Concorde – Die gefallene Göttin

Woodstock und Apollo

Concorde war mehr als ein modernes Flugzeug, sie war ein Kunstwerk. Wie eine Skulptur von Michelangelo öffnete sie dem Betrachter eine Sekunde lang den Einblick in eine Dimension, die sonst verschlossen war. Ihre Magie lag in der Form der Flügel, die einmal mehr die alte Pilotenweisheit bestätigte: was gut fliegt sieht auch gut aus. Und die Concorde konnte verdammt gut fliegen.

Jenseits der Schallmauer

Mit einem herkömmlichen Airliner hatte die Concorde auch sonst wenig gemeinsam. Am deutlichsten wurde das an den Tragflächen, deren Aufgabe es ist, den Flieger in der Luft zu halten. Der Auftrieb, den sie bieten, hängt von Größe und Form ab, aber auch von der Geschwindigkeit und dem Winkel gegen die Flugrichtung, dem Anstellwinkel.

Das mit der Geschwindigkeit ist ein Problem, denn man möchte ja, dass der Auftrieb genau das Gewicht des Fliegers ausgleicht, egal wie schnell man unterwegs ist, und am Himmel will man schnell sein, während man unten am Boden lieber langsam ist. Ein Jumbo soll ja nicht mit Mach 0,8 starten oder landen, sondern eher mit 250 km/h.

Wie also kann die gleiche Tragfläche das gleiche Gewicht sowohl bei 900 km/h als auch bei 250 km/h, tragen?

Die Nase hoch

Als aufmerksamer Passagier werden Sie mir jetzt widersprechen: es ist ja nicht die gleiche Tragfläche, denn während des Anflugs zur Landung tauchen an Vorder- und Hinterkante der Flügel alle möglichen Klappen auf, die jetzt zusätzlich für Auftrieb sorgen, die aber unterwegs im Flügel versteckt sind. Und diese Landeklappen sorgen dafür, dass der Jumbo noch getragen wird, auch wenn er schon ganz langsam ist.

Genauso ist es. Aber was soll man machen, wenn die Tragflächen für den Überschallflug ganz dünn sein müssen, so dass kein Platz für Klappen da ist? Da kann man den Anstellwinkel bei Start und Landung ja ganz groß machen, da muss der Flieger nur die Nase hoch genug in die Luft heben. Das geht aber nur bis zu einem bestimmten Punkt, dann „reißt die Strömung ab“, die Luft fließt nicht mehr glatt über die Fläche und der Auftrieb verschwindet.

Sie brauchte aber trotzdem noch 400 km/h zur Starten, in der Luft war sie dann fünfmal so schnell. Und sie landete mit nur 300 km/h, was damit zu hatte, dass sie jetzt nur halb so schwer war wie beim Abflug, weil knapp hundert Tonnen Treibstoff unterwegs verbraucht wurden.

Schall und Rauch

Es wurden zwanzig Exemplare von diesem Wunderwerk gebaut, die für Air France und British Airways zwischen 1976 und 2003 im Linienverkehr unterwegs waren, aber auch für Charters eingesetzt wurden. Man konnte aber nicht beliebige Routen fliegen, denn der „Überschall Knall“ würde Bewohner der überflogenen Regionen belästigen.

So wie die Bugwelle eines Dampfers auf dem Badesee ans Ufer schwappt und die Sonnenanbeterinnen von ihren Handtüchern aufscheucht, so erzeugt ein Objekt, das schneller als 1200 km/h fliegt, eine Bugwelle aus Luft, die am Boden als Knall registriert wird. Der Flieger macht nicht nur in dem Moment Krach, in dem er „durch die Schallmauer bricht“, er zieht den Knall wie eine Schleppe nach sich, so lange er mehr als Mach eins hat.

In dem Video kann man das nicht nur hören, sondern sogar sehen, denn in der „Bugwelle“ kühlt sich die Luft ab, sodass die Feuchtigkeit kondensiert und sich ein weißes Röckchen aus Dunst um den Flugzeugrumpf bildet.

Die Belästigung durch den Knall sorgte für berechtigte und unberechtigte Proteste, sodass die Concorde schließlich nur auf Routen über Wasser eingesetzt wurde, und hier hauptsächlich von London oder Paris an die amerikanische Ostküste. Zu der Zeit keimte aber schon ideologischer Widerstand gegen erfolgreiche neue Technologien auf, und Concorde hatte ständig gegen Bedenkenträger anzukämpfen.

