Der Witterungsverlauf seit Herbst 2019
Über den Verlauf seit Beginn der markanten Zirkulationsanomalien von Februar 2018 bis zum Sommer 2019 wurde beim EIKE schon hier und hier ausführlich berichtet. Der September 2019 brachte den typischen Mix aus Altweibersommerwetter und wechselhaften Phasen, allerdings um den 19. schon vereinzelte Bodenfröste, während im Oktober nach kühlen ersten Tagen mit Bodenfrösten feucht-mildes Herbstwetter überwog. Ersten Nachtfrösten um das Monatsende folgte ein wechselhafter, durchschnittlicher, regenreicher November, der zur sehr milden Westwind-Witterung des Dezembers überleitete. Im Januar 2020 bestimmte sehr hoher Luftdruck über Nordwest-, Mittel- und Südosteuropa mit langen, niederschlagsfreien Phasen das Geschehen, was besonders nordöstlich der Elbe durch einfließende Nordseeluft extrem mildes Wetter zur Folge hatte; in Süddeutschland kühlte sich die Luft bei Windstille hingegen zeitweise stark ab; es traten mäßige, vereinzelt strenge Nachtfröste auf. Der zweitwärmste Februar seit 1881 wurde praktisch vollständig von mildem, stürmischem, regenreichem Westwetter dominiert, welches sich noch bis Mitte März fortsetzte; pünktlich zum kalendarischen Frühlingsbeginn setzte eine massive Kaltluftzufuhr, erst aus Nordost, dann aus Nord, ein. Dabei entstand am letzten Märzwochenende ein rekordverdächtig starkes Hochdruckgebiet auf dem Ostatlantik:

Abbildung 1: Wetterkartenausschnitt vom 29. März 2020 mittags. Man erkennt südlich von Island ein extrem starkes Atlantik-Hoch mit einem Kerndruck von 1055 hPa, das an seiner Ostflanke arktische Kaltluft nach Deutschland lenkt. Ob das ein neuer Luftdruck-Rekord ist, konnte wegen fehlender Unterlagen nicht eindeutig geklärt werden. Bildquelle Archiv wetter3.de, leicht verändert und ergänzt.


Erst mit Aprilbeginn setzte eine allmähliche Erwärmung ein.
Werden die ausgleichend wirkenden Westwetterlagen seltener?
Westwetterlagen (auch zonale Lagen genannt) haben im Jahresmittel kaum Einfluss auf die Deutschland-Temperaturen, denn ihr stark wärmender Einfluss im Winter wird durch ihren kühlenden Einfluss im Sommer fast ausgeglichen; außerdem sind sie unsere „Regenbringer“ und aufgrund ihrer Häufigkeit sozusagen das „normale“ Wetter – aber wie wir gleich noch sehen werden, können Zirkulationsanomalien mitunter auch bei Westlagen auftreten, dann nämlich, wenn sie mit Sturm und Starkregen über die Stränge schlagen wiez. B. im Februar 2020. Ihre Gegenspieler sind die so genannten meridionalen oder meridianen Wetterlagen, das sind alle Nord-, Ost- und Südlagen, von denen die Ostlagen wegen ihrer Winterkälte und Sommerhitze gefürchtet sind, während nördliche Lagen besonders im Frühling und Herbst markant zu kalt, Südlagen außer im Winter fast stets markant zu warm ausfallen. Die Behauptung, es gebe neuerdings mehr Extremwetter, lässt sich anhand der langfristigen Häufigkeitsentwicklung dieser beiden Gegenspieler aber nicht belegen:

Abbildung 2: Deutliche Häufigkeitsabnahme der (zonalen) West- und nicht signifikante Zunahme der meridionalen Großwetterlagen in Mitteleuropa. Lineare Trends (fette Linien) und 21ig-jährige Gleitmittelwerte, endbetont (halbfette Linien).


Aber wenn die zu Extremwetter neigenden Lagen den Häufigkeitsschwund der Westlagen nicht ausgleichen konnten, welche waren es dann? Es sind, wie in früheren Arbeiten des Verfassers schon öfters erwähnt, die zur gemischten Zirkulation zählenden, im Jahresmittel stark erwärmend wirkenden Südwestlagen; diese haben einen westlichen und einen südlichen Strömungsanteil und zählen daher zur gemischten Zirkulation:

Abbildung 3: Seit 1881, dem Beginn der Erstellung halbwegs verlässlicher Wetterkarten, hat sich die Häufigkeit der in Deutschland stark erwärmend wirkenden Südwestlagen merklich erhöht. Außerdem erwärmte sich der Nordatlantik, wobei es eine schwächere Warmphase um 1900, eine stärkere um 1945 und eine aktuelle, sehr starke, gibt. Die Kurvenverläufe der gleitenden Mittelwerte (fette Kurven) ähneln sich, wobei die AMO etwa 20% der Häufigkeitsvariabilität der SW-Lagen erklärt. Fast alle Jahre ganz ohne SW-Lagen traten vor 1950 auf; danach war nur 1991 frei von SW-Lagen; 2019 hatten wir 44 Tage.


