. Etwas mehr Bedarf – es ist die Weihnachtswoche -, aber auch etwas mehr Windstromerzeugung. Die konventionellen Stromerzeuger können sich wieder gut anpassen. Dennoch ist in der Nacht, dem frühen Morgen zu viel Strom im Markt. Der muss zum Teil mit Bonus verschenkt werden. Dem Wind ist es gleich, ob Strom benötigt wird oder nicht. Und einfach mal so auf gut Glück die konventionelle Stromerzeugung runterfahren? Besser nicht, oder? Über Tag erholen sich die Preise.

Dienstag, 24.12.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 56,78 Prozent

Der Heilige Abend: Wenig Strombedarf und eine zurückgehende Windstromerzeugung führen zu einem annähernd gleichen Im-/Exportbild wie am Montag. In der Nacht wird Strom mit Bonus verschenkt. Über Tag erholen sich die Preise. Die konventionellen Stromerzeuger erhöhen über Tag ihre Stromproduktion. Höchstpunkte sind jeweils der Mittag und der frühe Abend. Da, wo erfahrungsgemäß der meiste Strom des Tages benötigt wird.

Mittwoch, 25.12.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 48,04 Prozent

Der erste Weihnachtstag: Der Strombedarf sinkt. Die Windstromerzeugung onshore halbiert sich nahezu. Die konventionelle Stromerzeugung nimmt etwas zu. Dennoch ist die Stromversorgung Deutschlands auf Kante genäht. Wenn es so weitergeht, dann müssen die Konventionellen enorm zulegen. Oder …? Die Preise finden Sie hier.

Donnerstag, 26.12.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 36,17 Prozent

Der zweite Weihnachtstag: Es kam, wie es kommen musste. Die konventionelle Stromerzeugung verharrt auf dem bisherigen Niveau. Der Wind flaut hingegen ab. Fast Richtung Null. Ergebnis: Den ganzen Tag erzeugt Deutschland nicht genügend Strom, um den eigenen Bedarf zu decken. Folge: Strom muss importiert werden. Nun ist genügend Strom im Markt, so dass die Preise moderat sind. Vielleicht haben die konventionellen Stromerzeuger genau darauf spekuliert und von zusätzlicher Erzeugung abgesehen. Lesen Sie in diesem Zusammenhang: Hier klicken

Freitag, 27.12.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 32,69 Prozent

Wind- und Sonnenstromerzeugung verharren auf weiterhin niedrigem Niveau. Ab Mittag geht die Schere auseinander. Der Bedarf steigt, Wind und Sonnenstromerzeugung lassen nach. Die konventionelle Stromerzeugung zieht nicht genügend an. Jetzt muss Strom importiert werden, der teurer ist, als die Eigenerzeugung (Faustregel 40 € pro MWh) kosten würde. Locker verspekuliert. Von 11:00 Uhr bis 19:00 Uhr.

Samstag, 28.12.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 34,26 Prozent

Auch heute bleibt es bei geringer Wind- und Sonnenstromerzeugung. Auch heute muss Strom importiert werden. Allerdings in der meisten Zeit recht günstig. Wobei der Preisaspekt nur die eine Seite der Medaille ist. Die andere ist die „CO2-Ersparnis“. Nicht selbst produzierter, sondern importierter Kohlestrom bringt null CO2 auf das CO2-Konto Deutschlands. Wobei man sagen muss, dass sehr oft auch CO2-freier Atomstrom und Strom aus Wasserkraft importiert wird.

Sonntag, 29.12.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 49,14 Prozent

Die windarme Zeit ist vorbei! Die Stromversorgung durch die erneuerbaren Energieträger Wind- und Sonnenkraft zieht an. Fast den ganzen Tag – Ausnahme ganz früher Morgen – wird Strom exportiert. Zu nicht auskömmlichen Preisen.

Montag, 30.12.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 61,22 Prozent

Die Stromerzeugung durch Wind- und Sonnenkraft schlägt heute Kapriolen. Kurz vor Jahresende werden die konventionellen Stromerzeuger noch mal richtig gefordert. Bei allem guten Willen. Eine den Strompreis „schonende“ Nachführung ist kaum möglich. So ist den ganzen Tag zu viel Strom im Markt. Deutschland gibt ihn billig ab. Meistens unter 30 € pro MWh. 

