15. April: Tag der teuersten Fehlentscheidung

Die Bundeskanzlerin begründete die Zaghaftigkeit mit „einem bislang zerbrechlichen Erfolg“ gegen die Epidemie und klärte die deutsche Bevölkerung über die Epidemie-Reproduktionszahl R auf, die unversehens wieder auf 1,2 oder 1,3 steigen könnte, wenn wir nicht alle äußerst vorsichtig sind. Dazu gehört, sich weiterhin an die meisten Lockdown Maßnahmen zu halten, und auch längerfristig die Kontaktverbote zu beachten.
Die Frage ist allerdings, ob diese Lockdown-Maßnahmen überhaupt gegen die Epidemie wirken. Falls nicht, dann sind sie erstens nicht notwendig und zweitens ungeeignet, um die Bevölkerung vor einer Ansteckung mit Covid-19 zu beschützen. In meinem Artikel vom 14. April (hier)  habe ich ausgeführt, dass die Lockdown Maßnahmen größtenteils unwirksam und daher weder notwendig noch geeignet sind. Meine Berechnungen wurden seitdem mit neueren Analysen durch die obere Bundesbehörde Robert-Koch-Institut (RKI) bestätigt: die Lockdown-Maßnahmen sind auch laut dem RKI nicht wirkungsvoll.
Der Lockdown besteht aus einem breiten Bündel an Maßnahmen, die zu unterschiedlichen Zeiten verabschiedet wurden. Die wichtigsten Maßnahmen kamen in drei Wellen.
Zuerst kam am 8. März die Empfehlung, keine Großveranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern durchzuführen.
Daraus wurde am 10. März dann ein sofortiges Verbot.
Die zweite Welle kam ab dem 16. März mit Schließung der Bildungseinrichtungen und der meisten Grenzübergänge und einem generellen Veranstaltungsverbot mit mehr als 50 Teilnehmern.
Zwei Tage später am 18. März waren bundesweit sämtliche Geschäfte geschlossen mit Ausnahme von Lebensmittelläden, Apotheken, Tankstellen und ähnlichen essenziellen Versorgungsstationen. Touristische Reisen wurden verboten, sowie alle Kirchen, Sportstätten und Spielplätze wurden geschlossen.
In der dritten Welle, ab dem 22. März wurden dann auch die Restaurants, Cafés, Friseure und andere persönliche Dienstleistungen geschlossen. Gruppen von mehr als 2 Personen wurden verboten, und es gilt seitdem, einen ständigen Abstand von mindestens 1,5 Metern einzuhalten, es sei denn mit Personen aus demselben Haushalt. In Bayern, Sachsen und dem Saarland wurde es zudem generell verboten, das Haus zu verlassen, außer mit einem guten Grund.

Einbruch der Wirtschaft um 40 Prozent

Die drei Wellen kann man jeweils zusammenfassen unter den Begriffen:

  • Verbot Großveranstaltungen ab dem 10. März,
  • Schließung des öffentlichen Lebens ab dem 16. März
  • Kontaktverbote ab dem 22. März.

Die Schätzungen gehen von einem derzeitigen Einbruch der Wirtschaft um 40% aus, ein historischer Wert.
An dem selben 15. April, an dem die Bundeskanzlerin über die Gefahr eines R-Wertes von höher als 1 warnte, hat das RKI sein 17. Epidemiologisches Bulletin veröffentlicht hier, (aktualisiert ab Seite 10) in dem wörtlich steht:

„Die R-Schätzung ergibt für Anfang März Werte im Bereich von R = 3, die danach absinken und sich etwa seit dem 22. März [bis 9. April] um R = 1 stabilisieren….[und] dass der aktuelle R-Wert das reale Geschehen etwas unterschätzt [also das wahre R niedriger als 1 ist].“