Südwestlagen können, besonders in ihrer antizyklonalen Form, zwischen Mai und Oktober mitunter auch Hitzewellen auslösen. Und eine mögliche Ursache ihrer Häufigkeitszunahme haben wir nun gleich mit kennengelernt – die AMO (AMO = Atlantische Mehrzehnjährige Oszillation, ein Index für die gemittelten Meeresoberflächentemperaturen im zentralen Nordatlantik). Ob und wann jedoch das Ende der aktuellen AMO-Warmphase und damit auch der häufigen SW-Lagen schon begonnen hat, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Hingegen lässt sich die Häufigkeitsabnahme der Westwetterlagen im Jahresmittel nicht zweifelsfrei erklären; möglicherweise kommt hierfür die seit 1990 stark nachlassende Sonnenaktivität in Betracht. Bliebe außerdem zu erwähnen, dass die Häufigkeit der Westwetterlagen nur von Frühling bis Herbst, besonders im Sommer, nicht aber im Winter, abnahm, was einer gesonderten Erklärung bedarf.
Viele, sehr intensive Westwetterlagen im Winter 2019/20 – warum?
Freuer (2020) hat in seiner Arbeit „Über einen möglichen Zusammenhang zwischen winterlichem Polarwirbel und Winterkälte in Mittleren Breiten“ hier bei EIKE dargelegt, was ein Polarwirbel ist, und wie er die Winterwitterung in Mitteleuropa beeinflussen könnte. Da es an einem lange zurückreichenden Archiv von Stratosphärenkarten mangelt, erweist es sich als praktisch, die beim USA-Wetterdienst NOAA seit 1948 verfügbaren Angaben zu den Temperaturen in der Stratosphäre über der Arktis zu nutzen; für die folgenden Untersuchungen wurden die 50hPa-Stratosphärentemperaturen über dem Nordpol verwendet. Die Sachlage stellt sich folgendermaßen dar: Je kälter es dort im Winter ist, desto kräftiger ist tendenziell der die Zirkulation beeinflussende Polarwirbel. Setzt man diese Nordpol-Stratosphärentemperatur nun in Relation zu den Wintertemperaturen in Deutschland, so zeigt sich tatsächlich ein, wenn auch schwacher, negativer Zusammenhang – tendenziell hat ein kalter Polarwirbel einen Mildwinter in Deutschland zur Folge! So auch 2019/20, als über dem Nordpol im Wintermittel minus 77,7°C gemessen wurden – deutlich kälter als der Mittelwert 1948/49 bis 2018/19 mit minus 69,4°C. Ähnliche Verhältnisse herrschten in den Mildwintern 1973/74, 1975/76, 1982/83, 1989/90, 1992/93, 1999/2000, 2006/07, 2013/14 und 2015/16; doch kann die polare Stratosphärenkälte nicht jeden Mildwinter erklären; in seltenen Fällen (1985/86 und besonders 1995/96) hatte sie auch Kaltwinter zur Folge. Es stellt sich aber die spannende Frage, ob engere Beziehungen zu den Häufigkeiten der Westwetterlagen und zu den Index-Werten der NAO bestehen. Der NAO-Index (Nordatl. Oszillation) ist ein Maß für das Luftdruckgefälle zwischen den Azoren und Island; bei hohen, positiven Werten stehen sich ein jeweils kräftiges Azoren-Hoch und Island-Tief gegenüber, was Westlagen begünstigt; bei sehr negativen Werten tauschen Hoch und Tief die Plätze (Island-Hoch und ein Tief über SW-Europa; es kommt dann oft, aber nicht zwangsläufig, zu Kälteeinbrüchen aus Nord oder Nordost in Mitteleuropa). Tatsächlich findet sich für den Winter ein freilich nur mäßiger Zusammenhang zwischen der Stratosphärentemperatur am Nordpol und den NAO-Werten:

Abb. 4: Obwohl der statistische Zusammenhang zwischen der winterlichen Stratosphären-Temperatur über dem Nordpol und dem winterlichen NAO-Index nur mäßig ist, deutet er darauf hin, dass ein intensiver, kalter Polarwirbel die winterliche Westwind-Zirkulation beschleunigt und damit Mildwinter in Deutschland begünstigt.