Dienstag, 31.12.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 52,42 Prozent

Schockschwerenot: Der letzte Tag des Jahres 2019 wartet mit einem unerwarteten (?) Abfall der Wind- und Sonnenstromerzeugung ab 6:00 Uhr auf. Deutschland rutscht ab 16:00 Uhr in eine Stromunterversorgung. Diese wird durch Stromimporte bei Preisen mit bis zu knapp 48 € pro MWh ausgeglichen. Kommt es gleich zum Jahresanfang 2020 zu einer Flaute?

Selbstverständlich wird 2020 die Kolumne „Woher kommt der Strom?“ weitergeführt. Nächste Woche, am 12.1.2020, werden grundsätzliche Aspekte der Analysen erläutert und Verbesserungen der Anschaulichkeit vorgestellt. Am 19.1.2020 werden die Tagesanalysen der ersten und zweiten Woche = 1.1.2020 bis 11.1.2020 erscheinen. Die um eine Woche verzögerte Analyse bleibt notwendig, damit die verwendeten Werte der Energy-Charts vollständig und im möglichen Rahmen verlässlich sind. Sie kennen das aus der Vergangenheit.

Die ersten Gesamtdaten zur Stromerzeugung des Jahres 2019

Der BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. hat bereits eine Zusammenfassung mit den wichtigsten Stromerzeugungsdaten herausgegeben. Die Daten des Dokuments (Stand 12.12.2019) sind zwar in geringem Umfang hochgerechnet. Dennoch ergeben sich bereits einige wichtige Ergebnisse (Abbildung, bitte unbedingt anklicken, es öffnen sich alle weitere Abbildungen). Beachten Sie bitte, dass es sich um die Bruttodaten der Stromerzeugung Deutschlands handelt, und dass die Nettostromerzeugung beim BDEW anders definiert wird als beim Fraunhofer ISE (Abbildung 1), dessen Daten in dieser Kolumne analysiert werden. Die Differenz der Bruttostromerzeugung BDEW und Nettostromerzeugung Fraunhofer ISE beträgt etwa 90 TWh (Vergleiche Abbildung und Abbildung 2).

Es fällt auf, dass die Stromerzeugung, und damit wohl auch der Strombedarf 2019 gesunken ist. Eine weiterführende Analyse wird im Verlauf der nächsten Wochen geliefert. Dann, wenn die Zahlen einigermaßen verlässlich vorliegen, weitere Recherchen erfolgt und Gespräche mit Experten geführt wurden. Ich möchte nochmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass die vorliegenden Werte auch im Nachhinein von der Wertegebern geändert/korrigiert werden (können). Eins ist allerdings sicher. Deutschland hat im Jahr 2019 aus Frankreich die Strommenge importiert (Abbildung 3), die ein Kernkraftwerk (KKW) bereitstellt. Im Jahr 2020 wird es wohl noch mehr Strom werden, der aus Frankreich importiert werden wird. Das KKW Philippsburg 2 wurde zum 1.1.2020 vom Netz genommen. Damit fehlen 11 TWh CO2-freier Strom in Baden-Württemberg.

Dass darin ein gewisser Widerspruch zur angeblich die Welt rettenden Klimapolitik der Bundesregierung und ihrer ideologisch-fanatischen Unterstützer liegt, merkt mittlerweile auch der ein oder andere Kommentator, der im öffentlich-rechtlichen Rundfunk seine Meinung verbreiten darf. Hören Sie sich an, was Burkhard Ewert, stellvertretender Chefredakteur der Neuen Osnabrücker Zeitung, am 4.1.2019 im Deutschlandfunk zu sagen hat (Abbildung 4). Es hat den Anschein, dass die Diskussion über den Einsatz von Kernkraft in Deutschland etwas an Fahrt gewinnen wird. Was auch Zeit wird. Denn Ende 2022 – in knapp zwei Jahren, was so gut wie „nichts“ ist – sollen Neckarwestheim (Abbildung 5), das letzte Kernkraftwerk in Baden-Württemberg, Gundremmingen C (Bayern) und Grohnde (Niedersachsen) vom Netz gehen (Abbildung 6). Damit verzichtet Deutschland auf weitere 34 TWh CO2-freien Strom pro Jahr. Allein um diese Strommenge im Durchschnitt auszugleichen, wären über 5.000 Windkraftanlagen à 3 MW Nennleistung nötig (Abbildung 7). Es wird weiteres wertvolles Vermögen vernichtet.

