Und zwar machten die Farbwerke Hoechst damals durch eine weithin sichtbar gelbe Fahne auf sich aufmerksam. Diese wurde im Volksmund quasi zum Wahrzeichen des Chemiekonzerns. Die Fahne bestand nicht aus festem Stoff, sondern aus den bräunlich-gelben Abgasen der riesigen Salpetersäure-Anlage des Chemiewerks. Das war eine Mischung verschiedener Stickoxide, die als Nitrosegas bezeichnet wird. Dessen Hauptkomponente ist Stickstoffdioxid (NO2). Dieses gilt nach dem maßgeblichen Klinischen Wörterbuch „Pschyrembel“ als typisches Reizgas. In höherer Dosierung führt es akut zu Hustenreiz, Schwindel und Kopfschmerzen. Das Einatmen sehr hoher NO2-Konzentrationen führt nach einem symptomfreien Intervall von etwa acht Stunden zum starken Anschwellen der Kehlkopfschleimhaut (Glottisödem) mit Todesfolge. Die chronische Exposition kann darüber hinaus zu Schlaflosigkeit, Schleimhautgeschwüren, Bindehautentzündung, Bronchitis, Abmagerung und Anämie führen.

Das alles war 1970 schon lange bekannt. Deshalb begannen sich die Anwohner des Chemiewerks über die „gelbe Fahne“ zu sorgen. In diesem Jahr wurde übrigens unter der Regentschaft des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon das Schlagwort „Environment Protection“ in die Welt gesetzt. Um der damit verbundenen Sensibilisierung und Beunruhigung der Bevölkerung zu begegnen, lud Hoechst an einem schönen Sonntag zu einer Film- und Vortragsveranstaltung über die „gelbe Fahne“. Ich ließ mir die Gelegenheit nicht entgehen und schrieb darüber in dem von der kommunistischen Betriebsgruppe herausgegebenen Blättchen „Der Farbwerker“. Der vortragende Toxikologe konnte zumindest mich von der Harmlosigkeit der „gelben Fahne“ überzeugen. Denn es war mir klar, dass der hohe Schornstein ausreichte, um die Stickoxide auf eine ungefährliche Konzentration zu verdünnen. Inzwischen ist der Hoechst-Konzern mitsamt der „gelben Fahne“ längst verschwunden. Die Hauptquelle für die Stickoxide in der Frankfurter Luft war schon zu Beginn der 1970er Jahre nicht Hoechst, sondern mit großem Abstand der Kraftverkehr. Es war damals unmöglich, sich eine halbe Stunde an einer vielbefahrenen Straßenkreuzung aufzuhalten, ohne dass einem Hustenreiz überkam und die Augen zu brennen begannen. Dafür waren allerdings nicht allein die Stickoxide verantwortlich. Sehr bedenklich waren auch Schwefeldioxid sowie die Rückstände des damals mit dem Antiklopfmittel Bleitetraäthyl versetzten Benzins.

Eigenartigerweise waren es dann weniger die damit verbundenen Gesundheitsgefahren für die Menschen, sondern von den Grünen als Vorboten eines allgemeinen „Waldsterbens“ missdeutete Waldschäden, mit denen in den 1980er Jahren Milliarden-Investitionen in die Entschwefelung und Entstickung von Kraftwerks- und Kfz-Abgasen durch Filter und Katalysatoren begründet wurden. Mit Diesel betriebene Fahrzeuge, die wegen höherer Verbrennungstemperaturen als Hauptquelle innerstädtischer NO2-Emissionen gelten, wurden durch diese Maßnahmen aber zunächst nicht erfasst. Schwefeldioxid aus Kohlekraftwerken galt als Hauptquelle des „Sauren Regens“ und dieser wiederum als Hauptursache des „Waldsterbens“. Stickoxide hingegen sollten die Wälder durch Überdüngung mit Stickstoff in Form von Nitrat schädigen, d.h. durch zu viel des Guten. Außerdem galten und gelten Stickoxide noch heute als Vorläufer-Substanzen für die photochemische Bildung des gesundheitsschädlichen Ozons unter dem Einfluss des Sonnenlichts. Hinzu kommen Wechselwirkungen mit Feinstaub. Das als Los-Angeles-Smog bekannte Schadstoff-Gebräu war sicher auch für die Menschen alles andere als gesund. Aber die Bäume waren den Deutschen offenbar zunächst wichtiger.

Ich habe in den 1980er Jahren selbst ein durchaus erfolgreiches Buch und zahlreiche Artikel (auf Deutsch und französisch) über das „Waldsterben“ verbrochen. Um die Mitte der 80er Jahre machten mir dann Schweizer und französische Wissenschaftler, die wirklich etwas von Wald verstanden, aber klar, dass ich einem Fehlalarm aufgesessen war. Selbstverständlich trug ich dem in späteren Beiträgen Rechnung. Aber kaum jemand wollte das drucken, zumal das für Fragen der Waldforschung nicht kompetente, aber dennoch für zuständig erklärte Bundeslandwirtschaftsministerium bis weit ins 21. Jahrhundert Jahr für Jahr alarmistische „Waldschadensberichte“ veröffentlichte. In Wirklichkeit wuchs der deutsche Wald nachweislich besser als je zuvor. So lernte ich meine Lektion über das Aufkommen und die Verbreitung „wissenschaftlicher“ Mythen. Das half mir später, den Hype um eine drohende Klimakatastrophe von vornherein zu durchschauen.

