Dann stellte sich heraus, dass auch das Maschinenhaus selber, in dem Getriebe, Generator und andere Technikanlagen untergebracht sind, teilweise abgestürzt ist. So genau weiss man es bis heute nicht, denn der Zutritt zum Windrad ist seither gesperrt. Klar ist aber, dass noch nie eine deutsche Offshore-Windanlage so gravierend beeinträchtigt worden ist. «Das ist schon ein kapitaler Schaden», sagte Andreas Wellbrock von der Windenergie-Agentur WAB gegenüber dem

Norddeutschen Rundfunk

Erst seit acht Jahren in Betrieb

Alpha Ventus wurde 2010 als erster grosser Offshore-Windpark vor der Küste Deutschlands in Betrieb genommen. Er umfasst zwölf Räder mit einer Leistung von je fünf Megawatt. Schon kurz nachdem der Park ans Netz gegangen war, gab es technische Probleme. Damals sprach man von «Kinderkrankheiten». Noch ist die Ursache des Absturzes im April unklar. Diesmal dürfte die Diagnose aber unter «Altersgebrechen» figurieren, obwohl Alpha Ventus erst seit acht Jahren läuft. Möglicherweise war das Stahlgerüst durchgerostet, das Gondel und Verkleidung trägt. Salz in Wasser und Luft fördert bekanntlich die Entstehung von Rost. Man muss befürchten, dass die getroffenen Vorkehrungen gegen das Durchrosten nicht funktioniert haben.

Darum betrifft der Gondelabsturz auch nicht nur eine einzige Anlage. Zu befürchten ist ein Serienschaden, dass also mehrere Anlagen des gleichen Typs von Rost betroffen und im schlimmsten Fall vom Zusammenbruch gefährdet sind. Entsprechend hat die Betreiberfirma EWE nach dem 6. April auch die anderen fünf typengleichen Anlagen von Alpha Ventus vom Netz genommen. Es stehen aber noch 120 weitere Offshore-Windräder des gleichen Typs vor der Küste Deutschlands.

Kein Unterhalt bei 120 Rädern

Sie produzieren zwar weiterhin Strom, dürfen aber aus Sicherheitsgründen vorläufig nicht betreten werden. Deshalb kann das Personal keine Wartungen mehr vornehmen. Ohne Unterhaltsarbeiten steigt das Risiko, dass auch diese Anlagen irgendwann stillstehen. Der Imageschaden für die Produktion von Offshore-Windstrom ist beträchtlich. Weil der Wind über dem Meer viel regelmässiger weht als über dem Land, stellt die Offshore-Technologie eine vergleichsweise zuverlässige Art der Stromproduktion dar. Sie gilt als eine der zentralen Stützen der Energiewende, die Deutschland anstrebt.

Der Teilabsturz einer Gondel schwächt nun das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der imposanten Windräder. Der Vorfall bestätigt Stimmen, wonach sich der angestrebte Wechsel der Versorgung auf Wind- und Solarstrom auf unrealistische Best-Case-Szenarien abstütze. Kritiker bemängeln seit Langem, für das Funktionieren von Alternativenergie-Anlagen würde systematisch der günstigste Verlauf angenommen, während Alterung, Abnutzung und unerwartete technische Probleme ausser Acht gelassen würden. Möglicherweise war der Schaden bei Alpha Ventus zwar tatsächlich nicht konkret vorhersehbar gewesen. Bei technischen Anlagen treten aber immer unerwartete negative Ereignisse ein. Mögliche Pleiten und Pannen nicht einzukalkulieren, wäre darum technisch und wirtschaftlich fahrlässig.

«Peinliches Zeugnis»

Der Schaden bei Alpha Ventus verstärkt den Gegenwind, dem die deutsche Energiewende ausgesetzt ist. Bereits im März fand sich Deutschland im globalen Energiewende-Index des Weltwirtschaftsforums WEF und der Unternehmensberatung McKinsey & Company nur auf dem 16. Rang von 114 bewerteten Ländern wieder – noch hinter Uruguay und Malaysia. Auch zehn andere europäische Länder, darunter die Schweiz, waren besser klassiert. Dabei lobt sich Deutschland seit Jahren für seine angeblich ökologische Energiepolitik. Von einem «peinlichen Zeugnis» schrieb die Zeitung

Die Welt

Besonders schlecht schloss das Land in der Kategorie «Struktur des Energiesystems» ab – auf dem 110. von 114 Plätzen. Die WEF-McKinsey-Studie machte dafür in erster Linie verantwortlich, dass die deutsche Stromversorgung immer noch massgeblich auf Kohleverfeuerung abstellt und der CO2-Ausstoss seit 2014 nicht abgenommen hat – trotz mittlerweile jährlich 25 Milliarden Euro Subventionen für erneuerbare Energie.

Andere Länder wie etwa Dänemark und Grossbritannien setzen bei der Stromerzeugung vor allem auf Gas, Wasserkraft und teilweise Kernkraft statt auf Wind und Sonne. Im Gegensatz zu Deutschland konnten sie ihre Abhängigkeit von Kohlestrom zum Teil deutlich reduzieren.      

Der Beitrag erschien zuerst in der Druckausgabe der Basler Zeitung. Mit freundlicher Genehmigung.                            

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