Zeitlich abgestimmt auf die Arbeit der „Strukturwandelkommission“, umgangssprachlich als „Kohlekommission“ und in interessierten Kreisen als „Kohleausstiegskommission“ bezeichnet, präsentiert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine Studie mit Modellrechnungen zum zügigen Kohleausstieg, vor allem in Nordrhein-Westfalen. Nachdem öffentlich wurde, dass der Strukturwandel durch einen Kohleausstieg die Lausitz härter treffen würde als das Rheinland, richtet das DIW nun Kimme und Korn nach Westen. Die Hoffnung, die Reviere würden künftig ihre Forderungen konfrontativ stellen („Nein, fangt ihr an“), dürfte sich indes kaum erfüllen.

Der „Wochenbericht  33“ des DIW vom 15. August enthält den Beitrag „Erfolgreicher Klimaschutz durch zügigen Kohleausstieg in Deutschland und Nordrhein-Westfalen“und stellt nicht weniger als die Erreichung von Emissionszielen und mithin die Weltrettung der Bundesregierung und der Regierung in NRW anheim. Zu Beginn wird schlechtes Gewissen gemacht: Steinkohle und Braunkohle in Deutschland trügen mehr als ein Viertel zu den deutschen Treibhausgasemissionen bei. Verschwiegen wird, dass dafür 40 Prozent des Strombedarfs gesichert werden. Zudem stünden in NRW die meisten und ältesten Kohlekraftwerke und der Beitrag der erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung betrüge derzeit nur 12,5 Prozent und sei somit „weit unterhalb des Bundesdurchschnitts von 36 Prozent“. Nachholbedarf wird gesehen.

Einen Blick auf die Ursachen wirft das DIW nicht, die Wissenschaftlichkeit des Berichts bleibt knapp über der Rasenoberkante. Hat der Anteil der Regenerativen in den Bundesländern vielleicht auch mit der geografischen Lage und mit der Bevölkerungsdichte zu tun? 524 Menschen teilen sich in Binnenland NRW einen Quadratkilometer, in Mecklenburg-Vorpommern sind es nur 69. Abstandsregeln für Windkraftanlagen sind für das Institut ohnehin kein Thema. Die Regierung in Düsseldorf versucht gegenwärtig, ihrer Vorsorgeverpflichtung gegenüber der Bevölkerung besser als ihre Vorgänger nachzukommen und will die Abstände erhöhen.

Präsentiert wird eine Modellrechnung für drei Pfade. Ein Referenzmodell, das die Entwicklung ohne politische Eingriffe beschreibt und zwei schärfere Ausstiegsvarianten. Das erinnert mich an Bertolt Brechts „Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens“:

Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.

Die zwei beschleunigten Ausstiegspfade orientieren sich an den Vorschlägen zu frühzeitigen Stilllegungen von Kohlekraftwerken bis zum Jahr 2020, welche rund um die Jamaika-Sondierungen im November 2017 diskutiert wurden. Mit anderen Worten: Ein halbgarer politischer Kompromiss dient als Grundlage einer „wissenschaftlichen“ Betrachtung.

Da die berechneten Abschaltungen nicht die Emissionen ausreichend senken, sollen weiter laufende Kraftwerke auf 4.000 Betriebsstunden pro Jahr begrenzt werden. Natürlich wird kein Gedanke daran verschwendet, dass dann wirtschaftlicher Betrieb nicht mehr denkbar ist und eine Subventionierung nötig wäre. Generell wird der ökonomische Aspekt des ganzen Vorhabens standhaft ignoriert, ein geistiges Armutszeichen für ein Institut, das sich der „Wirtschafts“forschung verschrieben haben will.

„Zurzeit wird ein Teil des deutschen Kohlestroms ins Ausland exportiert.“Nein, liebe Laien, es wird Strom exportiert. Man kann ebenso wenig nur Kohlestrom exportieren, wie man nur Ökostrom beziehen kann. Im Netz ist immer ein Strommix aus verschiedenen Quellen. Klingt komisch, ist aber so. Zudem wird manchmal mit Strom gehandelt und manchmal ist der Export pure Verzweiflung zum Zweck der Netzrettung, was sogar zu negativen Strompreisenim Großhandel führt. Dies passiert mit schöner Regelmäßigkeit, wenn viel Wind bläst und oder viel Sonne scheint. Dann können trotzdem nicht alle Kohlekraftwerke abschalten, weil immer noch jemand regeln und die Netzdienstleistungen bereitstellen muss, wozu die Regenerativen nicht in der Lage sind. So gesehen wird dann vor allem regenerativ erzeugter Strom exportiert.

Auf ähnlich dünner Basis geht es weiter. Bei den absehbaren Versorgungsproblemen durch Atom- und Kohleausstieg bei gleichzeitiger Sektorkopplung erspart man sich Berechnungen, sondern bleibt wolkig und schiebt die Verantwortung in Richtung Politik:

„Im Zuge einer verstärkten Verzahnung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr könnte die jährliche Spitze der Stromnachfrage entsprechend steigen. Die zunehmende Elektrifizierung sollte daher von einer adäquaten technologischen, marktlichen, ordnungsrechtlichen und regulatorischen Rahmensetzung flankiert werden. Diese sollte darauf hinwirken, dass gleichzeitig auftretende Spitzen der Stromnachfrage in den gekoppelten Sektoren vermieden oder zumindest gemildert werden.“

