Hin und wieder äußern pessimistische Zeitgenossen, in Deutschland würde zu wenig in die Infrastruktur investiert. Das stimmt so nicht. Es geht sogar viel Geld in Technologien, die eigentlich als gestrig verschmäht werden und – merkwürdig – zuweilen spielen bei unserer Energiewende auch Emissionen keine Rolle. „Die Zeit drängt“, vermeldete die Marbacher Zeitung und meinte damit den Bau eines Kraftwerkes auf Basis von leichtem Heizöl, welches 2022 in Betrieb gehen soll. Geplant ist eine 300-Megawatt-Anlage auf dem Gelände des bestehenden Kraftwerks Marbach am Neckar, welches wohl 2023 endgültig stillgelegt wird.

Hintergrund des Vorhabens ist der Paragraf 11/3 des Energiewirtschaftsgesetzes, der den Bau von „Netzstabilitätsanlagen“ vorsieht, die nicht mit den „Netzreservekraftwerken“ zu verwechseln sind. Letztgenannte sind existierende Kraftwerke, die zumeist zur Stilllegung angemeldet sind, aber auf Grund ihrer Systemrelevanz zeitweise weiter betrieben werden müssen. Warum kann ein Kraftwerk „systemrelevant“ sein? Das hängt von der örtlichen Lage und seiner Netzanbindung ab. Im Grunde sind alle konventionellen Kraftwerke südlich der Main-Linie zu systemrelevanten befördert worden, keineswegs zur Freude der Betreiber. Diese werden für die Bereithaltung zwar entschädigt, das erweist sich aber als nicht kostendeckend. Die Besonderheit des süddeutschen Raumes ergibt sich aus der Kapazität der noch abzuschaltenden Kernkraftwerke. Im Winter 2017/18 kamen Netzreservekraftwerke immerhin an 105 Tagen zum Einsatz (Betrachtungszeitraum Oktober bis April), also fast an jedem zweiten Tag. Inzwischen stellt die Bundesnetzagentur eine Verschärfung der Situation fest.

„Netzstabilitätsanlagen“ hingegen seien nur für den „absoluten Notfall“ gedacht, versichert Bauherr EnBW aus. Da die Windstromleitungen von der Küste nach Baden-Württemberg bis zum Aus des Kernkraftwerks Neckarwestheim noch nicht fertig sein werden, brauche man „für alle Fälle“ eine solche „Anlage“, die offiziell nicht Kraftwerk heißen darf. Sie soll auch nur wenige Stunden im Jahr laufen, wie viele das sein werden, kann freilich niemand seriös sagen. Technologisch ist die geplante offene Gasturbinenanlage ein Rückschritt. 500 Grad heißes Abgas wird ungenutzt in die Atmosphäre gejagt, die effizientere Anlage Marbach 3 mit GuD-Technik nutzt die Abgaswärme und kommt auf einen Wirkungsgrad von über 50 Prozent, wird aber stillgelegt. Inzwischen hat sich leichtes Heizöl wieder verteuert, im Jahr 2000 verlangte der Großhandel noch 32 Euro pro Hektoliter, 2015 waren es dann 46 Euro, im November 2018 dann 66. In jedem Fall wird die geplante Anlage in Marbach jeglichen Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen und auch ständig beschworenen Emissionssenkungen hohnsprechen.

Neue Überlegungen ziehen den Begriff „Not“ allerdings weiter. Die Next Kraftwerke GmbH wirbt damit, Notstromaggregate als Einnahmequelle zu nutzen. Gehen wir mal davon aus, dass zum Beispiel Krankenhäuser ihre autarke Versorgung beim echten Notfall dann beherrschen und auch noch genug Diesel da ist.