Dieser Satz bestätigt, dass die Maßnahmen der zweiten und dritten Welle des Lockdowns keine Wirkung hatten. Das werde ich im Folgenden erläutern.
Dazu ist es notwendig, sich die Abbildung 2 des RKI Bulletin genau anzuschauen. Dort hat das RKI das Erkrankungsdatum mit ersten Symptomen der Covid-19-Patienten rekonstruiert. Die Zahlen zeigen immer mittwochs einen Ausreißer nach oben: dem 18. März, dem 25. März, dem 1. April und dem 8. April. Es ist internationaler wissenschaftlicher Konsens, dass die Symptome der Krankheit meistens 5 Tage nach der Infektion auftreten: Wer sich ab Mittwoch schlecht fühlt, der hat sich folglich am Freitag/Samstag davor infiziert. Weil die Rate des engen sozialen Kontakts am Freitag/Samstag am höchsten ist, erkranken daher die meisten Menschen an einem Mittwoch. Die höchste erreichte Krankenzahl der Epidemie war am 18. März erreicht, danach ging die Anzahl der Erkrankungen pro Tag stetig zurück.
Für die Bemessung der Wirksamkeit der Maßnahmen ist allerdings nicht der absolute Rückgang der Erkrankungszahlen entscheidend, sondern ab wann das R begann, nachhaltig abzuflachen, also ab wann ein Infizierter weniger als drei andere infiziert. Und das passierte bereits Anfang März, wie das RKI selbst in dem Bulletin beschreibt (oben zitiert), also schon zwei Wochen VOR dem Lockdown der zweiten Welle mit ihren Schließungen des öffentlichen Lebens. Es muss daher zwingend schon irgendetwas VOR dieser zweiten Welle des Lockdown zu einer Reduktion der Infektionsrate geführt haben. Die Antwort darauf ist einfach: Erstens haben die Maßnahmen vom 8. März alle Großveranstaltungen abgesagt, und zweitens, schon davor waren mit dem rheinischen Karneval – der teuersten Party der Weltgeschichte – und dem darauf folgenden alpinen Après-Ski die wichtigsten Virus-Drehschleudern Europas von alleine saisonbedingt beendet worden.
Es gibt einen noch deutlicheren Beweis dafür, dass die Maßnahmen der zweiten Welle vom 16. März keine Wirkung hatten. Die Kurve in Abbildung 2 des Bulletins stellt den bundesdeutschen Durchschnitt dar. Es gibt aber vier große Bundesländer, deren Epidemieverläufe 6 Tage früher als der Bundesdurchschnitt liegen: Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und Hamburg. In diesen vier Bundesländern begann die Reproduktionsrate R schon Ende Februar zu sinken und fiel bereits am 10. März auf 1,0 und einen Tag später auf 0,9, wie von mir ausgerechnet wurde, hier. Die Lockdown-Maßnahmen des 16. März wurden erst eine Woche nach dem 10. März verkündet – also konnten sie NICHT die Reduktion der Infektionsraten in diesen vier Bundesländern auslösen und haben auch anschließend KEINE statistisch erkennbare Wirkung mehr auf das Infektionsgeschehen dort gehabt.