Im Klartext bedeutet dies, eine Rationierung einzuführen. Heizen und E-Mobil laden nur mit entsprechend genehmigtem Budget. Oder Wäsche waschen statt Heizen. Oder Auto laden statt Wäsche waschen. Energiearmut ist abzusehen, die verfügbare Strommenge wird sinken, die Preise werden steigen. Aber steigende Kosten bei eingeschränkter Versorgung für die Verbraucher sind kein Thema für das DIW. Stattdessen versteigt sich Frau Professor Kemfert zu der abwegigen Vorhersage, dass der Strom in Zukunft absehbar billigerwerden würde. Das war 2016 und es gibt wirklich keine Anzeichen, die diese aus der Luft gegriffene Prognose stützen würde. Wir sind Strompreis-Europameister beim Haushaltsstrom und Vizemeister beim Industriestrompreis. Im Jahr 2011 weissagte „Miss Energiewende“ (ZEIT) nach einem Blick in die grünglasige DIW-Prognosekugel eine EEG-Umlage für 2020 von 3,64 Cent pro Kilowattstunde. Wir werden sehen.

Das Thema Versorgungssicherheit schiebt man ebenso ab:

„Einerseits kann der Gesetzgeber verstärkt angebots- und nachfrageseitige Potentiale zur Flexibilisierung heben. Hierzu zählen beispielsweise Großbatteriespeicher . . .“.

Auch hier hätte man rechnen können. Keine Angabe zu nötigen Kapazitäten, verfügbaren Technologien, Preisen, Kosten, Betreibern, Standorten und notwendigen Terminen von Inbetriebnahmen. Wirklich alles von dem, was der „Wochenbericht“ vorschlägt, müsste über „Politikmaßnahmen“ reguliert werden und ließe sich nicht über den Markt herbeiführen. Energetischer Staatsdirektionismus soll Markt ersetzen. Bisher hat Plansozialismus realwirtschaftlich noch nie nachhaltig funktioniert.

Wirtschafts-Voodoo statt Wissenschaft

Dringend notwendige Berechnungen erspart sich das Institut. Was hätte man alles modellrechnen und berücksichtigen können?

–      Wie werden die deutschen wegfallenden Kapazitäten ersetzt?

  • Wie gehen die gesicherten Kapazitäten in den Nachbarländernzurück?
  • Anmerkung der Redaktion: Wie die europäischen gesicherten Kapazitäten zurückgehen hätte das DIW bei der EU erfragen oder hier der Zeitung „Die Welt“ entnehmen können. Haben sie aber nicht, das wäre zwar wissenschaftlich gewesen, hätte aber das gewünschte Ergebnis zerstört. Mit Dank an Leser Ordowski für den Hinweis
  • Welcher Speicherbedarf entsteht durch weiteren Zubau volatiler Einspeisung?
  • Welcher Strombedarf entsteht durch die Sektorkopplung? Welcher Netzausbaubedarf entsteht dadurch?

–      Was kostet das Ganze und wie hoch ist der Preis für eine Tonne CO2-Vermeidung? Wenn dieser höher ist als der Zertifikatspreis, wäre es sinnvoller, diese aufzukaufen und zu löschen.

Stattdessen bemüht das DIW den Adam Riese ausschließlich für den mathematischen Zusammenhang zwischen Kohlekraftwerksleistung und CO2-Emission, geht in die Prosa und erzählt vermeintlich positive Nebenwirkungen. Der schützenswerte Wald von Hambach könne erhalten bleiben, wenn der Tagebau nicht kommt. Was die Autoren denken, aber nicht schreiben: Dann kann man auch in diesen Wald Windkraftanlagen stellen. Der Tagebau Inden soll nicht bis 2030 betrieben werden, sondern schon 2020 schließen. Wer dann die Rekultivierung bezahlen soll, wenn der Betreiber dafür keine Rücklagen mehr bilden kann, wird nicht ausgeführt. Ökonomisches Denken ist nicht die Stärke der beauftragten Wirtschaftsvisionäre.

Auch sei die Nichterreichung der Senkungsziele im Gebäude- und Verkehrssektor nicht so schlimm, wenn man nur mehr Kohlekraftwerke abschaltet. Die wurden vermutlich nur zur CO2-Erzeugung gebaut.

 

Der Chef des DIW, Professor Fratzscher, bezeichnete höchst selbst die Energiewende  als „Experiment“(1). Seine Subalternen wollen aus einem laufenden Experiment heraus konkrete Entscheidungen für die Zukunft zimmern.

Kein Institut, außer dem DIW, kann davon leben, sich beim Thema Energie ausschließlich mit dem Kohleausstieg zu beschäftigen. Die Antwort auf die Frage, woher das Geld für diesen „Wochenbericht“ kommt, den man angesichts der flachen Qualität nicht mal als Gefälligkeitsgutachten bezeichnen kann, ist naheliegend.

Inzwischen schlägt die EU neue „Klimaziele“ für 2030 vor. 45 statt 40 Prozent sollten nun eingespart werden. Damit dürfte der nächste DIW-Wochenbericht zum noch schnelleren, ehrgeizigeren, entschlossenerem,  mutigeren, progressiveren Kohleausstieg nicht lange auf sich warten lassen. Mit dem zu erwartendem Fazit: Problemlos möglich, wenn nur die Politik endlich schnell, ehrgeizig, entschlossen, mutig und progressiv handeln würde.

Die alles entscheidende Berechnung bleibt das DIW in seinen Modellrechnungen ohnehin schuldig: Wie viel Grad globale Erwärmung werden durch die angepeilte Emissionssenkung vermieden?

1)Marcel Fratzscher „Die Deutschland-Illusion“, S. 96

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