Teil 1: Häufen sich zu Extremwetter neigende Großwetterlagen?

Ein kleines Rätsel zum Auftakt
Weil die kommende Lektüre in die sehr trockenen Niederungen der Meteorologie mit ihren Wetterlagen führt, soll ein kleines Rätsel am Anfang das Ganze etwas auflockern. Die folgenden zwei Abbildungen zeigen die Tiefstwerte an der DWD-Station Erfurt/Weimar in zwei jeweils etwa achtwöchigen Zeiträumen des laufenden Jahres – doch das Datum ging verloren – welcher ist nun welcher? Die Auflösung dann am Ende des zweiten Teils; sie hat auch viel mit dem Thema „Extremwetter“ zu tun.

Abbildungen 1a und 1b: Temperatur-Minima am Flughafen Erfurt/Weimar in zwei gleich langen Zeiträumen 2020 – aber wann war das? Einer lag im Winter und einer im Frühling – doch kann man das erkennen? Bildquellen wetteronline.de, ergänzt.


Nachlassende Sonnenaktivität – Menetekel für Extremwetter und Missernten?
Schon der deutsch-britische Astronom und Musiker Friedrich Wilhelm Herschel (englisch William Herschel) hatte um 1800 den Zusammenhang zwischen Weizenpreisen und Sonnenaktivität erkannt – immer, wenn die Anzahl der Sonnenflecken sehr gering war, stiegen die Weizenpreise, weil es (vermutlich) bei einer inaktiveren Sonne, die sich grob in weniger Sonnenflecken äußert, mehr Extremwetter gibt. Das 20. Jahrhundert war trotz der zwei furchtbaren Weltkriege auch deshalb ein außergewöhnlich günstiges für die Menschheit, weil es ein insgesamt mildes mit meist ausreichenden Niederschlägen war – Dank einer sehr aktiven Sonne waren die Schrecken der „Kleinen Eiszeit“ mit ihren Kälte- und Dürreperioden vergessen. Doch das 21. Jahrhundert wird viel ungünstiger verlaufen – ein Blick auf die Entwicklung der Sonnenaktivität zeigt, warum das so sein könnte:

Abbildung 2: Bis zum Jahrtausendwechsel war die Sonne sehr aktiv – erkennbar an den gut 160 bis über 200 Sonnenflecken in den Maxima der SCHWABE-Zyklen um 1980, 1990 und 2000, und selbst in den Minima des etwa 11-jährigen SCHWABE-Zyklus gab es fast stets zumindest einzelne Sonnenflecken. Doch schon um 2009 häuften sich lange, fleckenlose Perioden, und der letzte Zyklus (Maximum 2014) verlief erstens deutlich schwächer, und zweitens deutlich länger als seine Vorgänger – ein ernster Hinweis auf eine inaktiver werdende Sonne, zumal um 2020 mit einer noch viel längeren, fast fleckenfreien Phase zu rechnen ist, als um 2009.


Betrachtet man nun die Häufigkeitsverhältnisse der Großwetterlagen nach HESS/BREZOWSKY, so zeigt sich Erstaunliches: Die stets mäßigend wirkenden, weil wintermilden und sommerkühlen, regenreichen Westwetterlagen wurden seltener; im Gegenzug stieg die Häufigkeit der zu Extremwetter neigenden Nord-, Ost- und Südlagen merklich an – das kann, muss aber nicht zwangsläufig eine Folge der nachlassenden Sonnenaktivität sein (die schon seit 150 Jahren steigende CO2-Konzentration kann diesen Fakt gar nicht erklären). Außerdem wirkt die Sonnenaktivität zeitverzögert – ihr ganzes Ausmaß wird sicher in den kommenden Jahren noch deutlicher werden:

Abbildung 3: Weniger mäßigend wirkende West- und mehr Extremwetterlagen seit dem Maximum des 21. Sonnenfleckenzyklus (1979). Blauviolett die West- und grau die zu Extremwetter neigenden Meridionallagen.