Kontaktsperren hinterließen keine messbaren Spuren

Die Abbildungen 2 und 4 des RKI Bulletins bergen eine weitere Erkenntnis, die mindestens genauso gravierend ist, nämlich, dass auch die erhebliche Lockdown-Verschärfung der dritten Welle mit ihren Kontaktverboten ab dem 22. März ebenfalls keine Auswirkung hatte. Die Abbildung 2 zeigt auf den ersten Blick, dass die Krankheitszahlen im bundesdeutschen Durchschnitt mit KONSTANTER Rate vom 18. März bis zum 9. April gefallen sind. Wenn die Maßnahmen vom 22. März eine zusätzliche Wirkung gehabt hätten, dann hätte es 5 Tage später, ab dem 27. März (der durchschnittlichen Dauer bis zu Krankheitssymptomen), eine schnellere Reduktion der Erkrankungen geben müssen, aufgrund eines weiter gesunkenen R. Das ist aber nicht der Fall, das R blieb bis vor kurz Ostern laut der Abbildung 4 bei um die 0,9. (Erst während der Osterfeiertage sank es weiter herunter auf 0,7, wie wir mittlerweile wissen). Die Verschärfung der Maßnahmen am 22. März haben demnach ebenfalls KEINE messbaren Spuren in der Statistik hinterlassen.
Zusammengefasst: In vier großen Bundesländern begann die Epidemie bereits ab Ende Februar von alleine zu verschwinden, weil der Karneval und die alpinen Après-Ski Ferien saisonbedingt beendet waren. Das anschließende Großveranstaltungsverbot vom 8. März hat ein Wiederaufflammen bei Fußballfesten und anderen Festivals verhindert. Die zweite Welle der Maßnahmen ab dem 16. März haben in diesen vier Bundesländern keine weitere Wirkung in der Reduktion der Infektionsraten gehabt. Die beiden südlichen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg führten die alpinen Après-Ski Partys noch fort, und in Bayern fand sogar noch eine Kommunalwahl am 15. März statt. Das Ergebnis war ein erst späteres Abklingen der Epidemie im Süden. In keinem der Bundesländer hat die dritte Welle der Maßnahmen mit den Kontaktverboten ab dem 22. März eine statistisch erkennbare Wirkung gezeigt. Daraus folgt: Um die Infektionszahlen zu verringern, müssen Großveranstaltungen und Partys verboten werden – aber die Schließung des öffentlichen Lebens und Kontaktsperren machen keinen Unterschied in der Infektionsrate.

Schweden und Italien passen ins Bild

In dasselbe Bild passen die Erfahrungen von sowohl Schweden als auch Italien. Schweden hat nur eine erste Welle an Maßnahmen durchgeführt, nämlich alle Veranstaltungen über 50 Personen zu verbieten. Alles weitere ist erlaubt und geöffnet, (wobei Social Distancing empfohlen und praktiziert wird), und dennoch ist auch in Schweden das R bereits unter 1,0 gefallen. Dagegen fällt das R in Italien nicht unter 0,8 – selbst mit dem längsten und schärfsten Lockdown in ganz Europa, während dem die gesamte Bevölkerung seit mittlerweile sechs Wochen in ihre Wohnungen eingesperrt wurde und selbst die Industrieproduktion bis auf das Notwendigste eingestellt wurde. Auch in diesem internationalen Vergleich zeigt sich, dass es ausreicht, Großveranstaltungen zu verbieten, um ein R von unter 1 zu erreichen, aber dass weitere Maßnahmen der Schließung des öffentlichen Lebens und Kontaktverbote keine Wirkung entfalten, das R deutlich weiter zu reduzieren.
Dass die Lockdown-Maßnahmen der zweiten und dritten Welle wirkungslos sind, scheint zunächst widersinnig. Aber die Zahlen lügen nicht. Vielleicht lässt sich das wie folgt erklären. Die Übertragungswege des Corona Virus sind hauptsächlich, vielleicht sogar ausschließlich, die Tröpfchen- und Aerosol-Übertragung aus dem offenen Mund durch Husten, Niesen, Singen, Grölen, Lachen, Schnaufen und vielleicht sogar nur einfaches Sprechen. Ein Infizierter kann stundenlang im öffentlichen Verkehr direkt neben mir sitzen, aber solange er mich nicht anspricht, besteht keine Infektionsgefahr.
Es gibt keinen Hinweis auf Infektionsgeschehen in übervollen Flugzeugen, Bahnen, Bussen, Flughafenterminals oder Bahnhöfen, selbst ohne Mundschutz. Aber nur das Gehen durch eine noch schwebende Atemwolke von einem infizierten keuchenden Jogger, der schon längst nicht mehr zu sehen ist, reicht aus, um mich erkranken zu lassen. Oder vermutlich reicht auch die Atemwolke eines Infizierten, der fünf Meter vor mir schwer schnaufend das Treppenhaus im Mietshaus hochgestiegen ist. In dem ersten Fall sind 30 cm Nähe ungefährlich, und in dem letzteren Fall sind viele Meter Abstand trotzdem infizierend. Das heißt, selbst mit allen Social Distancing Maßnahmen, gibt es trotzdem genügend spontane Neuinfektionen, auch in einer auf das Minimum reduzierten Gesellschaft, die dann anschließend im engeren Familienkreis, bei den unmittelbaren Arbeitskollegen (der wenigen die noch arbeiten können), oder im medizinischen und pflegerischen Personal gleich wieder Dutzende von neuen Infektionsketten entstehen lassen.

