E.ON – Ein Stromkonzern zerlegt sich selbst

Wenn ein solches Unternehmen "freiwillig" – und mit voller Unterstützung des Aufsichtsrats – beschließt, seine Geschäftstätigkeit und Kernkompetenz drastisch zu verringern, dann muss etwas Einschneidendes passiert sein. In der Tat: E.ON glaubt mit den Randbedingungen der politisch verordneten "Energiewende" nicht zurecht zu kommen und hat deshalb die "Notbremse" gezogen. Ab 2016 möchte das Unternehmen risikoreiche Geschäftsfelder auslagern und in einer neuen, von E.ON unabhängigen Firma, an die Börse bringen.

Die Risiken der Energiewende

Seit die Bundeskanzlerin vor dreieinhalb Jahren, fast im Alleingang, den Atomausstieg und die Energiewende durchboxte, hat sich die Welt für die deutschen Stromkonzerne radikal verändert. Das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) verschaffte den regenerativen Energieträgern einen steilen Aufschwung. Durch eine üppige Subventionierung sind inzwischen 82.000 Megawatt (MW) Erzeugungskapazität am Netz: Solar 38.750 MW, Wind 35.600 MW und Biomasse 8.100 MW. Daneben fordert das EEG die unbedingte und vorrangige Einspeisung dieser zumeist volatilen Elektrizität, was bei entsprechender Wetterlage die Strompreise an der Börse kontinuierlich fallen lässt. Derzeit beträgt die sog. EEG-Umlage ca. 25 Milliarden Euro jährlich; dem steht für den erzeugten Strom ein Börsenwert von lediglich 2 Milliarden gegenüber. Ein Großteil des Stroms wird exportiert und verramscht, gelegentlich sogar unter hohen Geldzuzahlungen.
E.ON hat die Politik frühzeitig darüber informiert, dass unter diesen Umständen die konventionellen Kraftwerke (Steinkohle, Braunkohle, Gas, zum Teil auch Atom) nicht mehr rentabel betrieben werden können. Das Unternehmen forderte, zusammen mit RWE, einen sogenannten Kapazitätsmarkt. Dies ist, in praxi, eine staatliche Unterstützung für konventionelle Kraftwerke, wenn sie nicht am Netz sind, aber in Bereitschaft stehen müssen. Als Beispiel wurde immer wieder die Feuerwehr herangezogen, die auch bezahlt werden muss, wenn keine Löscharbeiten anstehen. Die Politik hat diese Hilferufe überhört, ja sogar via Bundesnetzagentur verboten, unrentable Kraftwerke stillzulegen. Darüber hinaus hat sie von den EVU verlangt, die CO2-Emissionen bis 2020 um rd. 22 Millionen Tonnen zurückzufahren. 
Bei der vieldiskutierten Entsorgung der Kernkraftwerke werden E.ON und die drei anderen großen Energieversorgungsunternehmen RWE, EnBW und Vattenfall zu Unrecht publizistisch in die Ecke gestellt. Die bisher zurückgelegten Finanzmittel von ca. 2 Milliarden pro Kernkraftwerk sind voll ausreichend, wie auch aus Rückbauerfahrungen beim früheren Kernforschungszentrums Karlsruhe hervor geht. Nicht bekannt sind allerdings die Kosten für die Endlagerung. Dafür zuständig ist per Atomgesetz die Bundesregierung. Seit das Salzlager Gorleben vor einigen Jahren, auf rot-grünem Zwang hin, leichtfertig aufgegeben wurde, fängt man mit der Suche nach einem Endlager wieder bei Null an. Dabei war nach allen vorliegenden Gutachten Gorleben sehr wohl als Endlager geeignet.  Die Bereitstellung eines neuen Endlagers kann bis zum Ende dieses Jahrhunderts dauern, denn "Gorleben ist überall". Dieser bedauernswerte Umstand ist allerdings nicht von den EVU zu vertreten. Da die staatlichen Spezifikationen zur Verpackung des Atommülls logischerweise erst nach genauer technischer Kenntnis des Endlagers bekannt gegeben werden können, ist es nicht ratsam, mit dem Abriss der Kernkraftwerke vorher zu beginnen. Die hoch strahlenden Teile, wie der Reaktortank, sind am besten geschützt durch die umgebenden Betonstrukturen des Kernkraftwerks und keinesfalls durch provisorische Zwischenläger, wie derzeit inmitten des KIT.