Großwetterlagenhäufigkeiten nach HESS/BREZOWSKY – näher betrachtet
Uneingeschränkt standen für diese Zusammenstellung nur die Häufigkeiten der Großwetterlagen nach der Klassifikation von HESS/BREZOWSKY zur Verfügung, welche etwa in der Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde; die Objektive Wetterlagenklassifikation des DWD gibt es erst seit Juli 1979. Es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, diese hier näher vorzustellen, Interessierte finden Näheres dazu hier. Aus den insgesamt 30 Wetterlagen müssen in der Regel für Häufigkeitsanalysen „Cluster“ mit ähnlichen Eigenschaften gebildet werden; etwa einer ähnlichen Strömungsrichtung, oder ob sie antizyklonal (hochdruckbeeinflusst) oder zyklonal (Tiefdruckeinfluss) sind. Pauschale „Extremwetterlagen“ gibt es zwar nicht, doch neigen beispielsweise alle Ostlagen zu strenger Winterkälte und großer Sommerhitze, Südlagen fallen, mit Ausnahme des Winters im Flachland, mehr oder weniger deutlich zu warm, im Sommer teils extrem heiß, Nordlagen mit Ausnahme des Winters in Tieflagen, mehr oder weniger deutlich zu kalt aus; alle antizyklonalen Lage tendieren zu Niederschlagsarmut. Und wenn sich ähnelnde Lagen wochenlang vorherrschen, wie etwa im Hitze-Juni 2019, als 22 Tage mit südlichem Strömungsanteil einen neuen Rekord bedeuteten, so ist das Extremwetter. Die Häufigkeitsverhältnisse geben also lediglich wichtige Hinweise, ob die Witterung in einem bestimmten Zeitraum zu Temperatur- oder Niederschlagsextremen neigte. Weil die Daten seit 1881 vorliegen, boten sich langfristige Analysen an, weil diese aber manche aktuelle Entwicklung verschleiern, wurde außerdem der Zeitraum ab Beginn des Maximum-Jahres im SCHWABE-Zyklus 21 (1979) näher betrachtet; er ist mit 41 Jahren schon lang genug, um bei der großen Streuung der Häufigkeiten brauchbare Aussagen zu liefern. Im Folgenden werden daher stets zwei Grafiken der Häufigkeitsentwicklung desselben Clusters gezeigt; immer aufgeschlüsselt nach den vier meteorologischen Jahreszeiten: erst der Gesamtzeitraum und dann der ab 1979. Die jahreszeitenweise Betrachtung ist sinnvoll, weil bestimmte Wetterlagentypen, wie schon dargelegt, sehr unterschiedliche jahreszeitliche Auswirkungen haben können, besonders hinsichtlich der Temperaturen, aber auch die Neigung zur Trockenheit hat im Frühling/Sommer viel gravierende Auswirkungen, als im Herbst/Winter. Wegen des großen Untersuchungsumfangs können im Folgenden nur die wichtigsten Entwicklungen dargestellt werden. Bei allen Wetterlagen mit Westanteil (außer den vier Westlagen; siehe Abb. 3, kommen da noch die jeweils zwei Nordwest- und Südwestlagen hinzu) zeigt sich nur langfristig eine Zunahme im Winter und eine Abnahme im Sommer; seit 1979 aber nicht; hier ging die Häufigkeitsabnahme auf Kosten des Herbstes; geringe Abnahmen im Winter/Frühling sind ebenso nicht signifikant wie ein geringer Anstieg im Sommer (der aber, wie wir gleich sehen werden, fast nur von warmen, mitunter zu Hitzewellen und Unwettern neigenden SW-Lagen verursacht wurde). Auch bei allen meridionalen Lagen verlief die Entwicklung auf den ersten Blick nicht dramatisch; langfristig eine mäßige sommerliche Häufung bei nicht signifikanten Rückgängen in den übrigen Jahreszeiten. Seit 1979 eine Häufung im Herbst bei leichten und minimalen Häufungen im Winter bzw. Frühling; fast kein Sommer-Trend. Spannender ist da schon die Entwicklung des Großwettertyps Nord:

Abbildungen 4a und 4b: Sowohl langfristig (oben) als auch seit 1979 deutliche Häufung der Nordlagen (Tage pro Jahreszeit). Winterliche N-Lagen sind aber im Tiefland meist nur durchschnittlich temperiert, weil die Luftmassen die warme Nord- oder Ostsee überströmen; deshalb konnten sie die langfristige, seit 1988 stagnierende Winter-Erwärmung nicht verhindern; die sommerliche Abnahme trug zur lang- und kurzfristigen Sommer-Erwärmung bei. Nordlagen neigen gerade im Frühling und Herbst zu Nachtfrösten.


Bei den insgesamt seltener auftretenden, im Sommer oft zu Hitzewellen und Dürren neigenden Südlagen zeigt sich Folgendes:

Abbildungen 5a und 5b: Langfristig bis auf den Winter mehr und seit 1979 im Sommer/Herbst mehr, im Frühling weniger Südlagen. Im Winter, der ohnehin wenig Südlagen aufweist, nur langfristig unwesentliche Abnahme.


Und wie sah die Entwicklung bei den für Extremwetter berüchtigten Ostlagen aus?

Abbildungen 6a und 6b: Langfristig bis auf den Sommer weniger, ab 1979 besonders im Herbst, doch auch im Frühling, mehr Ostlagen. Zwar sind nicht alle Ostwetterlagen zu trocken; besonders in Süd- und Ostdeutschland können sie mitunter auch reichlichere Niederschläge bringen; doch gerade im Frühling/Sommer neigen sie eher zu anhaltender Trockenheit; zwischen Ende Mai und August sind sie fast stets zu warm, von etwa Mitte Oktober bis Ende März fast stets zu kalt; in den Übergangsjahreszeiten neigen sie zu Nacht- und Bodenfrösten.


Als Nächstes müssen zwei besonders „verhaltensauffällige“ Wetterlagen-Cluster betrachtet werden – die Trog- und die Südwestlagen. „Troglagen“ sind zwar stets zyklonal, doch nicht immer niederschlagsreich, aber sie treiben die „Meridionalisierung“ auf die Spitze, und ihre Häufung ist damit ein ernster Hinweis für zunehmende Extremwetterlagen, denn bei ihnen reicht, aus der Arktis kommend, eine mit Kaltluft gefüllte, trogartig geformte Tiefdruckzone oft bis in subtropische Breiten. Damit strömt auf der Vorderseite eines Troges oft extrem warme, auf der Rückseite hingegen kalte Luft heran, deren Kälte aber durch Atlantik/Nordsee in den unteren Luftschichten gemildert wird.

Abbildungen 7a und b: Troglagen häufen sich auffallend, mit Ausnahme des Frühlings gerade auch in den letzten Jahrzehnten. Beim Trog über Westeuropa (TRW), der zu den Südlagen gehört, ist besonders Ostdeutschland von sommerlichen Hitzewellen und Dürren betroffen; der zu den Nordlagen zählende Trog über Mitteleuropa (TRM) verursacht kühles Schauerwetter.


Die Südwestlagen als Teil des Clusters mit Westanteil zeigten eine den Troglagen grob ähnelnde, auffällige Zunahme:

Abbildungen 8a und 8b: Deutliche Häufung der in allen Jahreszeiten mehr oder weniger erwärmend wirkenden, aber nur an den Südseiten der Mittel- und Hochgebirge sehr regenreichen SW-Lagen; im Lee führt Föhn oft zu Dürren oder Abschwächung der Regengebiete, besonders über Ostdeutschland. Ob das seit 1979 abweichende Verhalten im Frühling ein erster Hinweis auf das Ende des „SW-Lagen-Zeitalters“ der Jahrtausendwende und des frühen 21. Jahrhunderts ist, kann vermutet, aber nicht sicher prognostiziert werden.


