von Wolfgang Meins

Gerade noch wurde die Wissenschaftskultur in der Medizin – im Vergleich zu Geisteswissenschaften und dem Mainstream der Klimawissenschaft – auf achgut.com als überwiegend intakt gelobt und nun so etwas: Das Deutsche Ärzteblatt (Auflage 315.000) hat es schwer erwischt. Es hat sich mit dem Klima-Hype-Virus infiziert. Ausbaden dürfen das jetzt die Leser. Ihnen wird in Heft 31/32 das Schwerpunktthema „Erderwärmung und Gesundheit in Deutschland“ zugemutet.

Das Elend fängt gleich beim Editorial an, wo man den Lehrstuhlinhaber für Sozial- und Umweltmedizin am Klinikum der Universität München zu Worte kommen lässt. Der allerdings hat nicht mehr zu bieten als die öffentlich-rechtlichen Nachrichtensprecher:

„Die Erderwärmung hat zur Folge, dass Hitzewellen und Waldbrände häufiger und in extremerem Maße als bisher auftreten. Extremniederschläge nehmen zu, der Meeresspiegel steigt und derzeit bewohnte Inseln verschwinden.“

Es folgen dann eine überwiegend sachliche Übersicht zur Behandlung bei Hitzschlag und Sonnenstich sowie zwei Forschungsberichte. Einen davon hat bereits ScienceFiles gewürdigt, der andere soll hier näher unter die Lupe genommen werden.

Es geht um die „Zukünftige Häufigkeit temperaturbedingter Herzinfarkte in der Region Augsburg“. Zu verantworten haben diese Arbeit neun Autoren, wobei der Erstautor aus dem Helmholtz-Zentrum München stammt. Offensichtlich will man die tragende methodische Säule der Lehre von der globalen Erwärmung – Hochrechnungen, Prognosen oder auch Spekulationen jeglicher Art – in die Medizin transplantieren. Also eine Art „Was-wäre-wenn-Wissenschaft“ etablieren.

Die Temperaturentwicklung im Augsburger Winter zeigt nichts auffälliges. Daten DWD, Grafik J. Kowatsch

Eher die Kälte ist der Feind des Herzkranken

Zielsetzung der Autoren war es, die Zahl künftiger temperaturbedingter Herzinfarkte für bestimmte „Klimawandel-Szenarien“ zu prognostizieren, „ausgehend von einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad, 2 Grad oder 3 Grad Celsius“.

Sollte es gelingen, so ein Ergebnis der Studie, die „globale Erwärmung auf 1,5 Grad“ zu begrenzen, würden unter den ca. 400.000 Einwohnern von Augsburg und Umgebung pro Jahrzehnt sechs Herzinfarkte weniger auftreten als im Vergleichszeitraum 2001 bis 2014. Ein abnehmendes Herzinfarktrisiko bei steigender Temperatur ist allerdings nicht besonders überraschend, da nach bisherigem medizinischen Kenntnisstand eher die Kälte der Feind des Herzkranken ist, nicht aber wohlige Wärme.

Aber das dicke Ende kommt natürlich noch, jedenfalls wollen die Autoren das den Ärzteblatt-Lesern unterjubeln: Ab einer bestimmten Temperaturzunahme würde sich dieser günstige Effekt nämlich umkehren, weil dann die „hitzebedingte“ (!) Zunahme von Infarkten größer sei als deren Abnahme durch „wärmere Winter“. Bei einer Erwärmung um 2 Grad Celsius müssten die Augsburger pro Jahrzehnt mit einer „Nettoveränderung“ von 18 zusätzlichen und bei 3 Grad von 63 zusätzlichen Herzinfarktfällen rechnen. Die ebenso messerscharfe wie beinharte Schlussfolgerung der Forscher angesichts dieser Ergebnisse:

„Die Erfüllung des Übereinkommens von Paris mit Eindämmung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad C ist daher essentiell, um durch den Klimawandel verursachte zusätzliche Herzinfarkte zu vermeiden.“