Unverdrossen wird die Vermutung als Gewissheit verkündet, dass die Anbindung an Norddeutschland und dessen Windkraftanlagen die Versorgung im Süden sicher stellen könnte. Genau dies wird nicht der Fall sein. Schwankende Strommengen aus den Küstenländern können künftig weniger durch rheinländische und Lausitzer Kohlekraftwerke ausgeregelt werden, politisch veranlassten Stilllegungen geschuldet. Fehlende Planungssicherheit wie im Fall des Tagebaus Hambach kommt hinzu.

Die Apologeten der Energiewende sehen eigentlich das Erdgas als Übergangsenergie auf dem Weg in die dekarbonisierte Welt. Im Fall Marbach gibt es keine ausreichende Pipeline, zudem geht man (wohl zu Recht) davon aus, dass das Gas teurer, vielleicht sogar knapp werden könnte.

Was sagen die Umweltschützer zum Projekt Marbach? Ihre Kritik richtet sich auf den 90 Meter hohen Schornstein, der zu dem 160 Meter hohen bereits vorhandenen hinzukommt. Eine „technische Vermüllung in einem der schönsten Abschnitte des Neckars“ wird beklagt, offenbar in Unkenntnis darüber, wie andere Regionen Deutschlands, Küsten wie Mittelgebirge, mit tausenden Windkraftanlagen technisch vermüllt werden. Daneben nur noch demütige Einsicht, es sei wohl wegen der Energiewende notwendig . . .

Strahlende Klimaschützer

Das Kernkraftwerk Neckarwestheim mit einer installierten (und gefahrenen) Leistung von 2,2 Gigawatt vermeidet jährlich 10 Millionen Tonnen CO2. Netzreservekraftwerke und Netzstabilitätsanlagen sind klimapolitisch kontraproduktiv. Ginge es ums Klima, müsste man die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängern. So aber wird Neckarwestheim teilweise durch neue „CO2-Schleudern“ in Marbach und an anderen Standorten ersetzt werden.

Eine Lösung nach dem Energiewende-Lehrbuch wäre gewesen, die Ufer des Neckar mit Windkraftanlagen vollzustellen und den Zappelstrom in angeblich schon bald zur Verfügung stehenden Stromspeichern zu puffern. Marbach ist das beste Beispiel dafür, wie sich Visionen und Szenarien angesichts reeller Problemlagen ins Nichts auflösen.

Warum brauchte man bisher keine Netzstabilitätsanlagen? Weil eine ausreichende Anzahl versorgungssicherer konventioneller Anlagen zur Verfügung stand, die Strom bedarfsgerecht erzeugen konnte. Diese Zeiten gehen zu Ende. Die deutsche Energiewende ist der kostenmaximierte Weg des Umbaus eines Energiesystems:

  • Die Betreiber der Windparks erhielten auf Grund der fehlenden Koordination des Zubaus von Windkraftanlagen und verfügbarer Netze im Jahr 2017 eine Entschädigung von 610 Millionen Euro (237 mehr als 2016) für ihren Phantomstrom, den sie nicht einspeisen konnten.
  • Die Kosten für das Redispatch und Einspeisemanagement, also Eingriffe in den operativen Betrieb, beliefen sich 2017 auf 837 beziehungsweise 610 Millionen Euro.
  • Nach Abschaltung des letzten Kernkraftwerks fallen Zahlungen für entgangene Reststrommengen an die KKW-Betreiber an, die Erklärung findet sich hier.
  • Das Urteil des internationalen Schiedsgerichts ICSID zur Klage um die zwangsstillgelegten Vattenfall-Kernkraftwerke steht noch aus, aber dass Deutschland aus der Nummer gratis herauskommt, ist unwahrscheinlich.
  • Es braucht etwa 500 Millionen Euro für 1,2 Gigawatt „Stabilitätsanlagen“, die nur kurze Zeit laufen sollen und die, wie im Fall Marbach, nur für eine Lebensdauer von 10 Jahren konzipiert sind.
  • Es fallen Kosten an für in Reserve stehende Netzreservekraftwerke (s.o.).
  • Der Kohleausstieg führt zu erheblichen Aufwendungen hinsichtlich der Strukturhilfen. Die Länder fordern 60 Milliarden.
  • Minister Altmaier erwägt Entschädigungszahlungen an Kraftwerksbetreiber, um das Abschalten zu beschleunigen. Dies führt zur Verknappung des Angebots und steigenden Preisen. Ergo: Mit dem Steuergeld der Bürger wird deren Strompreis erhöht und die Wirtschaft zusätzlich belastet.
  • Das kürzlich beschlossene Netzausbaubeschleunigungsgesetz bringt höhere Entschädigungen für betroffene Land- und Forstwirte. Es können 25 Prozent des Verkehrswertes in Ansatz gebracht werden (bei Erdkabeln 35 Prozent). Gibt es binnen acht Wochen eine Einigung, greift zudem ein „Beschleunigungszuschlag“ von 50 Prozent.
  • Weiteres Klimageld fällt an. In Kattowitz wurden zusätzliche 750 Millionen Euro für den Klimafonds zugesagt, weitere 70 Millionen für Anpassungsmaßnahmen in der dritten Welt.
  • Deutschland drohen Strafzahlungen an die EU, wenn es 2020 und absehbar auch 2030 die Emissionsziele nicht erreichen wird. Dann müssen von anderen Mitgliedsstaaten CO2-Mengen gekauft werden, ein Preisschild kann man heute noch nicht beschriften.