Brief eines Ingenieurs

Wie wertvoll und nutzbringend ein Kernkraftwerk, wie unsinnig dessen Abschaltung ist, davon verschafft der Brief eines Ingenieurs aus Baden-Württemberg einen Eindruck, den ich hier mit dessen Zustimmung veröffentliche:

Sehr geehrter Herr Stobbe,

ich teile Ihre Bedenken bezüglich der Energiewende und der daraus resultierenden Versorgungssicherheit.

Ich bin schon seit Teenager-Zeiten am Thema Stromversorgung interessiert und nutze selbst auf Urlaubsreisen die Gelegenheit, entsprechende Infrastruktur zu besichtigen und mich vor Ort zu informieren. So stand ich zum Beispiel schon in den 80-er Jahren als Student im Zuge einer Tour auf dem Whisky-Trail in Schottland direkt auf dem Reaktordeckel im damaligen Kernkraftwerk Dounreay, einem der wenigen so genannten Brutreaktoren.

In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen von einem Besuch im Kernkraftwerk Neckarwestheim (Baden-Württemberg) berichten. Der Betreiber EnBW hatte Anfang 2019 für diese Besichtigungen anlässlich der herannahenden offiziellen Abschaltung in einer Kundenzeitschrift geworben („letzte Gelegenheit“). Laut Aussage einer Mitarbeiterin haben sich entgegen der Erwartungen knapp über 1000 Bürger für solch eine Tour beworben. Kalkuliert wurde wohl mit lediglich 200.

Wie dem auch sein: Anfang Dezember durfte ich dann für insgesamt etwas über drei Stunden auf das AKW-Gelände, inkl. Maschinenhaus und Containment (Sicherheitsbehälter). Begonnen wurde die Tour im Info-Center mit einer 45-minütigen PowerPoint-Einführung, dann ging es zu Fuß in den „gesicherten“ Bereich. Interessanterweise wurde die gesamte Info-Veranstaltung samt Tour von ausschließlich weiblichem Personal durchgeführt. Erwartet hatte ich das genaue Gegenteil, ist doch Nuklearphysik und Ingenieurwesen nach wie vor eher Männerdomäne. Aber vielleicht ist das eine (durchaus geschickte) Marketing-Strategie des Betreibers. Die Damen haben jedenfalls einen super Job gemacht.

Hier ein paar für mich interessante Erkenntnisse:

# Aus Sicht eines im Bereich der IT-Industrie tätigen Ingenieurs ist so ein AKW im Großen und Ganzen eher „Low-Tech“. Super solider deutscher Maschinenbau und erstklassig robuste Elektrotechnik. Anhand der zahlreichen Typschilder ließ sich erkennen, dass viele große deutsche Konzerne am Bau in den 80er Jahren beteiligt waren: Siemens, Gutehoffnungshütte u.a.

# Alles wirkte äußerst solide und überdimensioniert, war exzellent beschriftet und ggf. zusätzlich farblich markiert. So gibt es zum Beispiel vier Notstromdiesel auf dem Gelände und ein weiteres mobiles Aggregat auf einem geländegängigen Tieflader einige km entfernt vom Kraftwerk, fahrbereit abgestellt in einer bombensicheren Garage.

# Die gesamte Anlage war sehr sauber. Insbesondere innerhalb des Containments hätte man überall vom Boden essen können. Eigentlich wirkte vieles wie neu. Das hat vermutlich auch damit zu tun, dass wie in der Luftfahrt üblich Bauteile regelmäßig getauscht werden.

# Obwohl alle wissen, dass spätestens 2022 abgeschaltet wird, laufen die zyklischen Erneuerungsarbeiten regulär weiter. Wenn das AKW dann demnächst abgeschaltet wird, wird teils fabrikneues Material entsorgt werden…

# Das AKW lief zum Besuchszeitpunkt unter Volllast: Knapp 1450 MW.

Eigentlich alles recht unspektakulär: Im Reaktorbehälter „brodelt“ im Verborgenen etwas – und heraus kommt knapp 400 Grad heißer Dampf unter Hochdruck, der dann, wie in jedem anderen thermischen Kraftwerk auch, die Turbine im Maschinenhaus antreibt. Dabei wird keinerlei CO2 produziert. Null Komma null CO2!

