Doch dieses Staatsziel könnte für die Ausbaufreunde von Solar- und Windkraft unerwartete und sehr negative Folgen haben.

Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist heute nicht nur den Bürgern enorm wichtig, sondern sollte auch Grundlage allen staatlichen Handelns sein. Hierfür sorgen umfangreiche Staatsziele und das Bundesnaturschutzgesetz. Zuletzt wurde das Staatsziel Nachhaltigkeit am vergangenen Wochenende in die hessische Landesverfassung aufgenommen. Wörtlich heißt es in der Vorlage, die wohl mit großer Mehrheit von den Bürgern aufgenommen wurde, „Der Staat, die Gemeinden und Gemeindeverbände berücksichtigen bei ihrem Handeln das Prinzip der Nachhaltigkeit, um die Interessen künftiger Generationen zu wahren“.

Soweit die Theorie. Dass tatsächlich gerade unter der angeblichen Maßgabe der Nachhaltigkeit mit der hiesigen Energiepolitik erhebliche negative Eingriffe in die Natur, die Artenvielfalt und den Wasserhaushalt vorgenommen werden, ist ein Grundwiderspruch, der eine Angriffsfläche für fehlgeleitete Entscheidungen der öffentlichen Hand bietet. Es geht hier bei vor allem um drei Bereiche:

Erstens sind in mehreren Novellen des Bundesnaturschutzgesetzes und des Baugesetzbuches Regeln aufgenommen worden, die die Windkraft im Wald als notwendige Infrastrukturmaßnahme ansehen (§35 BauGB) und das Tötungsverbot für in ihrem Bestand bedrohte Tiere auflockert (§44ff BNatSchG). Dies kann der Gesetzgeber jederzeit tun, muss aber vor Verabschiedung eines Gesetzes eine umfangreiche Güterabwägung vornehmen, um sicherzustellen, dass keine Staatsziele verletzt werden. Dies ist in den obengenannten Fällen unterblieben.

Zweitens sind öffentliche Eigentümer von Grundstücksflächen verpflichtet, Naturschutzbelange besonders zu berücksichtigen. In §2 Abs. 4 BNatSchG heißt es dazu: „Bei der Bewirtschaftung von Grundflächen im Eigentum oder Besitz der öffentlichen Hand sollen die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege in besonderer Weise berücksichtigt werden.“ Wird eine solche Grundfläche für den Betrieb Windkraftanlagen oder für agrarische Monokulturen vorgesehen, sind die Gebietskörperschaften zu einer umfassenden Güterabwägung verpflichtet. Sie dürfen den Zustand ihres Gemeindewaldes und ihrer Gemeindewiesen nicht verschlechtern! Der Staat muss dies in Verantwortung aus der Schutzpflicht in Artikel 20a klarstellen und verhindern. Schließt er einen Pachtvertrag beispielsweise mit dem Betreiber einer Windkraftanlage im Wald ab ohne vorherige Güterabwägung, macht dies den Pachtvertrag angreifbar. Fällt aber ein Pachtvertrag, ist eine bereits erteilte Genehmigung für den Betreiber einer Windkraftanlage unbrauchbar. Das Unternehmen handelt sogar strafbar, wenn es nach Klarstellung durch den öffentlichen Grundstückseigentümer Rodungsarbeiten vornimmt.

Eine Klage in diesem Sinne wurde kürzlich gegen das Regierungspräsidium Darmstadt wegen einer Teilgenehmigung mehrerer Windkraftanlagen auf Flächen der Taunusgemeinde Grävenwiesbach eingereicht. Sicher werden einschlägige Bürgerinitiativen bundesweit dieses Verfahren genau beobachten und von staatlichen Eigentümern und Genehmigungsbehörden einfordern, den grundgesetzlichen Schutzauftrag zu erfüllen, der nun auch noch durch die hessische Landesverfassung verstärkt wurde.

Drittens ist beim EEG insgesamt nie hinreichend hinterfragt worden, ob es tatsächlich zu einer so bedeutenden Absenkung der CO2-Emissionen beiträgt, dass die erheblichen Eingriffe in die Natur gerade für die Windkraft und die Biomasse-Verstromung gerechtfertigt wären. Auch hier hat es der Gesetzgeber versäumt, eine Güterabwägung vorzunehmen. Käme eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen des EEG im Zusammenspiel mit Artikel 20a GG zustande, hätte sie wohl Aussicht auf Erfolg. Allerdings sind die Hürden für eine Normenkontrollklage hoch. Dem einzelnen Bürger ist dieses Instrument verwehrt. Klageberechtigt sind jedoch die Bundes- und die Landesregierungen sowie ein Viertel der Abgeordneten des Deutschen Bundestags (Art. 93 Abs. 2 Grundgesetz).

Wie müsste nun eine solche Güterabwägung aussehen, die den Eingriffen in die Natur entgegen dem Staatsziel zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen vorausgehen müsste?