Natürlich war Concorde weder ökologisch noch ökonomisch, aber welches Kunstwerk ist das schon. Das Taj Mahal war auch nicht umsonst.

Der Flug Air France 4590

Insgesamt fanden von 1976 bis 2000 Zigtausende problemloser Flüge statt und der Name Concorde stand nicht nur für Eleganz, sondern auch für Zuverlässigkeit. Das änderte sich ganz dramatisch vor 20 Jahren, als am 25. Juli 2000 eine Concorde der Air France beim Start verunglückte. Dabei kamen alle 105 Personen an Bord ums Leben, und es gab weitere vier Opfer an der Absturzstelle. Was war die Ursache des Unglücks?

Es gibt unterschiedliche Sichtweisen. Das Ergebnis der Untersuchung durch die französischen Behörden sieht die Ursache in einem Metallstreifen, den eine zuvor gestartete DC10 der Continental Airlines auf der Bahn verloren hatte. Über diesen rollte die Concorde kurz vor dem Abheben. Der Reifen wurde dabei zerfetzt und ein Fragment wurde von unten gegen die linke Tragfläche geschleudert. Die Wucht war so groß, dass der Tank im inneren platzte und Treibstoff ausströmte, der sich entzündete. Die Maschine konnte noch abheben, aber das Feuer machte sie unkontrollierbar und es kam zum Absturz.

Analyse eines Profis

Ob es wirklich so war? Die Meinung eines langjährigen britischen Concorde-Kapitäns, der sich intensiv mit der Sache beschäftigt hat, ist hier wiedergegeben . Seine Ansicht: Das linke Fahrwerk, bestehend aus vier, im Rechteck angeordneten Rädern, war kurz zuvor gewartet worden. Beim Zusammenbau war nachweislich ein Teil vergessen worden, was dazu führte, dass eines der vier Räder keine Führung hatte und aus der Fahrtrichtung ausscherte, „wie die Rollen an einem Einkaufswagen das manchmal tun“ . Dadurch entstand Reibung und der Reifen erhitzte sich.

Die Bremswirkung des linken Fahrgestells hatte jetzt zur Folge, dass der Pilot das Flugzeug nicht mehr auf der Bahn halten konnte, es driftete unaufhaltsam zur Seite und steuerte auf eine Boeing 747 zu, die links von der Startbahn wartete, um diese anschließend zu überqueren. Um nicht zu kollidieren zog er die Maschine, die eigentlich noch zu langsam war, in die Luft und flog nur wenige Meter über den Jumbo, in dem, neben anderen, der französische Präsident Jacques Chirac saß.

La Gloire de la France

Welche Version entspricht der Wahrheit? Man kann annehmen, dass die offizielle französische Darstellung nicht nur auf technischer Analyse beruhte, sondern stark juristisch und politisch gefärbt war. Man tat alles, um den Ruf der Airline Frankreichs und ihre aeronautische Kompetenz nicht zu schädigen. Man wich dazu einer Reihe von sehr peinlichen Fragen aus.

Wie konnte so eine kritische Panne bei der Inspektion eines Fahrwerks passieren? Gab es da keine Qualitätskontrolle? Wie konnte es sein, dass der Kapitän, der Starpilot von Air France, so viele eklatante handwerkliche Fehler auf einmal machte? Das Gewicht des Flugzeugs war über dem Limit, der Schwerpunkt war zu weit hinten und er startete mit dem Wind, statt dagegen. Und warum wusste der Flugingenieur nicht, was er bei Feueralarm zu tun hatte?

Durch die offizielle Untersuchung aber wurde die ganze Aufmerksamkeit auf einen banalen Metallstreifen gelenkt, den ein amerikanisches Flugzeug verloren hatte. Der allein war an der Katastrophe schuld. Warum nicht? Es war ja auch nur ein Zigarettenstummel, der Notre Dame in Brand setzte.

Titanic der Lüfte

Was auch immer die Ursache war, die Aura dieses einmaligen Flugzeugs war von einem Tag auf den anderen erloschen. Es war eine Götterdämmerung für den technischen Fortschritt. Die geflügelte Göttin des Sieges war gestürzt. Das Ereignis war vergleichbar mit dem Verlust der Titanic 1912, der das Ende einer goldenen Ära einläutete. Welches Zeitalter läutete der Crash der Concorde ein?

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