Sommerurlaub auf Balkonien 

Was folgt daraus für die weitere Handlungsstrategie im Umgang mit dieser Epidemie? Die erste Folge ist einfach. Solange es weder Herdenimmunität noch Impfstoff gegen Covid-19 gibt, kann es auch keine Großveranstaltungen mehr geben – und entsprechend auch kein dichtgedrängtes Sommerurlaubsgetümmel mit entsprechender Partyszene am Mittelmeer, geschweige denn außerhalb Europas. Der deutsche Sommerurlaub wird weitgehend auf Balkonien oder heimatnahen Fahrradwegen stattfinden.
Die zweite Folge hängt von der Strategie ab, was die Gesellschaft will. Ist die Gesellschaft bereit, den schwedischen Weg zu gehen, eine Herdenimmunität aufzubauen, oder möchte sie lieber den taiwanesischen Weg beschreiten, das Virus möglichst aus der Gesellschaft zu eliminieren, bis es einen Impfstoff gibt? Für keine der beiden Strategien, ist es notwendig, die Lockdown-Maßnahmen der zweiten und dritten Welle aufrechtzuerhalten. Sie sind weder wirkungsvoll noch geeignet.
Für den schwedischen Weg mit dem Ziel einer Herdenimmunität muss ein starker Schutz für die Risikogruppen errichtet werden, also derjenigen, die eine höhere Sterblichkeitsrate bei einer Infektion haben. Ansonsten muss das Infektionsgeschehen nur soweit begrenzt werden, dass das Gesundheitssystem nicht kollabiert. Ein Verbot von Großveranstaltungen scheint dafür zu reichen.
Für den taiwanesischen Weg brauchen wir hochfrequentes Testen, die blitzschnelle Identifikation von möglicherweise Infizierten im öffentlichen Raum durch eine Contact Tracing App und konsequente Quarantäneüberwachung von allen potenziell Infizierten. Keine dieser drei Maßnahmen wird zur Zeit in Deutschland ergriffen. Die Gemüter bewegt stattdessen die Mundschutzpflicht. Aber ob das Tragen vom Mundschutz im öffentlichen Raum Wirkung zeigt, muss sich erst noch erweisen. Vermutlich nicht – denn der allergrößte Teil des Infektionsgeschehen hat schon immer im privaten Raum stattgefunden.

Beweisbar unwirksamen Strategie

Ohne sich entweder für den schwedischen oder für den taiwanesischen Weg zu entscheiden, hat die Bundeskanzlerin am 15. April an einer beweisbar unwirksamen Strategie festgehalten: Schließung des öffentlichen Lebens, Kontaktverbote und gravierende Wirtschaftsrestriktionen. Die Corona Krise hat bereits viele teure Fehlentscheidungen gesehen, zum Beispiel, sich im Januar nicht intensiv mit dem Virus in China zu beschäftigen oder im Februar keine Vorbereitungen für eine Pandemie zu treffen – oder im März sich nicht durch konsequentes Datensammeln eine Entscheidungsgrundlage erarbeitet zu haben.
Die Stopp-Taste am 16. März zu drücken, war deswegen zunächst richtig, denn aufgrund der vorherigen Versäumnisse gab es fast kein relevantes Wissen über das Virus. Aber mittlerweile wissen wir mehr, und die Zahlen sprechen eine zunehmend klare Sprache. In der Rekordjagd nach der teuersten Fehlentscheidung dürfte der 15. April jetzt einen neuen Spitzenwert verbuchen. Es wäre besser gewesen, die Bundeskanzlerin hätte das Bulletin ihrer oberen Bundesbehörde Robert-Koch-Institut vom selben Tag gelesen. Als promovierte Naturwissenschaftlerin kann sie diese Zahlen schließlich selbst verstehen und einordnen.
Der Beitrag erschien zuerst bei ACHGUT hier