Das Forscherteam wäre allerdings gut beraten gewesen, den Ball flach, aber ganz flach zu halten. Denn die eben erwähnten Ergebnisse für die drei Temperaturszenarien sind naturgemäß jeweils nur grobe, also fehlerbehaftete Schätzungen. Es ist dementsprechend unwahrscheinlich, dass die wahre Größe des Effektes exakt diejenige ist, die in der Studie beobachtet wurde. Deshalb benötigt man in der empirischen Forschung ein zusammenfassendes Maß für die statistische Genauigkeit der Schätzung, also den Wertebereich, der mit (z.B.) 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit die wahre Effektgröße einschließt. Diese Wertebereiche – die Vertrauens- oder, etwas vornehmer, Konfidenzintervalle – geben die Autoren auch an. Allerdings berücksichtigen sie die Konfidenzintervalle bei ihrer vollmundigen Interpretation überhaupt nicht, denn ansonsten könnten sie ja ihre in Wirklichkeit unbegründete Kernbotschaft – steigende Temperaturen führen unterm Strich zu mehr Herzinfarkten – nicht unter den statistisch unbedarften Teil der Ärzteschaft bringen.

Statistische Signifikanz deutlich verpasst

Warum trifft die Botschaft der Herzinfarktforscher nicht zu? Ganz einfach: Die entscheidende Größe, die jeweiligen Nettoveränderungen pro Jahrzehnt – also die temperaturabhängige Zunahme von Herzinfarkten minus der temperaturabhängigen Abnahme von Herzinfarkten –, fällt für alle drei Temperaturszenarien statistisch schlicht nicht signifikant aus. Das verraten uns eindeutig die von den Autoren angegebenen Konfidenzintervalle: Die wahren Nettoveränderungen bei einer Temperaturzunahme um 1,5 Grad liegen mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit zwischen minus 60 und plus 50, bei 2 Grad zwischen minus 64 und plus 117 und bei 3 Grad zwischen minus 83 und plus 257. Ein statistisch signifikantes Ergebnis hätte aber vorausgesetzt, dass die Null nicht im Vertrauensintervall enthalten ist, Ober- und Untergrenze des Vertrauensintervalls sich also entweder nur im positiven oder aber nur im negativen Bereich befinden.

Schaut man sich die Vertrauensbereiche unter diesem Gesichtspunkt noch einmal an, muss man zudem feststellen, dass statistische Signifikanz hier nicht etwa haarscharf verpasst wurde, sondern sehr deutlich. Damit ist es unter keinen Umständen statthaft, die Ergebnisse zu interpretieren oder gar irgendwelche Empfehlungen daraus abzuleiten. Angemessen wären allenfalls Überlegungen, warum es nicht gelang, statistische Signifikanz zu erreichen. Im Übrigen wäre angesichts des internationalen Forschungsstandes eine temperaturabhängige Netto-Zunahme von Herzinfarkten auch sehr unwahrscheinlich, wie man hier nachlesen kann.

Aber vielleicht liegt diese Ignoranz gegenüber dem kleinen Einmaleins der empirischen Forschung daran, dass es sich bei dem Autorenteam – und bei denjenigen, die die Arbeit für das Deutsche Ärzteblatt begutachtet und für gut befunden haben – weniger um Wissenschaftler, sondern eher um Aktivistenkollektive handelt. So lassen es sich die Autoren beispielswiese nicht nehmen, dem Klimakampf in ihrem Artikel ein eigenes Kapitel zu widmen, was in dieser Art für eine medizinisch-wissenschaftliche Publikation ausgesprochen ungewöhnlich ist.

Fachkräfte im Gesundheitswesen als Klimakämpfer

Die Autoren formulieren dort vollmundig und völlig losgelöst von den tatsächlichen (nicht signifikanten) Ergebnissen:

„Mit der Fähigkeit, sich effektiv gegen die Gesundheitsgefahren des Klimawandels einzusetzen, sollten Fachkräfte im Gesundheitswesen eine führende Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen.“ Diese sollten „die Öffentlichkeit und politische Entscheidungsträger über die potenziellen gesundheitlichen Risiken des Klimawandels und die Vorteile von Klimaschutzmaßnahmen (…) informieren“.

