»Der Dorfteich war im Mittel einen Meter tief, trotzdem ist die Kuh ersoffen.« Mit diesem Spruch wird vor allzu sorglosem Umgang mit Zahlen gewarnt, die aus statistischen Berechnungen folgen. Obwohl mathematisch exakt ermittelt, entpuppt sich ein Mittelwert bei genauerem Hinsehen manchmal als gefährliche Halbwahrheit.

Die Aussage »Erneuerbare decken 38 Prozent des Stromverbrauchs« ist eine solche Halbwahrheit.

Die Angabe von jahresgemittelten Prozentwerten ist zwar meist ausreichend zur Charakterisierung der Beiträge sowohl der konventionellen als auch der nichtvolatilen erneuerbaren Energiequellen wie Biomasse und Wasserkraft an der Stromversorgung. Ganz anders ist es allerdings bei den volatilen Erzeugern wie Windund Sonnenenergie. Deren Einspeiseleistung weist extreme Schwankungen auf, die sich nicht wie gewohnt durch eine Verteilung entsprechend einer Gaußschen Glockenkurve beschreiben lassen.

Große Fluktuationen von Windstrom: Anzahl der Stunden des Jahres 2018 in Abhängigkeit von der Einspeiseleistung aller Windkraftanlagen an Land in Deutschland. Grafik Rolf Schuster

In der Grafik ist dargestellt, an wievielen Stunden des Jahres 2018 eine bestimmte Leistung durch alle Windenergieanlagen (WEA) an Land in Deutschland in das Stromnetz eingespeist wurde. Leistungsangaben wurden auf volle Gigawatt gerundet. Die Verteilung ist unsymmetrisch. Die minimale Leistung von 0,2 GW wird bei windschwachen Perioden erbracht. Die mittlere Leistung von 10,5 GW (markiert durch einen Pfeil) multipliziert mit der Gesamtstundenzahl 8760 h ergibt die Elektroenergie, die in dem betrachteten Zeitraum insgesamt durch WEA eingespeist wurde: 91,9 TWh. Im Jahresmittel wurden nur ein Fünftel der installierten Leistung von 52 GW eingespeist. Die mittlere Last betrug im vergangenen Jahr 58,1 GW. Weiterhin ist zu erkennen, dass die wahrscheinlichste Leistung am Maximum der Kurve (2,5 GW) kleiner ist als die mittlere Leistung und dass die maximale Leistung bei Starkwind (41,5 GW) ein Mehrfaches der mittleren Leistung beträgt.

Dieses komplexe Verhalten bestimmt die Grenzen der Integration volatiler Erneuerbarer in das Energieversorgungssystem. Andererseits steht aber gerade der verstärkte Zubau volatiler Quellen im Fokus der Maßnahmen im Rahmen der Energiewende in Deutschland. Ein solcher würde eine weitere Vergrößerung der Standardabweichung der Verteilung zur Folge haben. Die maximale Leistung würde weiter ansteigen, ihr Minimalwert bliebe hingegen bei einem Wert nahe Null.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma bestünde in der Speicherung von Elektroenergie bei einem Leistungsangebot oberhalb der mittleren Leistung, damit diese zu Zeiten geringer Windbzw. Sonnenleistung wieder eingespeist werden kann. Speicher mit den dazu erforderlichen Speicherkapazitäten stehen allerdings weder jetzt noch in absehbarer Zukunft zur Verfügung.

Die Angabe der zeitgemittelten Prozentwerte im Zusammenhang mit dem Zubau von volatilen Erzeugern ist insofern irreführend, da dadurch vorgetäuscht wird, das Speicherproblem sei bereits gelöst und der Strom aus erneuerbaren Energiequellenstünde schon jetzt stetig – nämlich gerade mit dem Wert der mittleren Leistung – zur Verfügung.

Auf der politischen Ebene wird daraus leichtfertig geschlossen, der prozentuale Anteil von Erneuerbaren von derzeit angeblich 38 Prozent könne innerhalb weniger Jahre auf 65 Prozent und mehr gesteigert werden. Würde der mittlere Anteil von Windund Sonnenstrom im Netz auf wesentlich mehr als etwa ein Viertel gesteigert werden, könnte unter den gegenwärtigen technologischen Bedingungen das durch physikalische Gesetze geforderte Gleichgewicht zwischen Einspeisung und Verbrauch nicht mehr eingehalten werden.

Die Methode der Verschleierung von Tatsachen durch Mittelwertbildung über stark fluktuierende Zeitreihen hat leider auch in offizielle Studien und Analysen Einzug gefunden. In einer Veröffentlichung der Denkfabrik »Agora Energiewende«, die auch die Bundesregierung berät, findet man z. B. die Darstellung einer über 24 Stunden gemittelten Einspeisung von Sonnenstrom [1]. Die dadurch ermittelten »geglätteten Ganglinien« suggerieren, dass die Sonne auch um Mitternacht scheint bzw. dass eine Speichermöglichkeit des gesamten um die Mittagszeit in Deutschland gewonnenen Sonnenstroms über einen ganzen Tag existiert. Weder das eine noch das andere ist evident.

Eine inhaltliche und auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhende ehrliche und kritische Analyse aller Maßnahmen der Energiewende ist dringend erforderlich. Nur so wird es möglich sein, sich dem ursprünglichen Ziel der Energiewende, einer ökonomisch und ökologisch verträglichen Transformation des Energiesystems unter Berücksichtigung der Versorgungssicherheit zu nähern. Dazu müssen alle auf physikalischen Erkenntnissen beruhenden technischen Möglichkeiten in die Betrachtungen einbezogen werden.

 

[1] Agora Energiewende (2017): Die Energiewende im Stromsektor: Stand der Dinge 2016. Rückblick auf die wesentlichen Entwicklungen sowie Ausblick auf 2017, S. 8.

Der Beitrag erschien zuerst bei TU Dresden hier

 

 

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