Seit dem politischen Aufstieg der Grünen haben Stickstoffverbindungen aller Art (außer Proteine) bei uns eine schlechte Presse. Das gilt nicht nur für Stickoxide aus den Auspuffrohren von Automobilen, sondern auch für den Pflanzennährstoff Nitrat. Die alarmistische Kommunikation grüner Lobbygruppen beschränkt sich nicht selten auf den bloßen Nachweis „böser“ beziehungsweise politisch-unkorrekter Substanzen ohne Berücksichtigung der Dosis. Vergessen wird dabei, dass die Wirkung aller Stoffe ohne Ausnahme (einschließlich der radioaktiven) der Paracelsus-Regel unterliegt: Kleine Dosen sind harmlos und oft sogar nützlich. Erst Dosen oberhalb eines Schwellenwerts erweisen sich als schädlich. Die Bestimmung dieser Schwellenwerte mithilfe von Tierversuchen oder Tests an Zellkulturen ist Aufgabe der wissenschaftlichen Toxikologie.

Noch im Jahre 2011 warnte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vor dem Genuss zu großer Mengen von Wintergemüse wie Rote Beete, Radicchio, Rucola, Sellerie oder Spinat. Begründet wurde diese Warnung mit dem hohen Nitratgehalt der Nahrungspflanzen in der dunklen Jahreszeit. Normalerweise dient das von den Pflanzen aus dem Boden aufgenommene Nitrat als Stickstoffquelle für den Aufbau von Proteinen. Im Dunkeln läuft die Proteinsynthese jedoch nur langsam ab, so dass sich Nitrat in den Pflanzen anreichern kann. Es empfiehlt sich nicht, Babys mit nitratreichem Gemüse und nitratreichem Trinkwasser zu füttern. Denn bei ihnen kann überschüssiges Nitrat zur „Blausucht“ führen. Nitrat kann sich nämlich wie Kohlenstoffmonoxid mit dem roten Blutfarbstoff Hämoglobin zu Methämoglobin verbinden, das keinen Sauerstoff mehr transportieren kann. Auch bei Erwachsenen wird ein Teil des mit der Nahrung aufgenommenen Nitrats schon beim Kontakt mit Speichel im Mund in giftiges Nitrit umgewandelt. Aus Nitrit können dann im Magen potenziell krebserregende Nitrosamine entstehen. Soweit die Theorie.

Tatsächlich wurde bei Menschen, die nachweislich viel Nitrat zu sich nehmen, nie ein erhöhtes Krebsrisiko nachgewiesen. Stattdessen konnten Gary Miller und Daniel Kim-Shapiro an der Wake Forest University von North Carolina in einer schon im Jahre 2011 veröffentlichten Studie zeigen, dass der Genuss von nitratreichem Gemüse wie Rote Beete, Fenchel oder Sellerie insbesondere bei älteren Personen die Durchblutung des Gehirns und die Verdauung fördert. Warum das so ist, können die Mediziner heute genau erklären: Nitrit kann im Blutkreislauf wie auch eingeatmetes NO2zu Stickstoffmonoxid (NO) umgewandelt werden. Das eigentlich giftige Gas spielt im Organismus in winzigen Mengen eine wichtige Rolle als Botenstoff für die Erweiterung der Blutgefäße. Es bewirkt über die Synthese von zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP) die rasche Senkung des Blutdrucks infolge der Erschlaffung glatter Muskelzellen. (Auch darauf weist der „Pschyrembel“ hin.) Stickstoffmonoxid wird mit großem Erfolg für die Bekämpfung von Lungenhochdruck eingsetzt. Wie Stickstoffmonoxid wirkt auch das Medikament Sildenafil, bekannt unter dem Markennamen Viagra®, indem es den Abbau von cGMP hemmt und somit die Weitung der Blutgefäße des Penis aufrechterhält. Nicht von ungefähr gilt Rote-Beete-Saft inzwischen bei Kennern als „Viagra des kleinen Mannes.“ Ich selbst nehme immer vor dem Gang ins Fitness-Studio Rote-Beete-Saft zu mir und stelle dann eine messbare Verstärkung meiner Muskelkraft fest. (Aber Achtung: Ein Zuviel davon kann zu Durchfall führen!)

