Tschernobyl – die Kosten der Angst in Weißrussland

Im Vorwort wird der Unfall in Tschernobyl als die größte technische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet, unter der Weißrussland am meisten zu leiden hatte und noch leidet. 

Was sind nun nach diesem Bericht die objektiven Erkenntnisse über die Folgen für die Menschen?

Die Leute haben teilweise erhebliche Strahlendosen abbekommen, bei den Liquidatoren waren es bis 500 Millisievert (mSv). Einige Personen aus der betroffenen Bevölkerung erhielten Strahlendosen von über 200 mSv. Dass das doch nicht so erschreckend ist, zeigt ein Vergleich: Die zulässige Gesamtdosis für das ganze Berufsleben der Beschäftigten in kerntechnischen Anlagen beträgt 400 mSv. Daher ist nicht verwunderlich, was man in diesem Regierungsbericht liest: Das Schicksal von ursprünglich 826.000 Personen wurde verfolgt. Dabei zeigte sich, dass die Sterblichkeit, d.h. Sterbefälle pro 100.000 Personen und Jahr, ermittelt seit dem Jahr 2.000, derjenigen der Gesamtbevölkerung entspricht. 

Tatsächlich wurde sogar eine etwas unterdurchschnittliche Sterblichkeit ermittelt, auch für die über 5.000 Liquidatoren, was aber sicherlich nur eine statistische Ungenauigkeit darstellt. Oder ist es Hormesis, d.h. positive Wirkung geringer Strahlendosen? 

Allerdings hat Schilddrüsenkrebs bei Erwachsenen und Kindern stark zugenommen. Da diese Krankheit jedoch insgesamt nicht häufig auftrat und selten zum Tode führte, zeigt sich dies nicht in der Sterbestatistik.

Es wird im Bericht behauptet, unter den Liquidatoren gäbe es mehr Leukämiefälle als in der Gesamtbevölkerung, um den Faktor 1,4. Bei den sonstigen betroffenen Personen liegt die Leukämierate im normalen Bereich.

Bild rechts: Dynamik der Erkrankungen an Schilddrüsenkrebs in Weißrussland

Auch wird behauptet, es hätte in den ersten Jahren eine vermehrte Zahl von Missbildungen bei Neugeborenen gegeben. So wurden 31 Fälle von Down-Syndrom gezählt, während die ohne Strahlung erwartete Zahl 14 ist. Was gab es noch bei den 826.000 Betroffenen? Nichts. Sie wurden regelmäßig auf alles untersucht, aber Erkrankungen der Atemwege, des Blutbildungssystems und anderem lagen völlig im Bereich des Normalen. Es wäre auch nicht zu erklären, wie Strahlung solche Krankheiten verursachen könnte.

Das Ergebnis ist insofern erstaunlich, als Angst krank machen kann, und darunter litten die Leute sehr. Jedes Unwohlsein wurde auf die Strahlung zurückgeführt, und geringste Intensitäten galten als ganz schlimm, fast wie bei uns. Dagegen vorzugehen und die Leute zu beruhigen, war das Schwierigste und Teuerste für die Regierung. Man versuchte, Kenntnisse über Strahlenwirkungen zu verbreiten. Besonders beruhigend, meinte man, wäre Geld. So wurden dann doch, entgegen der Erklärung, dass allgemeine Krankheiten nicht häufiger geworden wären, viele Erkrankungen und Behinderungen als strahlenbedingt anerkannt, und dafür gab es Geld, kostenlose Benutzung von Verkehrsmitteln, Kuraufenthalte und anderes. 

Wer bei Aufräumarbeiten geholfen hatte, nämlich die eigentlichen Liquidatoren, außerdem Soldaten und andere, bekommen zu ihrer Rente noch einmal 50 % der Minimalrente. Wer in belasteten Gebieten lebt, bekommt für die Betreuung eines Kinders in den ersten 3 Lebensjahren 150 % des normalen Satzes. Wer in belasteten Gebieten arbeitet, erhält, wenn sie oder er anschließend arbeitslos werden sollte, 100 % des Lohnes weiterbezahlt. Der Schwangerschaftsurlaub der Frauen wird verlängert. Wer in einem belasteten Gebiet arbeitet, zahlt nichts für seine Kost, und wenn die nicht bereitgestellt werden kann, gibt es Geld. Und so weiter. 