  1. Es müsste gezeigt werden, dass die Maßnahmen zur CO2-Absenkung tatsächlich dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen dienen.  Was sich so trivial anhört, ist es in Wahrheit nicht.  Das IPCC schreibt im fünften Sachstandsbericht von 2013 (WG II Part A, S. 67 und 275), dass noch keine einzige Art wegen des bisherig beobachteten Klimawandels ausgestorben sei.  Dies sei auch nicht zu erwarten, solange der Anstieg der Weltmitteltemperatur im Bereich weniger Grad bliebe.  Insbesondere seien die nördlicheren Breiten weniger vom Klimawandel betroffen als die Tropen.  Als Begründung wird angeführt, dass Biosysteme flexibel auf Änderungen von Witterung und Klima reagierten durch eine Verschiebung von Habitaten entlang sich verschiebender Klimazonen.
  2. Es müsste gezeigt werden, dass die Umgebungsenergien überhaupt dazu in der Lage sind, zu einer Absenkung der CO2-Emissionen beizutragen.  Auch hier ist die Beweislage weitaus weniger eindeutig, als es in der veröffentlichten Meinung den Anschein hat.  Immerhin sind die Emissionen der deutschen Stromproduktion seit 2009 kaum abgesunken.  Dennoch geht das Umweltbundesamt von einer merklichen rechnerischen Entlastung der deutschen CO2-Bilanz durch Umgebungsenergien aus, allerdings werden diese Rechnungen in der Praxis nicht ansatzweise erreicht.  Die Ursachen hierfür haben wir hier mehrfach untersucht und liegen hauptsächlich an der zeitlich stark schwankenden Einspeisung aus Solar- und Windkraftwerken, die andernorts im Strommarkt zu erheblichen Kosten führen.
  3. Es müsste insbesondere gezeigt werden, dass die Nutzung der Umgebungsenergien nicht im Gegenteil zu einer Steigerung der CO2-Emissionen beitragen.  Auch dies sollte untersucht werden.  So verschlingen Wind- und Solaranlagen, aber auch Wasserkraftwerke etwa 10 – 20 Mal mehr Rohstoffe je produzierter Terawattstunde als Kernkraftwerke.  Diese Rohstoffe müssen unter Emissionen von CO2 produziert werden und auch der Bau von Kraftwerken, die Umgebungsenergien ausnützen, erzeugt CO2-Emissionen, etwa wenn große Waldflächen für Windkraftwerke gerodet werden.  Hierin noch nicht eingerechnet sind die erheblichen Emissionen, die bei der Produktion von Stromspeichern freigesetzt werden, die für eine Stromversorgung aus Sonne und Wind unbedingt nötig sind.  Eine ehrliche und umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung hierüber steht noch aus.
  4. Es müsste gezeigt werden, dass die Eingriffe in die natürlichen Lebensgrundlagen durch die Nutzung der Umgebungsenergien die positiven Folgen ihrer Nutzung aus (1) bis (3) nicht übersteigen und sich dadurch rechtfertigen lassen.  Gerade beim Anbau von Biomasse wie Raps und Mais in großen landwirtschaftlichen Monokulturen und bei der Nutzung der Windenergie im Wald dürfte dieser Nachweis schwierig zu führen sein, da die Eingriffe, die eine solche Energiepolitik anrichtet, für Insekten, Greifvögel und Fledermäuse oft tödlich enden.
  5. Zu einer Güterabwägung gehört auch, Alternativen zur gewählten Maßnahme (Nutzung der Umgebungsenergien) in ihrer Wirksamkeit zur Erfüllung des Staatsziels Nachhaltigkeit zu überprüfen.  So ist ein wirtschaftlich effektives Mittel zur Absenkung von CO2-Emissionen der Handel mit Emissionszertifikaten.  Frankreich und Schweden, die beide die Kernenergie zur Stromerzeugung nutzen und dies auch langfristig tun werden, emittieren pro Kopf viel weniger CO2 als die Deutschen.  Ein Ausbau der Nutzung der Kernenergie wäre also auch ein wirksames Mittel, um wie angestrebt die CO2-Emissionen abzusenken.

In jedem einzelnen dieser Themenfelder gilt, was wir hier seit Langem konstatieren:  Selbst die einfachsten Fragen werden nicht gestellt, geschweige denn kompetent beantwortet.  Das mag im politischen Raum angehen, im Verwaltungsrecht aber nicht.  Wenn die Staatsziele Nachhaltigkeit und Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen tangiert sind, ist die Güterabwägung zwingend für die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns.  Umgekehrt wird staatliches Handeln angreifbar, wenn ohne Güterabwägung vorgegangen wird.

Gerade seit dem letzten Sonntag bieten sich auch in Hessen erhebliche Angriffsflächen für Bürgerinitiativen, die Pachtverträge der öffentlichen Hand anzugreifen.  Vielleicht findet sich ja auch eine Landesregierung für eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Verfassungsmäßigkeit des EEG oder einzelner Aspekte hierzu.  Es müsste dann nur sichergestellt sein, dass vor Gericht nicht ausschließlich willfährige Gutachter der „Öko“-Branche herangezogen werden.

Der Beitrag erschien zuerst beim Deutschen Arbeitgeber Verband hier

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