Nitrat und Stickoxide erweisen sich somit als Paradebeispiele für die Paracelsus-Regel. Für den achtstündigen Aufenthalt in geschlossenen Räumen hat die unabhängige Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffeder Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) einen Grenzwert von 950 Mikrogramm NO2je Kubikmeter Luft vorgeschlagen, der durch die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS 900) gesetzlich vorgeschrieben ist. In der Schweiz liegt dieser Grenzwert bei 6.000 Mikrogramm. Der Unterschied erklärt sich durch unterschiedliche Sicherheitsabstände zwischen der experimentell ermittelten Schädlichkeits-Schwelle und dem gesetzlichen Grenzwert. Der bekannte Lungenspezialist und ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Lungenheilkunde Professor Dieter Köhler wies kürzlich darauf hin, dass akute Atem-Beschwerden erst bei einer NO2-Konzentration von 800.000 bis 900.000 Mikrogramm je Kubikmeter beginnen, und zwar nicht bei Gesunden, sondern bei unbehandelten Asthmatikern. Die Reizung der Augenschleimhäute beginnt freilich bereits bei 20.000 µg/m3. Schon beim Anzünden von Kerzen oder beim Betreiben von Gasherden werden aber in geschlossenen Räumen leicht NO2-Konzentrationen von über 200.000 µg/m3erreicht.

Das wirft die Frage auf, warum die EU (auf Druck der deutschen Regierung!) 40 Mikrogramm NO2je Kubikmeter im Jahresmittel als Grenzwert für NO2eingeführt hat. Dieser muss seit 2010 eingehalten werden. Angeblich wurde dieser Wert von epidemiologischen Untersuchungen abgeleitet, wonach in Deutschland mit jährlich 6.000 Todesopfern durch NO2gerechnet werden müsse. Doch diese Zahl ist rein fiktiv, denn epidemiologische Untersuchungen liefern im Unterschied zu toxikologischen Experimenten allenfalls Anhaltspunkte für vermutete Zusammenhänge. In diesem Fall hat man aus der etwas höheren Sterblichkeit von Stadt- gegenüber Landbewohnern geschlossen, dass NO2dafür verantwortlich ist. Andere Faktoren blieben unbeachtet.

Offenbar steckt hinter der Einführung des extrem niedrigen NO2-Grenzwerts eine Strategie. Bei der Suche nach deren Urheber stößt man auf den Grünen Rainer Baake, der über lange Zeit als beamteter Staatssekretär im Umweltministerium oder als Geschäftsführer des Abmahnvereins Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) die Rolle einer „Grauen Eminenz“ der deutschen Umweltpolitik spielte. Baake durchlief in Chicago Saul Alinskys Schule des „Community Organizing” (CO), wo man die systematische kommunistisch bzw. ökologistische Unterwanderung und machtpolitische Umfunktionierung bürgerlicher Institutionen lernt. Die vom Bunddsumweltministerium mit Millionenbeträgen geförderte DUH entwickelte sich als klageberechtigte Vereinigung zur privaten Umweltpolizei, die Städte, in denen der NO2-Grenzwert überschritten wird, mit Klagen überziehen, um Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge durchzusetzen.

Ich verstehe, wie gesagt, nicht viel von Dieselmotoren. Aber aufgrund meiner Chemie-Kenntnisse leuchtet es mir ein, dass man deren Treibstoffbedarf und Stickoxid-Ausstoß nicht gleichzeitig minimieren kann. Jahrelang haben die Ingenieure der Automobil-Industrie Diesel-Motoren auf eine Minimierung des CO2-Ausstoßes (der für mich nur ein Maß für den Treibstoffverbrauch darstellt) getrimmt. So wurden Diesel-Motoren durch Verbesserungen der Kraftstoff-Einspritz-Technik und eine sukzessive Erhöhung der Verbrennungs-Temperatur zum bei weitem öko-effizientesten Antrieb für Kraftfahrzeuge. Sie sind nach einer im Auftrag des Automobil-Clubs ADAC erstellten unvoreingenommenen Öko-Bilanz gerade auch dem von Politik und Massenmedien über den grünen Klee gelobten Elektro-Antrieb haushoch überlegen. Höhere Verbrennungs-Temperaturen ziehen aber einen höheren NO2-Ausstoß nach sich, da der normalerweise reaktionsträge Luftstickstoff nur bei hohen Temperaturen mit Sauerstoff reagiert. Vor die Herausforderung gestellt, auf einmal den strengen NO2-Grenzwerten genügen zu müssen, hatten die Kfz-Ingenieure zunächst keine andere Wahl, als die Motorsteuerungs-Software so zu modifizieren, dass ihre Motoren den amtlichen Prüfzyklus ohne Beanstandung durchlaufen konnten. Man darf ihnen dabei keine Betrugs-Absicht unterstellen, wie das in unseren machthörigen Medien leider geschah. Denn zum Betrug gehört in einem Rechtsstaat, dass dadurch jemand nachweislich geschädigt wird. Das aber ist ausgeschlossen, da die Deutschen in ihren Wohnungen gerade in der nun bald beginnenden Adventszeit ein Mehrtausendfaches an Stickoxiden akzeptieren, als ihnen Alinsky-Jünger auf den Straßen erlauben wollen. Ich kann (als Nicht-Jurist) jedem, der in den kommenden Monaten mit Diesel-Fahrverboten in Konflikt kommt, nur raten, auf dem Nachweis einer Schädigung zu bestehen.

 

 

image_pdfBeitrag als PDF speichernimage_printBeitrag drucken