Der freundliche Nachbar

Ist es Ihnen schon passiert, dass Sie morgens ins Büro wollen und das Auto springt nicht an? Sie klingeln den freundlichen Nachbarn aus dem Bett, der stellt seinen Wagen mit laufendem Motor neben Ihren und mit Hilfe von „Jumper Cables“ verbinden Sie die Batterien.  Die gefährlich aussehende Krokodilklemme des  roten Kabels  klemmen Sie an den Pluspol ihrer Batterie, das rote Krokodil am anderen Ende geht an den Pluspol des Nachbarn. Mit Minus und Schwarz machen Sie das genauso. Sie können die Farben auch vertauschen, solange Sie darauf achten, dass Plus mit Plus und Minus mit Minus verbunden werden.

Falls Sie das aber nicht tun, dann haben Sie einen Kurzschluß, d.h. der Strom läuft nicht, wie vorgesehen, durch den Anlasser Ihres Autos, sondern nur durch die beiden Batterien, die jetzt „in Serie“ geschaltet sind. Das hat zwei Dinge zur Folge: Ihr Auto springt nicht an und das Kabel brennt blitzartig durch.

Die großen und die kleinen Netze

Nehmen wir an, Sie machen alles richtig, dann haben Sie bei der Gelegenheit, ohne es vielleicht zu wissen, ein elektrisches Netz aufgebaut. Die kleinen Kraftwerke sind des Nachbarn Lichtmaschine und Batterie, Verbraucher sind der Anlasser und die müde Batterie Ihres Autos.

Sie kennen natürlich noch ein größeres elektrisches Netz, nämlich das, welches den Strom in unsere Steckdosen liefert. Auch hier gibt es Verbraucher und Kraftwerke, die in das Netz einspeisen. Und auch die müssen darauf achten, dass sie Plus mit Plus und Minus mit Minus verbinden.

Während beim Auto das eine Kabel immer plus und das andere immer minus ist, kann man das beim Strom aus der Steckdose nicht sagen. Da ist mal die eine Leitung plus und mal die andere. Und das wechselt fünfzig mal in der Sekunde – es ist Wechselstrom.

Was soll das? Wer kann sich so etwas Abwegiges einfallen lassen? Es war der Amerikaner George Westinghouse, der erkannte, dass diese Form der Elektrizität sich leicht zwischen hohen und niedrigen Spannungen „transformieren“ lässt, und dass dies beim Transport über große Entfernung hilfreich ist.

Das macht jedoch die gleichzeitige Einspeisung aus mehreren Stromquellen kompliziert. Wie soll man all die Kohle-, Atom- und Windkraftwerke, die gemeinsam unser Netz versorgen, dazu bringen,  genau im richtigen Moment Plus oder Minus zu liefern? Und was passiert, wenn das nicht klappt?

Rudern geht nur im Gleichtakt

Stellen Sie sich ein Ruderboot vor, einen „Achter“. Da müssen alle genau im Takt rudern. Sie müssen sich präzise an die „Schlagzahl“ halten, sagen wir 40 pro Minute. Und nicht nur das, sie müssen die Riemen gleichzeitig ins Wasser tauchen, auf den Bruchteil einer Sekunde genau; sie müssen absolut „synchron“ arbeiten.

Ein Ruderer, der aus dem Takt fällt, wäre nicht nur nutzlos, er würde die ganze Crew durcheinander bringen, denn seine Riemen würden mit denen des Vorder- und Hintermanns kollidieren. Durch diesen Dominoeffekt würden alle Mann aus dem Takt fallen und das Schiff wäre ein verlorenes Stück Holz auf dem Wasser. Man muss also die Frequenz genau einhalten und auch die „Phase“.  Die Stellung der Riemen muss in jedem Moment bei den acht Mann identisch sein.

Jeder Mann muss das totale „Commitment“ für die Synchronisation mit an Bord bringen. Einer sagt vielleicht „heute fühl ich mich nicht so wohl, aber ich werde mein Bestes geben; vielleicht sind es dann statt 40 pro Minute nur 39, aber jeder Beitrag zählt schließlich“. So ein Kerl darf nicht an Bord. Und käme er an Bord, dann würde er beim ersten Fehlschlag ins Wasser geworfen, denn die übrigen Sieben kämen ohne ihn besser zurecht.

Wenn das Netz Fieber hat

Beim Stromnetz ist es nicht andern: Jedes Kraftwerk muss seinen Wechselstrom ganz präzise hinsichtlich Phase und „Schlagzahl“ einspeisen; und letztere ist nicht 40 pro Minute, sondern 50 pro Sekunde. Minimale und kurzzeitige Abweichungen davon kann es geben, aber im europäischen Netz gelingt es, die Frequenz in einer Bandbreite von 49,98 bis 50,03 Hz zu halten. Größere Abweichungen von 50 Hertz wären wie Fieber. Sie wären ein Indikator für den kritischen Gesundheitszustand des Netzes.

Einspeisung mit fehlerhafter Synchronisation würde zu einem monumentalen Kurzschluss führen. Es wäre wie das Vertauschen von plus und minus bei der Starthilfe für unser Auto, nur um einiges dramatischer. Nun kann es vorkommen, dass das eine oder andere Kraftwerk sich heute nicht so wohl fühlt und nicht mehr mit der Phase den Netzes mithalten kann. So ein Kandidat muss augenblicklich von Bord. Beim ersten Anzeichen wird er automatisch vom Netz getrennt.