Da muss man sich für die Zukunft ja wohl auf einiges gefasst machen, zumal der Klimawandel Schwerpunkt beim Ärztetag im nächsten Frühjahr sein wird.

Die Studie hat aber noch mindestens einen weiteren Haken, der sich in einer anderen, englischsprachigen Veröffentlichung  des Autorenteams findet. Denn vor ihrem virtuellen Ausflug in verschiedene Temperaturszenarien künftiger Jahrzehnte galt es, noch zwei Probleme zu lösen. Zunächst musste in dem seit mehreren Jahrzehnten in Augsburg angesiedelten Herzinfarkt-Register, wo zahlreiche medizinische und soziale Merkmale von Herzinfarkt-Patienten gespeichert sind, für jeden einzelnen Fall nachträglich die jeweilige Umgebungstemperatur zum Erkrankungszeitpunkt ermittelt und eingefügt werden. Außerdem galt es noch, die Frage zu beantworten, ob die Temperatur das Herzinfarktrisiko überhaupt beeinflusst und wenn ja, in welchem Maße. Dieses Problem lässt sich nämlich nicht „virtuell“ lösen, sondern nur anhand von Originaldaten, aus denen die sogenannte Dosis-Wirkungs-, also Temperatur-Herzinfarkt-Beziehung zu berechnen ist. Die aus dieser Berechnung resultierende Größe ist dann später eingegangen in die Prognosen zur künftigen Herzinfarkthäufigkeit für die drei verschiedenen Temperaturszenarien.

Leider hat das Forscherkollektiv damals einen Wink des Schicksals leichtfertig ignoriert. Denn, große Überraschung, die mittlere Temperatur für die bei diesen Berechnungen zu vergleichenden zwei Zeiträume – 1987 bis 2000 gegenüber 2001 bis 2014 – unterschied sich gerade mal um sagenhafte 0,1 Grad: 9,6 gegenüber 9,7 Grad. Die dadurch ausgelöste Depression unter den Forschern kann man sich ja lebhaft vorstellen.

Der menschengemachte Klimawandel als Basis der Karriereplanung

Seriöse Wissenschaftler jedenfalls hätten damals innegehalten, überlegt, diskutiert und dann ihr Vorhaben beerdigt – und zwar aus drei Gründen: weil sich unübersehbar die Erwärmung offenbar sehr stark abgeschwächt oder eine Pause unbekannter Dauer eingelegt hat, weil die seinerzeit gängigen Klimaprojektionen die tatsächliche Temperaturentwicklung völlig falsch vorhergesagt haben und es eher unwahrscheinlich ist, dass das bei den aktuellen Prognosen anders sein wird, und weil es bei dieser geringen „Dosis“ von 0,1 Grad über einen Zeitraum von immerhin vierzehn Jahren wenig erfolgversprechend erscheint, daraus eine relevante Wirkung auf das Herzinfarktrisiko ableiten zu können.

Aber so funktioniert Wissenschaft bei Gläubigen eben nicht. Und wenn dann noch der menschengemachte Klimawandel wesentliche Basis der Karriereplanung ist, natürlich erst recht nicht. Dann heißt es nicht nur Augen zu und durch, sondern es sind jetzt auch alchemistische Fähigkeiten gefragt. Da ist dann die Versuchung groß, die Daten mit verschiedenen Verfahren so lange zu quälen, bis es gelingt, aus dem Temperaturunterschied von lediglich 0,1 Grad doch noch eine verwertbare statistische Funktion herauszuquetschen.

Bleibt zum Abschluss nur die traurige Feststellung, dass die eigentlich gut etablierten wissenschaftlichen Standards und Ideale in der Medizin offenbar dann rasch zur Disposition stehen, wenn sie in Berührung geraten mit einem unter der Flagge der politischen Korrektheit segelnden Thema.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors. Der Artikel erschien zuerst bei der Achse des Guten.

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger im sozial- und zivilrechtlichen Bereich.   

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