Die neben der Sonnenaktivität sehr umfangreichen Ursachen der (teilweise) geänderten Großwetterlagen-Häufigkeiten können hier nicht erläutert werden; Interessierte seien auf diese Arbeit hingewiesen. Hier soll nur der enge Zusammenhang zwischen AMO und Südwestlagenhäufung nochmals dargestellt werden:

Abbildung 9: Besonders am Ende der AMO-Warmphasen wie Mitte des 20. Jahrhunderts und momentan, häuften sich Südwestlagen. Wegen der sehr unterschiedlichen Größen mussten beide in Indexwerte umgerechnet werden, um sie gemeinsam in einer Grafik zeigen zu können.


Eine Vermutung wird nur teilweise bestätigt
Antizyklonale (A-Lagen) sind hochdruckbeeinflusst und neigen zu Trockenheit. Auch diese entwickelten sich „verhaltensauffällig“ – aber durchaus unerwartet, denn sie wurden seltener:

Abbildungen 10a und 10b: Deutliche langfristige Abnahme der in allen Jahreszeiten mehr oder weniger trockenen A-Lagen. Seit 1979 blieb deren Anzahl zwar im Frühling/Herbst fast konstant, im Winter und besonders im Sommer setzte sich ihre Abnahme fort.


Nun müsste diese Häufigkeitsabnahme der Hochdrucklagen ja eine Zunahme der Niederschlagsmenge bewirken, denn ihre Häufigkeit korreliert signifikant negativ mit den Niederschlagsmengen. Eine Betrachtung des Gesamtjahres reicht dafür aus:

Abbildungen 11a und 11b: Weniger Hochdrucklagen im Jahresmittel bedeuteten tendenziell nur langfristig mehr Jahresniederschlag – aber kurzfristig sanken die Niederschlagsmengen deutlich trotz etwas weniger A-Lagen, deshalb wurde auch der negative Zusammenhang zwischen beiden schwächer. Wegen der sehr unterschiedlichen Größen mussten beide in Indexwerte umgerechnet werden, um sie gemeinsam in einer Grafik zeigen zu können.


Es ist also denkbar, wenngleich nicht sicher erwiesen, dass neuerdings andere Faktoren wie etwa der zunehmende Landschaftsverbrauch oder die immer massivere Häufung der Windkraftanlagen, das Niederschlagsverhalten stärker beeinflussen. Im Teil 2 werden unter anderem die jahreszeitlichen Besonderheiten des Niederschlagsverhaltens betrachtet.
Ergebnisse: Bei weitem nicht alle Extremwetter-Ereignisse konnten und können den geänderten Großwetterlagenhäufigkeiten angelastet werden; trotzdem zeigen sich bei einzelnen Wetterlagentypen, besonders den Nord-, Ost-, Süd-, Trog- und Südwestlagen, markante Häufigkeitsverschiebungen; als wesentliche Auslöser können verschiedenste natürliche Ursachen vermutet werden; dass sich diese „Extremisierung“ aufgrund der weiter nachlassenden Sonnenaktivität künftig verstärken wird, kann bestenfalls vermutet werden. Menschliche Einflüsse könnten diese Entwicklung verstärken. Ob sich diese Häufigkeitsverschiebungen noch in einem normalen Rahmen bewegen, kann nicht sicher beurteilt werden, da der nur bis 1881 verfügbare Betrachtungszeitraum hierfür zu kurz ist. Historische Aufzeichnungen lassen auf weitaus dramatischere Witterungsverwerfungen, speziell im Zeitraum von 1300 bis 1850, schließen.

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