Viel Geld wird auch für Infrastruktur ausgegeben: Straßen, Gas- und Wasserleitungen. Die haben unter dem Unfall nicht gelitten, aber nun soll es für die Bewohner besser werden als vorher. 

Was die Leute am meisten schätzen: Ständige medizinische Betreuung. Man hat eben Angst um seine Gesundheit. Eine besondere Rolle spielen Kuraufenthalte, vor allem für Kinder. Einige Einrichtungen wurden eigens für die „Tschernobyl-Kinder“ gebaut. Da werden sie dann auch von Psychologen betreut. Es heißt, in diesen Heimen geht es um die Erhaltung des psychischen, körperlichen und sozialen Wohlbefindens der Kinder. Diese Kuraufenthalte dauern 24 Tage. 

Da ist die Regierung auch dem Ausland dankbar, welches den Kindern Ferienaufenthalte ermöglicht hat. Nein, nicht Deutschland hat aus Weißrussland die meisten Kinder aufgenommen. Zwar waren es über 205.000, aber nach Italien reisten mehr als 461.000 Kinder. Offenbar war Italien das beliebtere Ziel. 

Wovon sollten sich die Kinder erholen? Mögliche Strahlenschäden entstehen in erster Linie durch radioaktive Stoffe, die durch Essen, Trinken und Einatmen in den Körper gelangt sind. Nach einigen Jahren findet man im Körper nur noch das radioaktive Caesium 137. Aber das bringen die Kinder an den Ferienort mit und verseuchen damit ganz unbedeutend die dortigen Toiletten. Fast alles Caesium nehmen sie wieder mit nach Haus. 

Als das Bundesamt für Strahlenschutz noch eine Fachbehörde war, hat dieses die Caesiumgehalte solcher nach Deutschland gereister Ferienkinder ermittelt. Ergebnis: Meist nichts, aber in einigen Fällen doch um die 3 Becquerel (Bq) pro kg Körpergewicht. Gegenüber dem natürlichen Radioisotop Kalium 40 im Körper mit etwa 100 Bq/kg also fast nichts. 

Wie würde es jemandem gehen, der nicht einige Bq/kg, sondern einige 1.000, also kBq/kg im Körper mit sich herumträgt? Vermutlich ganz gut. Derart gehaltvolle Menschen sind zwar nicht bekannt, aber viele Tiere in der Umgebung von Tschernobyl sind so belastet. 

Die 30 km-Zone um Tschernobyl ragt in das Staatsgebiet von Weißrussland hinein. Dieser Teil und ein großes angrenzendes Gebiet wurden zum Naturschutzgebiet erklärt. Im Boden ist viel Strontium 90 (Halbwertszeit 30 Jahre), aber auch Plutonium und Americium, deren Halbwertszeiten man nicht abwarten kann. Das für Lebewesen wesentlichste Radioisotop ist aber auch dort Caesium 137, und davon haben alle Tiere in dem 2.162 qkm großen Park „Polesskij“ mehrere 1.000 Bq/kg im Körper. 

Nun liest man in den Fachzeitschriften für Strahlenhysteriker wie „Gorleben Rundschau“ und „Strahlentelex“, große Tiere gäbe es um Tschernobyl nur scheinbar, kleine Tiere wie Spinnen an vielen Stellen kaum noch und was noch lebt, wäre übel mutiert. 

Da ist dem Bericht der weißrussischen Regierung mehr zu trauen. Der Park „Polesskij“ wird von Arten bewohnt, welche sonst in Weißrussland selten sind, nämlich von Braunbären, Dachsen, Luchsen und Siebenschläfern. Man hat 16 Wisente ausgesetzt, heute sind es 116. Eingesetzt hat man noch Przewalski-Pferde, alle anderen Populationen haben sich von selbst entwickelt: 1.500 Elche, 2.000 Birkhühner, 20 – 30 Paare von Schwarzstörchen, etliche Adler. Das Gelände versumpft immer mehr, das freut die etwa 70.000 Sumpfschildkröten.

Was tun? Die Tiere einfangen und für ein paar Wochen zur Erholung in deutsche Zoos bringen? 

Nun plant Weißrussland den Bau eines Kernkraftwerkes. Wie passt das in den Bericht? Dieser Plan wird nicht direkt erwähnt, aber in der Aufzählung, was man alles gelernt und geleistet hat, steht der Satz:

„Festigung der technisch-wissenschaftlichen Zusammenarbeit bei der Entwicklung einer sicheren Kerntechnik.“