Leider liegen die genauen NAO-Daten für den Mildwinter 2019/20 noch nicht vor, doch verdeutlicht die folgende Abbildung das markante Vorherrschen positiver NAO-Werte und deren jähen Absturz ins Negative nach Mitte März, was dann die für den Frühling so typische Umstellung der Zirkulation auf Nord bis Ost mit später Kälte und beginnender Dürre auslöste:

Abbildung 5: Täglicher Verlauf der NAO seit Mitte Dez. 2019. Bildquelle NOAA.gov, ergänzt.


Damit ist klar: Mildwinter in Deutschland werden zumindest durch unterdurchschnittliche Stratosphären-Temperaturen begünstigt – je niedriger diese sind, desto eher dominieren positive NAO-Werte, was die Intensität und die Häufigkeit milder Westwetterlagen erhöht; freilich ist hier noch viel Forschungsarbeit zu leisten. Im Winter 2019/20 kamen außerdem noch sehr hohe AMO-Indexwerte, besonders im Februar, hinzu. Ob die Kombination hoher AMO-Werte und sehr niedriger Stratosphärentemperaturen über der Arktis die Wahrscheinlichkeit sehr milder Winter weiter erhöht, bedarf noch einer Klärung.
Beeinflusst die Sonnenaktivität die arktischen Stratosphärentemperaturen?
Mit der winterlichen Abkühlung alleine lässt sich die Lage des Polarwirbels über der Arktis nicht erklären, denn viel weiter südöstlich, im Inneren Sibiriens, herrschen deutlich tiefere Wintertemperaturen. Eine wesentliche Rolle spielt vielmehr das winterliche Fehlen der Sonne über der Arktis; damit fehlt das für die stratosphärische Ozonbildung erforderliche kurzwellige UV-Licht. Bei den komplizierten Prozessen des Ozonumsatzes wird jedoch Wärme frei – dies ist auch der Grund dafür, warum es in Teilen der Stratosphäre wärmer sein kann, als in der oberen Troposphäre. Wenn im Spätwinter die Sonne über der Arktis aufgeht, beginnt die Ozonbildung und leitet den Zerfall des Polarwirbels ein; erst im Herbst entsteht er neu. Nun strahlt aber die Sonne in Zeiten höherer Aktivität etwas mehr kurzwelliges UV ab, was zu mehr Ozonbildung in der Stratosphäre führen könnte und damit diese von Frühling bis Herbst stärker erwärmt. Momentan lässt die Sonnenaktivität stark nach, was zwar im Winter keine Rolle spielt, weil sie da nicht scheint, aber in den anderen Jahreszeiten zu sinkenden arktischen Stratosphärentemperaturen führen müsste, was dann einen zeitigeren und tendenziell kälteren winterlichen Polarwirbel entstehen lässt. Tatsächlich deutet sich ein derartiger Trend an:

Abbildung 6: Langfristige Abnahme der herbstlichen Stratosphärentemperatur (50hPa) über dem Nordpol. Bislang noch kein negativer Langfristtrend im Winter; doch nach dem Jahr 2000 deutet sich auch hier ein leichter Rückgang an.


Diese Zusammenhänge könnten auch erklären, warum der Winter die einzige Jahreszeit ist, in welcher die Westlagen nicht seltener wurden. Aber warum gab es dann während der „Kleinen Eiszeit“ mit ihrer sehr inaktiven Sonne so viele bitterkalte Winter in Europa, welche momentan fehlen? Damals dauerte die Ruhephase der Sonne sehr lange, nämlich über ein halbes Jahrhundert. Möglicherweise wurde damals der winterliche Polarwirbel immer kälter und größer, bis er irgendwann auch in die mittleren Breitengrade reichte. Damit verlief aber das Westwindband immer weiter südlich, bis schließlich Mitteleuropa auf seine kalte Seite gelangte; das entspräche der Großwetterlage „Südliche Westlage“, welche auch den in Norddeutschland extrem kalten Winter 1978/79 einleitete; momentan ist diese Wetterlage selten. Hier besteht noch viel Forschungsbedarf; doch sollte die aktuelle inaktive Sonnenphase noch lange anhalten, kann mein eine starke Klima-Abkühlung nicht ausschließen.
Zirkulationsstörungen 2020 und Vegetationsentwicklung
Die Bauern-Regeln „April dürre, macht die Hoffnungen irre“ oder „Mai trocken, macht alles Wachstum stocken“ sind uns von den vergangenen Jahren mit ihren im Frühling sehr ausgeprägten Zirkulationsstörungen in unguter Erinnerung; und nach dem Witterungsumschwung ab dem 20.März drohen weitere Zirkulationsanomalien. Auch im Frühling deuten sich nämlich Zusammenhänge zwischen den stratosphärischen Temperaturen über der Arktis und den Zirkulationsverhältnissen an; unter anderem werden die gefürchteten Ostlagen durch positive Anomalien der Stratosphärentemperaturen am Nordpol gefördert. Die Stratosphären-Vorhersagen lassen da zumindest für die nächsten Wochen nichts Gutes erahnen:

Abbildung 7: Vorhersage der Stratosphären-Temperaturen über der Nordhalbkugel für den 21.April 2020 (10 hPa-Niveau) . Der winterliche Polarwirbel ist längst verschwunden – es herrschen nun gegensätzliche Verhältnisse. Über dem Nordpol liegt Warmluft (gelb); über den mittleren Breiten ein Band kälterer Höhenluft (blau). Quelle meteociel.fr


Hinzu kommen die hohen AMO-Werte; diese hatten besonders im April tendenziell erhöhte Lufttemperaturen in Deutschland zur Folge:

Abbildung 8: In AMO-Warmphasen fällt der April in Deutschland eher wärmer aus. Der Zusammenhang ist nur schwach, aber trotzdem spürbar.


April-Wärme fördert aber die Verdunstung – schon um den 5.April bildeten sich Trockenrisse in den Böden.

Abbildung 9: Die wegen der März-Kälte wochenlang blühenden Osterglocken kämpfen nun mit der beginnenden Dürre – ähnlich, wie 2018. Foto: Stefan Kämpfe


Und welche Schäden die Spätfröste Ende März anrichteten, ist noch gar nicht voll absehbar. Ihre enorme Stärke könnte in selbst noch geschlossenen Blütenknospen die Narbe und den Fruchtknoten geschädigt haben, doch Genaueres wird sich erst in den kommenden Wochen zeigen.

Abbildung 10: Frühtemperaturen bei der antizyklonalen Ostlage am 23.03.2020. In Südostdeutschland wurden minus 4 bis unter minus 10 Grad gemessen, und die Wetterstationen stehen nicht in den Kältelöchern. Bildquelle wetterzentrale.de


Wie dramatisch sind die aktuellen Zirkulationsanomalien?
So unangenehm die momentanen Witterungsanomalien auch sein mögen, sie sind harmlos im Vergleich zu historischen Ereignissen. Ein Blick auf die beiden wohl dramatischsten Naturkatastrophen Mitteleuropas während der letzten 1.000 Jahre reicht schon aus. Das erste Ereignis war das so genannte Magdalenen-Hochwasser vom Juli 1342. Bei diesem Ereignis wurden an vielen Flüssen die höchsten jemals registrierten Wasserstände erreicht. Möglicherweise handelte es sich um das schlimmste Hochwasser des gesamten 2. Jahrtausends im mitteleuropäischen Binnenland; fast die gesamte Ernte wurde zerstört; es entstanden bis zu 14 Meter tiefe Erosionsschluchten; und die Zahl der Todesopfer ging vermutlich in die Zehntausende. Bei dem anderen Ereignis, der „zweiten Marcellus-Flut“ im Januar 1362, ertranken im Nordseeraum mehrere hunderttausend Menschen, etwa 100.000 Hektar bestes Ackerland gingen verloren, und die Nordseeinsel Rungholt, auch „Atlantis des Nordens“ genannt und damals der größte nordische Handelsplatz, versank bei dieser schweren Sturmflut. Gegen diese Beispiele sind die Hochwasser von 2002 und 2013 oder die Stürme „Lothar“ und „Kyrill“ unbedeutend. Wenn unsere Gesellschaft schon durch ein mäßig-infektiöses Virus an den Rand des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ruins gerät – was würde wohl passieren, träfe sie eine solche Naturkatastrophe wie im 14. Jahrhundert (kurz nach diesen beiden Katastrophen zog 1347 die Pest ein und tötete etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung – mit Panik-Medien wie ARD und ZDF hätten sich vermutlich die zwei Drittel der Überlebenden auch noch zu Tode gestürzt).

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