Teil 1 – oberflächlich und unvollständig, eine Sendung verpasster Chancen
Dieser Teil begann durchaus verheißungsvoll. Sven Plöger erläuterte, warum das Wetter im Gebirge so viele Todesopfer forderte, erklärte die kühlende Wirkung der Eiger-Nordwand, die Entstehung von Stau und Föhn, Berg- und Talwind und die gefürchtete 5-b-Wetterlage sowie die Lawinen-Problematik. Anschaulich erläuterte er auch die Ursachen für die enorme floristische Artenvielfalt der Alpen und die extremen Wachstumsbedingungen der Pflanzen. Leider riss er diese Themen nur an und baute sie nicht aus; solch bekannte Phänomene wie Föhn-Wolken, Ora, Bise, Mistral, Schirokko, welche alle im Umfeld der Alpen stattfinden und von diesen beeinflusst werden, fanden keinerlei Erwähnung, auch fehlte die äußerst spannende Thematik der herbstlichen und winterlichen Inversionswetterlagen. Überhaupt glitt die Sendung nach etwa 25 Minuten ins Folkloristische, Banale, Halbwahre und Thesenhafte ab. Fürchtete Herr Plöger vielleicht, zu viel Faktenwissen könne man dem an seichte, öffentlich-rechtlich Unterhaltung gewöhnten Publikum nicht zumuten – obwohl doch immer so viel vom Bildungsauftrag die Rede ist? Reichlich Zeit widmete er den Schweizer Wetterschmöckern, die zwar nichts zur Wetterentstehung beitragen, sich dafür aber am schwierigen Thema der Langfristprognosen aufreiben – eigentlich ein Thema für eine extra Sendung. Sehr gewagt und reißerisch auch seine These, ohne Alpen würde unser mitteleuropäisches Klima dem von Nordamerika ähneln. Das ist eine ziemliche Übertreibung und bestenfalls eine Halbwahrheit. Zum Beweis des Gegenteils reicht schon ein Blick auf die Weltkarte aus: Das Mittelmeer, viel kleiner und weiter nördlich gelegen als der Golf von Mexiko und die Karibik, ist bei weitem keine so potente Wärmequelle, und um die unser Klima dominierenden Westwinde „abzuschaffen“, müsste sich von Spanien bis mindestens Schottland ein durchgehendes Hochgebirge als „Ersatz-Rockies“ erstrecken. Auch der Ural müsste deutlich verbreitert und etwas erhöht werden, um die Appalachen zu simulieren; weiterhin müssten Nordmeer, Nordsee und Ärmelkanal samt Golfstrom als winterliche Wärmequellen verschwinden, nur so könnten ähnlich eisige Winterstürme aus Nordwest bis Nord toben, wie in den Prärien Nordamerikas. Recht halbgar wirkt auch seine These, das unterschiedliche Klima auf der Alpennord- und Südseite habe die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung verursacht – Wohlstand im Norden, Armut und Siedlungsverfall im Süden. Das dürfte bestenfalls eine Nebenrolle gespielt haben – kurioserweise liefert Sven Plöger die wahre Erklärung gleich mit: Im Norden (Österreich) verhinderte ein anderes Erbrecht die Zerteilung der Ländereien und Höfe, und es wurde massiv in Infrastruktur sowie den Tourismus investiert. Dass das in Italien (Piemont) bei einer verantwortungsvolleren Politik auch möglich gewesen wäre, verschweigt er lieber – schließlich sollen die Fernsehzuschauer nicht nur brav ihre GEZ-Gebühren, sondern über die EU auch für das Missmanagement südlich der Alpen bezahlen. Summa summarum wieder einmal eine verpasste Chance für wirkliches Bildungsfernsehen – immerhin zeigten die ersten Sendeminuten, dass man Faktenwissen durchaus spannend und unterhaltsam vermitteln kann.
Teil 2 – viel längst Bekanntes zu den Folgen des Klimawandels
Wetter ist der augenblickliche physikalische Zustand der Atmosphäre eines Ortes, Klima über lange Zeiträume gemitteltes Wetter. Schon im Teil 1 werden beide miteinander vermengt, was sich nicht immer vermeiden lässt, aber der zweite Teil wird dem Hauptthema der Sendung „Wo unser Wetter entsteht“ gar nicht mehr gerecht. Immerhin trifft er den Untertitel „Wie der Klimawandel die Alpen verändert“ thematisch vergleichsweise objektiv, sachlich und ohne wesentliches ideologisches Geschwätz; das Wörtchen „aktuelle“ vor Klimawandel fehlte allerdings. Die behandelten Sachthemen sind freilich lange bekannt und schon oft gesendet worden – Gletscherschmelze und Wassertaschen, Berg- und Felsstürze, tauender Permafrost, Boden- und Vegetationsveränderungen sowie die Schmälerung der Wintersportmöglichkeiten. Wie wirkt sich der aktuelle Klimawandel auf die Häufigkeit und die Intensität der Stau- und Föhnwetterlagen sowie der Inversionslagen aus? Wie stark war die Zunahme der Sonnenscheindauer, was bewirkte diese Zunahme? Warum wurden die Winter in den Nord- und Zentralalpen seit den späten 1980er Jahren als einzige Jahreszeit nicht wärmer? Werden die Niederschläge, besonders im Sommer, wirklich extremer? Was er versäumte, soll hier zumindest teilweise nachgeholt werden:

Abbildung 1: Keine winterliche Erwärmung seit 1987/88, hier am Beispiel der Stationen Zugspitze und St. Bernhard gezeigt; Selbiges trifft auch auf weite Teile Österreichs besonders in den höheren Lagen zu. Ursache ist eine Häufigkeitszunahme der Tage mit nördlichem Strömungsanteil, was vermehrt höhenkalte Luft in den Alpenraum führte. Selbst der sehr milde Winter 2019/20 kehrte diesen Trend, der, wie alle Trends, nicht in die Zukunft extrapoliert werden darf, nicht um. Man kann aber annehmen, dass Wintersport über drei oder mehr Monate auch künftig in geeigneten Lagen (Nordhänge über 1500 Meter Höhe gibt es in den Alpen reichlich) meist möglich bleiben wird. Es sind wohl auch unsere gestiegenen, überzogenen Freizeit-Ansprüche (Skisport möglichst schon im Oktober und noch im Mai!), welche mit der schon lange vorhandenen Realität kollidieren!


Abbildung 2: Die tendenziell stark zunehmende Sonnenscheindauer (gelb) am Sonnblick in Österreich beeinflusste die dortige Variabilität der Lufttemperaturen (pink) selbst im Jahresmittel zu mehr als einem Drittel – Sven Plöger deutet diese Problematik kurz an. Seit 1887 nahm dort die jährliche Sonnenscheindauer um mehr als 230 Stunden zu – Ähnliches zeigt sich im gesamten Alpenraum. Die weitaus stärkste Erwärmungswirkung der Sonne findet im Sommerhalbjahr statt, doch im Gegensatz zum Flachland wirkt in den Hochlagen auch die Wintersonne zumindest leicht erwärmend – Dank der besonders klaren Bergluft, der Inversionslagen und der Südhänge, welche, anders als ebenes Gelände, gerade bei tiefem Sonnenstand viel Strahlung empfangen. In AMO-Warmphasen (momentan) ist es sonniger, außerdem trugen die Luftreinhaltemaßnahmen, geänderte Wetterlagenhäufigkeiten sowie die Austrocknung der Landschaft durch Melioration und Besiedlung zur stärkeren Besonnung bei. Weil Lufttemperatur und Sonnenscheindauer sehr unterschiedliche Größen sind, mussten sie zur Veranschaulichung in einer Grafik in Indexwerte umgerechnet werden.