# Die aus Russland bezogenen Brennelemente, die grob geschätzt ungefähr das Volumen von einem halben Seefracht-Container haben, reichen im Prinzip fünf Jahre für die „Befeuerung“ des Wärme erzeugenden Kernprozesses. Ein Kohlekraftwerk benötigt für die gleiche Ausgangs-Leistung täglich ca. 100 Eisenbahn-Güterwaggons Kohle. Täglich!

# Das Kraftwerk versorgt knapp eine Million Haushalte im Raum Heilbronn und Stuttgart zzgl. diverser Industriekunden. 24/7, 365 Tage im Jahr seit 30 Jahren, nur durch die regelmäßigen geplanten Revisionen unterbrochen.

# Die drei größten Stromkunden seit Inbetriebnahme: 1. Audi, 2. Daimler, 3. Porsche. Alles Perlen unserer Industrie…

# Das gesamte Personal schien überaus hoch qualifiziert zu sein. Wir durften auch in den Leitstand blicken: Schichtführer – entweder studierter Maschinenbauer oder Elektrotechniker jeweils mit 3 Jahren Zusatzausbildung zum Beispiel in der Kraftwerksschule in Essen/NRW. Alle anderen im Leitstand ebenfalls hoch qualifiziert. Das gesamte Leitstand-Personal muss – wie die Piloten von Verkehrsflugzeugen – regelmäßig zu Simulator-Schulungen nach Essen.

# Nach dem Reaktorunfall in Fukuschima musste das AKW aufwändig „Tsunami-sicher“ umgebaut werden. Schließlich könnte jederzeit solch eine Monsterwelle den Neckar hoch kommen…

# Auf meine Frage, wie lange das Kraftwerk denn noch laufen könnte, wenn man es nicht gemäß politischer Entscheidung demnächst abschalten würde, lautete die Antwort: „Im Prinzip: Unendlich.“ 10-20 Jahre mindestens bei weiterhin moderaten Wartungskosten.

# Nach dem offiziellen Ende der informativen Veranstaltung wurde von den Mitarbeitern (im kleinen Kreis/betont inoffiziell) noch die Warnung ausgesprochen, dass mit dem Abschalten der AKWs in Philippsburg und Neckarwestheim eine massive Stromlücke in Baden-Württemberg entstehen würde und aktuell eigentlich „keiner wisse, wo der Strom herkommen soll.“

Auf der Heimfahrt musste ich denken:

Was ist das für ein Irrenhaus hier in diesem Land. Da steht eine voll funktionsfähige, Milliarden teure Infrastruktur, die seit 30 Jahren zuverlässig arbeitet, mit einer top qualifizierten und erfahrenen Bedienmannschaft – und wir schalten das einfach mal so aus Lust und Laune ab, um das Weltklima zu retten. Um dann zur Kompensation Atomstrom aus dem nahen Ausland zu kaufen…

Unglaublich.

Mit freundlichen Grüßen

Dipl.-Ing. XXX *)

*) Name bekannt, aber auf Wunsch des Lesers ohne Namensnennung

Ich habe mit dem Mann ein ausführliches Telefonat geführt. Er sagte mir, dass er noch schulpflichtige Kinder habe, und er womöglich mit „Konsequenzen“ rechnen müsse, wenn der Brief mit Namensnennung veröffentlicht würde. Das ist neben der Vernichtung von gigantischen Vermögenswerten und dem Konterkarieren einer CO2-reduzierenden Energiepolitik der eigentliche Skandal. Das offene, freie und für Kritik offene Deutschland, das ich kenne, hat sich bereits abgeschafft.

Ordnen Sie Deutschlands CO2-Ausstoß in den Weltmaßstab ein. Zum interaktiven CO2-Rechner: Hier klicken. Noch Fragen? Ergänzungen? Fehler entdeckt? Bitte Leserpost schreiben! Oder direkt an mich persönlich: stromwoher@mediagnose.de Alle Berechnungen und Schätzungen durch Rüdiger Stobbe nach bestem Wissen und Gewissen, aber ohne Gewähr.

Die bisherigen Artikel der Kolumne Woher kommt der Strom? mit jeweils einer kurzen Inhaltserläuterung finden Sie hier auf Rüdiger Stobbes Blog Mediagnose.

Rüdiger Stobbe betreibt seit über drei Jahren den Politikblog  www.mediagnose.de.

Zuerst erschienen bei der Achse des Guten; mit freundlicher Genehmigung.