Vom 20. Mai bis zum 10. September wird es eng in Wittenberg. Es gibt eine „Weltausstellung Reformation“ und viele andere religiöse und kulturelle Veranstaltungen, die mehrere hunderttausend Christen, und nicht nur diese, anziehen werden. Die ganze Innenstadt wird voller Veranstaltungsorte sein. Dort steht dann auch ein „Transformationspavillon“, was ist das?
Der Begriff des Pavillons leitet sich aus dem lateinischen „papillio“ ab, was eigentlich Schmetterling bedeutet. Im übertragenen Sinne gibt das die Assoziation zum Flattern des Stoffs, der um diesen zeltähnlichen Leichtbau gelegt ist und der eine temporäre Behausung für Aufenthalt, Ausstellungen oder Veranstaltungen abgibt.
Die „Klima-Allianz“ wird, wie auch auf dem evangelischen Kirchentag in Berlin, diesen Transformationspavillon betreiben, um für ihre Ziele zu werben. Diese bestehen bekanntermaßen in der Abkehr von der Kohle und allen anderen fossilen Energieträgern, somit der globalen Dekarbonisierung und der Transformation von Mensch und Gesellschaft. Auf 150 Quadratmetern Grundfläche gibt es verschiedene Formate in Form von Diskussionsrunden, Workshops und Ausstellungen. Jeder soll nach Wunsch der Veranstalter seine Gedanken zu einer Veränderung der Gesellschaft hin zu mehr Klimaschutz, mehr sozialer Gerechtigkeit, mehr Nachhaltigkeit darstellen können.

Transformation wohin?

Das Projekt der Klimaallianz heißt „Reformation – Transformation“ und gibt dem Ganzen damit einen entsprechenden religiösen Hintergrund. Die evangelische Kirche assistiert mit der These, dass die Energiewende die Reformation des 21. Jahrhunderts sei.

Was verbirgt sich nun hinter dem Begriff der „Großen Transformation“?

Grundlage liefert der Beitrag „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ des WBGU („Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“) aus dem Jahr 2011. Liest man ihn heute, muss man sich in die Verhältnisse dieses Jahres zurückversetzen:
Soeben gab es an der japanischen Ostküste einen furchtbaren Tsunami mit folgendem GAU an mehreren Kernkraftwerksblöcken, in Deutschland befand man sich auf dem Höhepunkt der Solareuphorie und die Dynamik des Zubaus an Wind-, Sonne- und Biomasseanlagen schien unaufhaltsam zu sein. Das Wüstenstromprojekt Desertec war in aller Munde, der Ölpreis war doppelt so hoch wie heute und scheinbar sicher am stetigen Steigen. Der Peak-Oil war großes Thema, heute wird er terminlich nicht mehr genannt. Die Erhebungen in der arabischen Welt standen noch am Anfang und man glaubte allen Ernstes an einen „Arabischen Frühling“. Frau Merkel war noch Klimakanzlerin und Obama grüner Präsident. Eine Million Elektroautos auf Deutschlands Straßen im Jahr 2020 schienen genau so realistisch wie das Erreichen des deutschen CO2-Minderungsziels zum gleichen Termin.
So entwickelte die Professorenschar um Schellnhuber ihren eigenen Blick auf die Zukunft und gab sich dabei nicht mit nüchterner Beschreibung zufrieden, sondern forderte Veränderungen, sogar schnellstmögliche und – ihrer persönlichen Bedeutung angemessen – globale. Und so findet man im Papier keinen Plan, sondern ausführlich formulierte Visionen, wie die Welt nach 2050 ohne Kohlenstoff als Energieträger auskommen könnte. Den logischen Weg, aus den Visionen dann Szenarien, Projekte und Pläne abzuleiten, die auch umsetzbar sind, spart man sich allerdings. Ehrlicherweise gibt man zu, die Vision globaler Vollversorgung als Gedankenexperiment zu behandeln, als „Gestaltung des Unplanbaren“. Der zum Leitbild erhobene gestaltende Staat soll klare Ziele setzen und auf verschiedenen Ebenen geeignete „Spiel- und Experimentierräume“ schaffen. Aha. Sie wissen nicht, wie es gehen soll, aber das mit ganzer Kraft und vor allem ganz schnell. Das kohlenstoffbasierte Weltwirtschaftsmodell sei ein unhaltbarer Zustand, die planetarische 2°C-Klimaschutzleitplanke der Nachhaltigkeit ist einzuhalten – ohne Kernenergie. Von irgendwelchen Abwägungen oder Rücksichten ist nicht die Rede.
Wie könnte das organisiert werden? Nationalstaaten dürften nicht mehr allein Vertragsverhältnisse eingehen und auch nicht gleichberechtigt sein, da verschiedene Klimabetroffenheiten bestünden. Ein Weltgesellschaftsvertrag soll das regeln, die machtgeleitete Weltpolitik soll überwunden werden. Basis sollen demokratische Strukturen sein, Bürger seien zu beteiligen in einer Global-Governance-Architektur, die voraussetzt dass alle das Ziel der Dekarbonisierung begeistert unterstützen.