Besondern anfällige Kandidaten sind natürlich Windkraftwerke. Da folgt die produzierte Leistung den Launen des Windes; sie wird nicht, wie bei herkömmlichen Kraftwerken, vom Betreiber geregelt. Wenn da die Synchronisation verloren geht, dann brennt nicht nur ein Kabel durch, dann kann die ganze Maschinerie blitzartig in Rauch und Flammen aufgehen, so wie hier.

Elektrisches Domino

Wenn einer der Stromlieferanten, sei es Wind oder konventionell, vom Netz geht dann müssen die verbleibenden Kraftwerke von nun an etwas mehr leisten. Da könnte es vorkommen, dass weitere Kandidaten schwächeln und die Synchronisation verlieren. Auch die gehen jetzt vom Netz. Man kann sich leicht vorstellen, dass in dieser Kaskade von Abschaltungen irgendwann nichts mehr geht. Dann haben wir den elektrischen Dominoeffekt, dann haben wir Blackout.

Der Betreiber eines Netzwerks weiß das natürlich auch und versucht dem vorzubauen. Wenn der Ausfall eines Kraftwerks zu erwarten ist – etwa wegen Wartung oder Mangel an Kohle – dann kann man Teile der Verbraucher zeitweise abschalten: erst das eine Stadtviertel, dann das nächste, reihum. In dieser Hinsicht habe ich vorerst noch mehr Erfahrung als Sie, denn seit Jahren kommt es immer wieder vor, dass hier in Südafrika der Strom für zwei Stunden auf Ansage abgeschaltet wird.

In Deutschland gibt es das auch, allerdings schaltet man industrielle Großverbraucher ab und nicht ganze Wohngebiete. Es soll ja nicht jeder mitbekommen, welche Segnungen uns die Energiewende beschert. Hier die Aufzeichnung einer interessanten kleinen Anfrage im Bundestag zu dem Thema.

Und apropos – das „Smart Grid“, mit dem man uns jetzt schon gesprächsweise vertraut macht, ist nicht anderes als kompliziertes Load Shedding.

Winter in Texas

Vom 10. bis 17. Februar wurde Texas von winterlichen Stürmen und tiefsten Temperaturen heimgesucht- am Flughafen Dallas Fort Worth wurden -19°C gemessen. Das Unwetter ließ die Stromversorgung im Staat zusammenbrechen; zeitweise waren ein Drittel der Haushalte – ca. 4,5 Millionen – ohne Elektrizität.

Es war aber anscheinend kein unkontrollierter, totaler Blackout, sondern es waren eine Serie von großflächigen, „rollierenden“ Lastabwürfen, deren Effekt für den Verbraucher einem Blackout sehr nahe kam. Im Netz und in den Kraftwerken allerdings wurde wesentlich weniger Schaden angerichtet als bei einem unkontrollierten Zusammenbruch entstanden wäre.

Niemand bestritt, dass das Wetter die Ursache für diesen katastrophalen Stromausfall war, der schätzungsweise 40 Menschenleben gekostet hat. Was aber war genau passiert? Welche technischen Elemente hatten versagt? Da gingen die Meinungen auseinander.

Wir sind heute ja gewohnt, dass jegliches natürliche Unheil umgehend von der Politik für die jeweils eigene Agenda instrumentalisiert wird. Das war hier nicht anders.

Texanischer Elektro-Poker

Die Grünen gaben die Schuld am Blackout den konventionellen Kraftwerken, deren Gas- und Ölleitungen samt Pumpen angeblich eingefroren waren. Ihre Gegner wiederum sahen die Ursache in den vereisten Windmühlen. Und die Klimajünger erklärten sofort, die Kältewelle sei eine Folge der Erderwärmung gewesen.

An dieser Stelle möchte ich ausnahmsweise die Windmühlen in Schutz nehmen. Der Vorwurf, sie hätten wegen Vereisung versagt und damit den Blackout verursacht ist irrelevant. Windmühlen brauchen kein arktisches  Unwetter um zu versagen, da genügt schon die alltägliche Windstille. Und das texanische Netz ist sicher so ausgelegt, dass es auf die 23% Windenergie notfalls verzichten kann.

Offensichtlich waren auch die konventionellen Elemente der Stromversorgung nicht für diese sibirische Kälte ausgelegt. Sollte sich also das Land bis hinunter zu den erwähnten -19°C winterfest machen? Und warum nicht -25°C? Oder sollte man vielleicht akzeptieren, dass man nicht alles unter Kontrolle hat auf dieser Erde?

Heute, 14 Tage nach dem Kälteeinbruch, hat es in Houston frühmorgens schon wieder angenehme 20°C. Es gibt also Hoffnung.

Kommen wir zurück zur Frage, ob so etwas auch in Deutschland passieren könnte. Meine Einschätzung: auf jeden Fall, und zwar auch ohne Schneesturm. Die Energiewende arbeitet zielstrebig darauf hin. Verbraucher werden bereits vorsichtig darauf hingewiesen – “genudgt” – sich für diesen Fall mit Kerzen und Gaskochern auszurüsten.

Und auch hier wird es dann Fragen nach dem “warum” geben. Und wenn Sie dann antworten, dass läge daran, dass so gigantische und zuverlässige Kraftwerke wie Krümmel oder Phillipsburg oder Brunsbüttel oder Moorburg abgeschaltet wurden, oder daß Schnee auf den Solardächern lag, oder dass der Wind nicht geblasen hat, dann wird man Sie in die rechte Ecke stellen.

Sie dürfen hier nur eine Antwort geben: “Das CO2 ist schuld”. Und weil das aus den Kraftwerken kommt, deswegen müssen jetzt noch die restlichen Kraftwerke vom Netz gehen, damit es keinen Blackout mehr gibt. Verstanden? So geht die neue Logik.

Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autors Think-Again. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.

 

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