Vergifteter Abschied

Ein neuer und schöner Begriff wurde uns im Vorfeld von COP 23, der Weltklimakonferenz in Bonn, von Frau Hendricks (SPD) geschenkt: Die Klimaschutzlücke. Die noch amtierende Umweltministerin ohne Anschlussverwendung, eine der eher düsteren Kerzen auf dem demotivierten aber amtierenden schwarz-roten Regierungskronleuchter, lief sich für ihren Auftritt im Bonner World Conference Center warm. Dabei spielte sie Regierung und Opposition gleichzeitig, indem sie ihrem eigenen Land und der Kanzlerin, der sie bisher bedingungslos folgte, im Grunde Versagen vorwarf. Das CO2-Reduktionsziel Deutschlands, 40 Prozent bis 2020 (Basisjahr 1990), sei nicht mehr zu erreichen, Prognosen gingen inzwischen von „nur“ 32 Prozent aus. Sie geißelt die fehlenden acht Prozent und reiht sich in den grünen Abschaltchor ein, ohne eine Einschaltidee zu haben.
In Zahlen ausgedrückt bedeutet das Nichterreichen eine Abweichung von etwa 30 Millionen Tonnen CO2. Bei einer globalen anthropogen verursachten Emission von etwa 35.000 Millionen Tonnen jährlich entspricht diese Menge etwa 0,085 Prozent und ist in ihrer Klimawirkung unerheblich. Weltweit sind etwa 1.600 Kohlekraftwerke im Bau oder in Planung, völlig unbeeindruckt vom Pariser Klimavertrag. Lauscht man der Noch-Ministerin unbedarft, fürchtet man sich davor, dass wegen unserer 30-Millionen-Tonnen-Lücke nach 2020 die Sonne nicht mehr aufgeht, die Sintflut kommt und die Vögel tot vom Himmel fallen. Letzteres passiert ohnehin in zunehmender Zahl, aber das aus ganz anderen Gründen.
Nein, das denkt Frau Hendricks natürlich nicht. Sie fürchtet nur, dass wieder einmal ein „Zeichen“, das gesetzt werden sollte, nicht erreicht wird. Bei der Elektromobilität und der Zielvorgabe von einer Million Fahrzeugen bis 2020 wird die Kanzlerin noch viel deutlicher scheitern, ohne dass die Welt davon merkbar Notiz nehmen wird. Zunehmend besteht deutsche Politik nicht mehr darin, praktisch sinnvolle Ziele zu erreichen, sondern im „Zeichen setzen“. Im ideologischen Windschatten der Abschalter toben sich Organisationen extremer Ausrichtung wie „Ende Gelände“ fröhlich in der Landschaft aus und begehen im rheinischen Revier Landfriedensbruch und Sachbeschädigung. Dazu dröhnendes Schweigen der Parteien, die linksgrüne Qualitätspresse bringt dies im Stil einer Verkehrsmeldung und schiebt nach, dass die Braunkohle als verantwortlich für den Klimawandel „gilt“. Mediale Reinwaschung, die Kriminalität moralisch legitimiert.
Inzwischen logieren 25.000 Teilnehmer aus aller Welt für 12 Tage bei Vollpension in Bonn und beraten über die ab 2020 jährliche Verteilung eines Kuchens von 100 Milliarden Euro. Die meisten der teilnehmenden Länder sind Nehmerländer, weshalb sie vollen Einsatz zeigen werden, um ein möglichst großes Stück zu bekommen. Natürlich widerspricht auch niemand aus diesem Kreis der Theorie des menschengemachten Klimawandels, sondern es wird eifrig genickt. Die Türkei steht noch quer im Stall, weil sie in Paris als Industrieland eingestuft wurde und damit zahlen müsste. Da sei Erdogan vor. Deutschland stockt schon mal um 100 Millionen den Klimafond auf, schließlich fallen die USA als Zahler weg.
Frau Hendricks möchte ihr Lebenswerk krönen, in den Geschichtsbüchern stehen als Veranstalterin des einmaligen COP23, auf dem es gelang, die entscheidenden Weichen zu stellen, die maßgeblich zur Weltrettung führten. Unbeeindruckt von den Folgen schneller Denuklearisierung und –karbonisierung betreibt sie ungehemmten Klimapopulismus, der aber nach mehr als 20 Jahren Klimaalarmismus in großen Teilen der Bevölkerung nicht mehr verfängt.
Natürlich erfordert die Weltrettung entschiedenes, mutiges, ehrgeiziges, progressives
(Lieblingsadjektiv bitte selbst wählen) Herangehen und keinerlei Abwägung. Auch Wirtschaftsministerin Zypries und Parteivorsitzender Schulz gehören zur SPD und stehen hinter der Noch-Umweltministerin. Die Kanzlerin (CDU) stützt diesen Kurs sowieso. Beide Parteien sind krachende Verlierer der jüngsten Bundestagswahl, wollen jetzt aber aus dem Status der Nachspielzeit heraus Entscheidungen treffen, die Deutschlands Zukunft schwer belasten. Neben der Arbeitsverweigerung nach den Bundestagswahlen, die darin bestand, aus parteitaktischen Gründen die Niedersachsen-Wahl abzuwarten und über volle vier Wochen nicht zu handeln, ergibt sich eine weitere politische Hypothek, die bei nächsten Wahlen den Zulauf zu den ehemaligen Volksparteien senken wird.
Ziele, die sich realistisch nicht erreichen lassen, kann man korrigieren. Ziele, die nur als Zeichensetzung, Symbolik und Imponiergehabe vor der Welt entstehen, können bei Nichterreichen zur Blamage führen und bringen unser Land nicht voran – im Gegenteil.
Die Konferenz findet in einer dunklen Jahreszeit statt, es wird viel Saalbeleuchtung nötig sein. Am Eröffnungstag, am 6. November um 16 Uhr stellte sich der deutsche Energiemix so dar: Bedarf 67,79 Gigawatt, davon abgesichert durch Kernkraft, Stein- und Braunkohle – 45,95 GW, entspricht 68 Prozent. Wind- und Sonnenkraft: 1,59 GW, entspricht 2,35 Prozent. Würde man bei diesem aktuellen Windaufkommen zumindest Kernkraft und Braunkohle (27,33 GW) durch Wind ersetzen wollen (Arbeitsverfügbarkeit aller Windkraftanlagen in diesem Moment: 2,67 Prozent), müsste die installierte Leistung der verfügbarer Windkraftanlagen von jetzt 53.590 Megawatt auf etwa das Zwanzigfache erhöht werden. 27.270 Anlagen standen Ende 2016 in Deutschland und in Nord- und Ostsee. Der Fantasie sei Raum gegeben.
Alles klar auf der Andrea Doria. Der Kurs geht mit Volldampf in die Klimaschutzlücke – aber die ist vor allem ein Problem für die Zeichen setzende Kapitänspensionsanwärterin Hendricks – nicht für unser Land und die Welt.