Nicht weniger als die Weltrevolution

Wer regiert dann in der gerechten Weltordnung? Originaltext des Großen Gesellschaftsvertrages: „Global-Governance-Theoretiker, Völkerrechtler, Kosmopoli-ten, Transnationalisten und Gerechtigkeitsphilosophen formulieren dann Antworten auf die globalen Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen . . .“
Auch an Blockademechanismen und Gegenkräfte hat man gedacht: Verbände aus dem Wirtschaftsbereich, Ministerial- und Kommunalbürokratie, Allianzen von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen. Aber die können überwunden werden durch alles gestaltende Staatengemeinschaften und durch neue staatliche Kommunikationspolitik, die zu Genügsamkeit, Solidarität und stärkerer Umweltsensibilität führt. Die Abkehr von bestehender Konsumkultur und die Einführung neuer „Wohlfahrtsmaße“ seien Grundlagen von Verhaltensänderungen. Wohlstand ist kein Thema mehr, sondern staatlich zugestandene Wohlfahrt. Und dass die neuen „Wohlfahrtsmaße“ vermutlich unter den alten angesiedelt sind, wird nicht benannt. Sicher hätte Kim kein Problem damit, seinem nordkoreanischen Staatsvolk die neue Genügsamkeit zu verkünden, in Burkina Faso oder Honduras wird das schwieriger.
Länderpartnerschaften seien zu gründen. Vermutlich werden sich dann Saudis und Iraner über alle theologischen Differenzen hinweg verständigen, die Ölförderung drastisch zu senken. Die Demokratiebewegungen in der arabischen Welt seien Beleg für die Kraft und Dynamik transformativer Prozesse. Oje.
Und wenn es nicht wie gewünscht läuft? Wenn, wie nach Luther: „Wo Gott eine Kapelle baut, da baut der Teufel eine Kirche daneben“? Dann gibt es Sanktionsmechanismen im Völkervertragsrecht sowie Ombudsleute, Mediationsverfahren, alternative Streitbeilegungsverfahren, Konsensuskonferenzen und Szenarioworkshops. Die Gewaltherrscher, Diktatoren und Potentaten dieser Welt werden beeindruckt sein.

Professorale Selbstgewissheit

Unverdrossen wird behauptet, alle technologischen Potenziale zur umfassenden Dekarbonisierung seien vorhanden und man sei bereits auf gutem Weg. Im Jahr 2013 hatten 87 Prozent der globalen Energiebereitstellung eine fossile Basis – genau so viel wie 2003. Die Gesellschaft müsse auf eine neue Geschäftsgrundlage gestellt werden – die mit Marktwirtschaft nichts mehr zu tun hat.
Dies entspricht dem Verlauf der deutschen Energiewende – wir steigen aus, wissen aber noch nicht, wie es dann funktionieren soll. Einfach Wind- und Sonnenkraft auszubauen, wird nicht reichen. Dazu Marc Oliver Bettzüge, Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts der Uni Köln:
„Zudem gibt das Mantra des fortgesetzten EE-Ausbaus keine hinreichende Antwort auf die Frage nach gesicherter Leistung . . .“
Und dazu das passende Wort von Luther:

„Wer die Erkenntnis der Sache nicht hat, dem wird die Erkenntnis der Worte nicht helfen.“

