Jeder, der es heutzutage noch wagt, in ein Flugzeug zu steigen, habe diese zu empfinden. Doch das ist offenbar nicht genug, wie eine weitere Wortschöpfung zeigt, die jetzt ins Spiel kommt: Reisescham. Neben dem Fliegen sollen wir uns nun für restlos jede Form des Reisens schämen.

Eine volle diesbezügliche Breitseite feuerte kürzlich Julia Friese auf „Zeit Online“ ab. Nach Angaben der Redaktion liest uns hier „Deutschlands größte Pop-Autorin, Musikkritikerin und Kolumnistin“ die Leviten. Selbst offenbar schon fast überall auf der Welt gewesen, schleuderte die 40-Jährige den Deutschen ein wütendes „Bleibt verdammt noch mal zu Hause!“ entgegen und fügte dann mit erhobenem Zeigefinger hinzu: „Flugscham reicht nicht. Reisescham ist angebracht.“

Das Ganze atmet wieder die typische Attitüde der neuen Klima-Pharisäer: Wasser predigen, aber selbst Wein schlürfen. Denn die Idee, dass man auf Reisen besser verzichten solle, kam Friese justament während eines Trips durch Japan.

Dabei argumentiert die Künstlerin im Unterschied zu anderen Feinden des Reisens wie Anne Kretzschmar und Matthias Schmelzer von der „Klimagerechtigkeitsgruppe“ namens „Am Boden bleiben“ keineswegs nur mit der schlechten CO2-Bilanz des Reisens. Vielmehr nörgelt sie auch noch in ebenso infantiler wie küchenpsychologischer Manier: „Touristen glotzen blöd, zerstören Kulturen und hassen sich letztlich selbst dafür.“

So etwas nennen Fachleute für seelische Störungen Projektion. Hierbei kommt es zu einer Übertragung der eigenen, innerpsychischen Konflikte, Wünsche und Emotionen, welche man irgendwie nicht im Griff hat, auf andere Personen. Vielleicht ist die Weltenbummlerin einfach zu viel gereist und nun übersättigt?

Ansonsten begründet Friese die Sinnlosigkeit des Reisens, die zwangsläufig Reisescham verursachen müsse, noch folgendermaßen: „Tourismus schadet nicht nur der Umwelt, er macht die Welt insgesamt zu einem musealen Ort. An dem mal etwas war, aber nicht mehr viel ist, außer der Aufführung dessen, was längst vergangen ist … Eine Kultur lässt sich besuchend nicht erfahren. Man kann sie nur leben oder sie sich von denen, die sie leben, erzählen lassen.“

Wir sollen also jetzt auf das „unsinnige Privileg“ verzichten, die Welt mit eigenen Augen zu sehen und uns eine Meinung vor Ort zu bilden. Denn viele von uns reisen ja nicht, um einen Dauerplatz an der Sonne zu ergattern und sich dann dort an deutschem Bier und Schnitzel zu laben. Stattdessen geht es darum, den Horizont zu erweitern und ebendiese Offenheit im Umgang mit dem Fremden zu erwerben, welche neuerdings zur Schlüsselqualifikation jedes anständigen Bürgers der Bundesrepublik Deutschland hochstilisiert wird. Würden wir tatsächlich der Reisescham erliegen und künftig zu Hause bleiben, wie Friese mit gretagleicher Grimmigkeit fordert, könnte uns das glatt zu „Rassisten“ oder anderen Finsterlingen machen. Das dürfte ja wohl niemand wollen!

Oder geht es bei der Implementierung der Reisescham eher darum, den deutschen Michel in seinem Ländle festzuhalten, damit er in Zukunft alle Märchen über den Zustand der Welt „da draußen“ glaubt? Denn dann würde seine Bereitschaft, die „armen Menschen“ von überallher hereinzulassen, natürlich ins schier Endlose steigen. 

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)*  Anmerkung der EIKE-Redaktion :

Dieser Aufsatz ist zuerst erschienen in der Preußischen Allgemeinen Zeitung; 1. November 2019, S.12; EIKE dankt der PAZ-Redaktion sowie dem Autor Wolfgang Kaufmann für die Gestattung der ungekürzten Übernahme, wie schon bei früheren Artikeln :   https://www.preussische-allgemeine.de/

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