Inzwischen dämmert es auch der CSU, dass Süddeutschland zur Sonderenergiewendezone wird. „Zur Versorgungssicherheit sind regionale Gaskraftwerke eine gute Alternative. Dazu müssen sich jedoch die nationalen Rahmenbedingungen ändern, damit klimafreundliche Gaskraftwerke rentabel werden“, so Ministerpräsident Markus Söder in seiner Regierungserklärung. Ziel müssten regionale Kapazitätsmärkte sein. Diese werden aber von der Bundesregierung abgelehnt (Gabriel seinerzeit: „Es gibt kein Hartz IV für alte Kraftwerke.“).

Bayern unterstütze zwar den nationalen Kohleausstieg, so Söder weiter, die jedoch in der Kohlekommission diskutierten Ausgleichszahlungen von 60 Milliarden Euro seien der falsche Ansatz. Dies wäre „ein nationales Energie-Umverteilungsprogramm“, bei dem Süddeutschland massiv benachteiligt würde. Dass es das nationale Energie-, also Geldumverteilungsprogramm mit dem Namen EEG schon gibt und Bayern massiv davon profitiert, davon spricht der Ministerpräsident nicht. Und dass der Große Horst den Leitungsbau verzögerte, ist bei ihm auch kein Thema.

„Der Norden hat den Wind, Ost und West Ersatzgeld für die Kohle und wo bleibt der Süden? Auch Bayern und Baden-Württemberg als Wirtschaftsregionen brauchen eine nachhaltige energiepolitische Perspektive.“ Nun, Bayern steht nicht nur hinter dem Kohleausstieg (in der falschen Annahme, davon nicht betroffen zu sein), sondern auch hinter dem Atomausstieg. Erinnern wir uns an das Abstimmungsverhalten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Atomausstiegs- gesetz 2011, so sehen wir 224 Zustimmungen und nur 5 Gegenstimmen. Inwieweit blinde Kanzlerinnengefolgschaft oder Ahnungslosigkeit die Ursachen waren, lässt sich nicht mehr feststellen. Tatsache ist, die CSU wacht spät auf.

Die niemals Gewinn erwirtschaftende Investition in Marbach zeigt, dass diese Form der Energiewende dirigistischen Eingriffe ins Energiesystem nötig macht, die mit Marktwirtschaft und Wettbewerb nichts zu tun haben und die Kosten treiben. Absehbar ist, dass der erste Spatenstich für die Anlage in Marbach feierlich begangen werden wird. Sprechen wird man visionär von einem wichtigen Schritt der Energiewende . . .

 

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