 
Über technologische Details gehen die Professoren hinweg. Der finanzielle Aufwand sei signifikant, aber mit wenigen Prozent des Welt-BIP beherrschbar – und das, obwohl eine Beschreibung des angestrebten Endzustandes nicht möglich sei.
Die Intensität landwirtschaftlicher Produktion müsse gesteigert werden, keine Aussage über das Wie oder gar die Erwähnung von Gentechnik. Selbst arme und ärmste Länder sollen transformieren – das heißt, man will ihnen Kohle als billigen Brennstoff vorenthalten.
Aber das Ganze „wird ohne Technologiesprünge nicht gelingen“. Welche da vermutet werden, bleibt offen. Wind-, Wasser- und Sonnenkraft sind technologisch weitgehend ausgereizt und Kernkraft soll nicht genutzt werden.
Was fehlt im Papier? Der Hinweis auf den nötigen Weltfrieden als Grundlage, die Überwindung der Armut und religiösen Hasses. Aber so viel Realitätsbezug kann man der akademischen Riege nicht zumuten. Die Anmaßung, man könne Menschen umformen, ist bereits im Realsozialismus gescheitert. Große Menschenmassen dazu zu bringen, selbstlos für ein kaum erlebbares höheres Ziel zu kämpfen unter Verschlechterung ihrer Lebensumstände, ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Es gibt unausrottbare menschliche Eigenschaften wie Egoismus, Eigennutz, Gier und Neid, die sich nicht durch Plaudern im Stuhlkreis beseitigen lassen. Die können nur durch eine ordentliche Diktatur eingedämmt werden.
Soweit einige Positionen aus dem 446 Seiten langen Elaborat professoraler Verwirrung. Nichtsdestotrotz wird im Transformationspavillon eifrig diskutiert werden, wie man nun die WBGU-Vorlage umsetzen kann. Auch die evangelische Kirche reiht sich in die Phalanx der Transformationspopulisten ein.

Christen und CO2

„So treten Christinnen und Christen in Umweltdebatten auch eher mit . . . Fachliteratur als mit der Bibel unter dem Arm auf“, steht im Umweltkonzept der EKBO*. Wo die gesicherte Leistung später herkommen soll, wissen auch sie nicht. „Wir glauben, dass es einen dritten Weg zwischen der Alternative Atomstrom oder Braunkohle geben muss.“ Das Spektrum der Fachliteratur war vermutlich zu schmal. Das hindert sie allerdings nicht, in den Großen Ausstiegs-Choral des WBGU, der Klimaallianz und anderer kräftig einzustimmen und beispielsweise einen weltweiten CO2-Preis zu fordern. Dass sich damit Unternehmen ganz und gar unprotestantisch von ihren Klimasünden freikaufen können, ficht die Evangelen nicht an. Tetzeln ist erlaubt, wenn es dem höheren Zweck dient.
Die äußeren Umstände sind derzeit ungünstig. Dass das Klimathema im Volk momentan nicht der Renner ist, sieht man an der Situation der Grünen. Sicher wird auch die unvollendete Theologin Göring-Eckhard den Tarnsformationspavillon besuchen. Sie klagt: „Wenn ich mir die Kli­ma­e­r­hit­zung an­schaue, dann ist die Kacke wirk­lich am Damp­fen.“ Sicher wäre es ihr lieber, wir hätten seit Mitte März 20 Grad und Trockenheit, damit die Klimapopulisten auf breiter Front mit Pauken und Trompeten das Wetter als Ausweis zutreffender Klimavorhersagen feiern könnten. So läuft ihr Hinweis auf die „Klimaerhitzung“ im kalten Frühjahr, das einem milden Dezember gleicht, ins Leere. Als Politprofi sollte sie wissen, dass man deshalb eine andere Agenda setzen müsste, um ins Gespräch zu kommen. Denkbar wären Dieselverbot, Veggie-Wochen oder ein 5-Euro-Spritpreis. Stattdessen versucht sie es lieber mit einer Drohung: „Wir gehen jetzt direkt zu den Leuten, auch an die Haustür.“
Im Transformationspavillon wird es darum gehen, gutwillige Menschen einzufangen in eine Weltsicht, die die Realitäten vernebelt, aber Ideologie und politischem Handeln den Boden bereitet. Von Kanzeln herab und aus Elfenbeintürmen heraus werden Schuld zugewiesen und Verzicht missioniert. Menschen sollen willige Dekarbonisierungsvollstrecker werden. Cui bono?
Zutreffende Lutherworte sollten am Transformationspavillon angebracht werden, beispielsweise

„Kein Irrtum ist so groß, dass er nicht seine Zuhörer hat“

oder auch

„Leichtgläubige Menschen verfallen leicht dem Aberglauben“.

* EKBO – Evangelische Kirche Berlin/Brandenburg/schlesische Oberlausitz
Hier geht es zur Bibel der Großen Transformation, dem „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ des WBGU

image_pdfBeitrag als PDF speichernimage_printBeitrag drucken