Abbildung 3: Schwankende, aber keinesfalls merklich zu- oder abnehmende Sommerniederschläge in Bad Ischl (Österreich). Ähnlich sieht das an fast allen Alpen-Stationen aus. Und Starkregen oder Unwetter sind (leider schon immer!) ein wesentliches Merkmal des Alpenklimas; sie treten dort viel häufiger und intensiver auf, als im Flachland.


Sehr vorsichtig und kurz, aber deutlich vernehmbar, berichtet Sven Plöger von vergangenen Klimawandeln im Alpenraum, besonders beim Thema „Ötzi“ am Ende der Sendung. Freilich hätte gerade auch diese historisch so spannende Tatsache früherer Klimawandel etwas mehr Sendezeit verdient – es soll hier ebenfalls ergänzt werden:

Abbildung 4: Globaler Temperaturverlauf seit dem Ende der (vorerst) letzten Kaltzeit.


Abbildung 4 zeigt: Vor etwa 6500 Jahren wurden in unserer, noch anhaltenden Warmzeit, dem Holozän, die bislang höchsten Temperaturen erreicht, von denen der aktuelle Klimawandel noch weit entfernt ist. Die Alpengletscher waren damals noch kleiner als heute oder fehlten völlig; in Gletschereis eingeschlossene Baumstämme belegen diese Tatsache. „Ötzi“ wurde (vermutlich) durch eine Abkühlungsphase am Übergang zur Bronzezeit konserviert. Einer weiteren, markanten Warmphase folgten weitere Schwankungen, bis mit dem Beginn des „Römischen Optimums“ Hannibal noch im Herbst über die Alpen nach Italien einfallen konnte; Weinbau und Besiedlungstätigkeit breiteten sich aus. In der Abkühlungsphase des „Dunklen Zeitalters“ ab etwa 400 n. Chr. gingen Infrastruktur und Wissen der Römer weitgehend verloren; doch in der „Mittelalterlichen Warmzeit“ erlebten Mitteleuropa und der Alpenraum eine weitere kulturelle Blütezeit. Die „Kleine Eiszeit“ führte ab etwa 1300 zu vermehrten Unwettern und einem starken Gletscherwachstum. Noch vor kaum 200 Jahren wurde für das Anhalten der talwärts vorrückenden Gletscher gebetet, welche Siedlungs- und Nutzland bedrohten. Erst ab 1900 setzte dann der aktuelle Klimawandel ein.
Wir müssen erkennen – Klimawandel war und ist praktisch immer, doch nie passt er uns. Was in diesem insgesamt ganz passablen Teil 2 noch fehlte, war ein Hinweis auf die im 20. Jahrhundert ausufernde Bau- und Siedlungstätigkeit, welche erstens über den Wärmeinseleffekt nicht unwesentlich zum Klimawandel beiträgt, und zweitens die Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens von Naturkatastrophen und Menschen stark erhöht. Die Alpen sind (leider) das am stärksten zersiedelte und baulich veränderte Hochgebirge der Welt, was auch ohne Klimawandel zu Konflikten führt. Mit den Worten „ Die Alpen sind ein Hotspot des Klimawandels“ entlässt Sven Plöger den Fernsehzuschauer in den Montagabend. Doch die wirklich unbequeme, seit Jahrhunderten bekannte Wahrheit lautet: Hochgebirge sind aufgrund ihrer Geografie ein schwieriger, gefährlicher Siedlungs- und Wirtschaftsraum. Ihre Schönheit blendet uns, täuscht aber über ihre Gefahren hinweg. Unsere oberflächliche Freizeit- und Spaßgesellschaft vergisst das leider allzu oft – und jammert dann über den „bösen“ Klimawandel, wenn Lawinen, Bergstürze, Flutwellen oder Unwetter wieder einmal ihre Opfer gefordert haben.

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