Seit dem 17. November 2018 steht in Frankreich, wieder einmal, die Revolution auf der Tagesordnung. Nach Angaben einer Polizeigewerkschaft waren über eine Million Menschen in gelben Warnwesten (Gilets jaunes) unterwegs, um wichtige Straßenkreuzungen zu blockieren. Viele von ihnen demonstrierten zum ersten Mal in ihrem Leben. Wie schon bei den Bauern-Aufständen (Jacqueries) im späten Mittelalter und bei der Großen Revolution von 1789 sind es auch dieses Mal Erhöhungen von Konsumsteuern, die das Fass zum Überlaufen brachten. Die Rolle der ungeliebten, von König Franz I. eingeführten Salzsteuer (Gabelle) spielt heute die sprunghafte Erhöhung der Steuer auf Diesel-Treibstoff. Schon jetzt nähert sich dessen Preis an der Tankstelle der psychologisch wichtigen Zwei-Euro-Grenze. Ab Januar 2019 wird er infolge einer weiteren, mit der „Energiewende“ begründeten Steuererhöhung deutlich darüber liegen.

Wozu man wissen muss, dass Diesel-Kraftstoff in Frankreich wegen er starken Lobby der Lkw-Fahrer lange Zeit relativ günstig zu haben war und dort deshalb der Diesel-Anteil auch bei Klein- und Mittelklasse-Wagen über 50 Prozent liegt. Noch vor wenigen Jahren lag der Diesel-Anteil bei den Neuzulassungen sogar über 70 Prozent. Das war wegen des geringeren Treibstoff-Bedarfs von Diesel-Motoren auch politisch so gewollt und wurde in Werbekampagnen der Regierung empfohlen. Inzwischen hat i Anti-Diesel-Propaganda er Grünen auch die Franzosen erreicht. 70 Prozent der Franzosen sind auf das Auto angewiesen, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Das trifft in noch höherem Maße für die Bewohner der der im Vergleich zu Deutschland relativ dünn besiedelten Provinz zu, während vor allem die Bewohner des dicht besiedelten Großraums Paris von gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsmitteln profitieren und wegen fehlender Stellplätze oft gar keinen Pkw besitzen. Das Mitführen gelber Warnwesten ist für französische Autofahrer Pflicht. Wer zuerst auf die Idee kam, diese zum mobilisierenden Erkennungszeichen des Protestes gegen eine erdrückende Steuerlast zu machen, ist nicht bekannt. Jedenfalls erwies sich diese Idee als genial.

Frankreich ist das Land mit der höchsten Steuer- und Sozialabgaben-Last in Europa. Diese erreichte schon im vergangenen Jahr 47,6 Prozent des Brutto-Inlands-Produkts (BIP). Der EU-Durchschnitt liegt bei 40 Prozent. In Deutschland liegt er mit 38,8 Prozent offiziell sogar noch darunter. 57 Prozent des französischen BIP gehen durch die Hand des Staates. Vor allem wegen der hohen Steuerlast und des unflexiblen Arbeitsrechts ist der Anteil der Industrieproduktion am französischen BIP in den letzten Jahrzehnten stetig gesunken. Mit einem Industrie-Anteil von nur noch 10 Prozent am BIP ist Frankreich heute (nach Griechenland) das am weitesten desindustrialisierte Land Europas. Die Industrie beschäftigt dort nur noch 2,7 Millionen Personen. Im europäischen Durchschnitt liegt der Industrie-Anteil bei 20 Prozent. In Deutschland erreicht er 23 Prozent. Noch höher ist er in der wohlhabenden Schweiz. Das zeigt, dass es eine enge Korrelation zwischen dem Industrie-Anteil am BIP und der Wirtschaftskraft eines Landes gibt. Um Frankreichs Führungsanspruch über Europa zu untermauern, hat der französische Staatspräsident Emmanuel Macron deshalb versprochen, die Steuerbelastung der Industrieproduktion zu vermindern und stattdessen den Umweltverbrauch stärker zu besteuern. Das Ganze läuft unter dem Etikett „Energiewende“ oder „Große Transformation“. Macron hat sich nicht weniger in den Kopf gesetzt, als das Pariser Klima-Abkommen ohne und gegen US-Präsident Donald Trump umzusetzen.

Doch darin können und wollen die in der Provinz verwurzelten Angehörigen der „France périphérique“ den entwurzelten Technokraten in den Pariser Ministerien nicht folgen. Für sie sind Pkws und bezahlbarer Kraftstoff lebensnotwendig. Sie wissen auch, dass Frankreich dank seines hohen Kernenergie-Anteils an der Elektrizitätserzeugung mit seiner CO2-Bilanz schon recht gut dasteht. Und sie sehen nicht ein, dass sie mit der Diesel-Steuer die parasitären Hobbys der Pariser Bobos (Bourgeois bohémiens) subventionieren sollen, die so oft sie wollen mit steuerfreiem Kerosin um die halbe Welt fliegen können. Nicht zuletzt ist ihnen bewusst, dass der französische Staat die geplanten zusätzlichen Steuereinnahmen nur zum geringsten Teil für die Finanzierung politisch-korrekter Öko-Projekte verwenden wird, sondern vielmehr, um das große Loch im Staatshaushalt zu stopfen. Die Auslandsschulden Frankreichs haben inzwischen 100 Prozent des BIP erreicht. Seit 1974 wurde hier kein ausgeglichener Staatshaushalt mehr verabschiedet.

Bis zu 80 Prozent der von Instituten befragten Franzosen finden die spontane Massenbewegung der „Gilets jaunes“ sympathisch. Diese ist sicher weit davon entfernt, eine kohärente Strategie zu verfolgen. Viele der Demonstrationsteilnehmer fordern wohl, dass sich der Staat das fehlende Geld statt bei ihnen über die Diesel-Steuer lieber in Form der Wiedereinführung der Vermögenssteuer bei den „Reichen“ holen soll. Von den klassischen politischen Parteien versprechen sie sich jedenfalls wenig bis nichts. Immer mehr von ihnen beginnen auch zu begreifen, dass das Staats-Defizit vor allem dadurch entstanden ist, dass Frankreich dank seines Eliteschulsystems seit Jahrzehnten von Menschen regiert wird, die glauben, alles besser zu wissen, aber in Wirklichkeit nichts verstehen. Viele von ihnen zeigen sich bereit, in den Steuer-Streik zu treten. So ist ein Gebräu von Misstrauen und mehr oder weniger utopischen Forderungen entstanden, das früher Revolutionen vorausging. Am Samstag, den 24. November, haben sich die „Gilets jaunes“ wider zu Straßenblockaden und zu einer Demonstration auf der Pariser Pracht-Meile Champs-Elysées zusammengefunden. Dort kam es zu Ausschreitungen vermummter Anarchisten, die sich als Gelbwesten getarnt hatten. Vermutlich handelte es sich dabei, wie bei unserer Antifa, um vom Staat bestellte Provokateure. Wie es nun weitergeht, weiß niemand. Es kann sein, dass die Bewegung mit dem Herannahen der Weihnachtsfeiertage wieder abflaut. Es ist aber auch gut möglich, dass der Zorn der „France périphérique“ noch wächst und die unstrukturierte Protestbewegung gegen die Steuererhöhung noch an Dynamik gewinnt. Präsident Macron hat derweil die Einrichtung eines „Haut Conseil pour le Climat“ angekündigt. Es handelt sich dabei um ein hochrangiges Expertengremium, das wie der „Weltklimarat“ IPCC parlamentarischer Kontrolle entzogen bleiben soll. Ob die Franzosendas hinnehmen werden?

 

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