Die zentrale Frage:  Versorgungssicherheit

E.ON hat jetzt den Bettel hingeworfen. Unter den genannten Bedingungen (und vielen weiteren) sah sich das Unternehmen nicht mehr in der Lage, kostengerecht und rentabel Strom zu produzieren. Die Einschränkungen des EEG nahmen immer mehr planwirtschaftlichen Charakter an und benachteiligten den Konzern im europäischen Verbund der Wettbewerber. Trotz umfangreicher Stilllegungen von Kohlekraftwerken und (fast neuen) Gaskraftwerken waren die Kosten nicht mehr hereinzuholen. Schwindende Gewinne aber gefährden die künftig notwendigen Investitionen und drücken den Börsenwert des Unternehmens, sodass "feindliche" Übernahmen nicht auszuschließen sind. Sinnigerweise behält die zukünftige E.ON die hochsubventionierten Erneuerbaren Energien sowie die üppig geförderten Stromnetze im Portefeuille. Alle Kraftwerke müssen sich jedoch eine neue Firma suchen. 
Was in der öffentlichen Diskussion darüber fast gänzlich untergeht, ist das ThemaVersorgungssicherheit. Jedem EVU, insbesondere aber den Großen, ist die allzeit sichere Versorgung der Bevölkerung mit Strom vom Gesetzgeber auferlegt. Die deutschen Stromkonzerne haben in dieser Beziehung eine hervorragende Bilanz vorzuweisen: international stehen sie auf diesem Feld an der Spitze! Sogenannte Blackouts gab es bisher allenfalls kurzzeitig regional, nie aber über die ganze Republik hinweg. Künftig, ab 2016, wenn die neue Gesellschaft in den Markt entlassen wird, muss man sich in dieser Hinsicht Sorgen machen. Die wirtschaftlichen Randbedingungen werden sich bis dahin nicht verbessert haben – im Gegenteil. Es ist anzunehmen, dass die Börsenstrompreise weiterhin sinken werden und der Gesellschaft keine nennenswerten Finanzmittel für Neuinvestitionen zur Verfügung stehen werden. Das wird die neue Gesellschaft veranlassen, ihre ältesten Kohlekraftwerke bis zum Anschlag auszulasten. Abgesehen von der dann miesen CO2-Bilanz, könnte dies in absehbarer Zeit zum technischen Zusammenbruch des Kraftwerksparks führen. Das würde die Netzstabilität aus Äußerste gefährden, die nur von großen Dynamomaschinen gesichert werden kann. Größere Blackouts sind unter diesen Umständen nicht mehr auszuschließen, mit weitreichenden Folgen für das Industrieland Deutschland.
Auch um die Mittel für den oben genannten Rückbau der Atomkraftwerke muss man sich Sorgen machen. Sie sind ja – so vermute ich mal – nicht auf einem Sonderkonto in Festgeld geparkt, sondern werthaltig in Vermögensteilen, wie dem Kraftwerkspark. Wenn dieser aber aus technischen und marktwirtschaftlichen Gründen an Wert verliert, so vermindert sich ganz schnell auch die darin angesammelte atomare Rückbaureserve. Die Bundesregierung hat dieses Problem erkannt und will den Sachverhalt noch vor Weihnachten überprüfen lassen.

Vor einem Jahr

 In Zukunft werden also zwei Firmen den Strom ins E.ON-Verbreitungsgebiet einspeisen: die (abgemagerte) E.ON liefert Sonnen- und Windstrom, die neue (noch namenlose) Gesellschaft den konventionellen Strom aus Kohle- , Gas- und Kernkraftwerken etc. Wie dies in der Summe aussehen könnte, ist aus dem untenstehenden Diagramm entnehmen, welches die Situation vor ziemlich genau einem Jahr, nämlich in der 51. Kalenderwoche 2013 wiedergibt. (Daten von Leipziger Strombörse EEX und B. Burger, Fraunhofer ISE).
 
Abb. 1 Deutsche Stromproduktion: 51. Woche,  16. bis 22. Dezember 2013,

Abb. 2 Stromeinspeisung vom  19.11.14; Hier wird der Ertrag von Sonne und Wind als „Spitzenprodukt“ dargestellt – es müsste eigentlich als Basis dargestellt werden, da diese Energie ja nach dem EEG zuerst eingespeist werden muss. Normalerweise ergibt die dortige Darstellung ein überaus „erfreuliches“ Bild. Bild Deutsche Dachbörse; mit Dank an J. Michele
Wie man aus der Tabelle erkennen kann, benötigte Deutschland in dieser Vorweihnachtswoche im Schnitt 60.000 Megawatt an Stromleistung und knapp 10 Terawattstunden an elektrischer Energie. Zu ca. 80 Prozent wurden diese von den konventionellen Kraftwerken geliefert. Die ca. 20 Prozent an Sonnen- und Windstrom wurden nur fluktuierend dazu geliefert, mussten aber, wegen des EEG, bevorzugt eingespeist werden. Betrachtet man den grau angefärbten konventionellen Strom als "Grundwellen" in einem See, so erscheinen die gelben und roten Beiträge von Sonne und Wind nur als stochastische "Schaumkronen" auf diesen Wellen. Hinzu kommt – ganz wichtig – dass die Lieferanten des konventionellen Stroms auch für die Netzstabilität zu sorgen haben. Wie beispielsweise gestern (am 12. 12. 2014) angesichts der Sturmfront "Billie"!
Es stellt sich die Frage, ob die neue E.ON nach 2016 in der Lage sein wird, diesen energiewirtschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen. Und wer die Chefs dieser Gesellschaft sein werden. Möglicherweise Hedgefonds-Manager, die ihren Sitz auf den Cayman-Inseln haben und für die deutschen Behörden kaum greifbar wären? Finanzjongleure, die das neue E.ON-Unternehmen nur nach schnellem Profit steuern: ein Horrorgedanke. 
Immer mehr drängt sich die Befürchtung auf, dass politische Zauberlehrlinge vor dreieinhalb Jahren mit klobiger Hand in das deutsche Stromsystem eingegriffen haben, das vorher mehr als hundert Jahre perfekt funktioniert hat. Inzwischen spürt diese Laienschar immer mehr, welchen energiewirtschaftlichen Schaden sie angerichtet hat und versucht hektisch gegenzusteuern. Hoffen wir, dass ihr dies gelingt. Andernfalls könnte die konventionelle Stromerzeugung in Deutschland in wenigen Jahren zusammenbrechen.
Übernommen vom Blog des Autors hier
Über den Autor:
Willy Marth, geboren 1933 im Fichtelgebirge, promovierte in Physik an der Technischen Hochschule in München und erhielt anschliessend ein Diplom in Betriebswirtschaft der Universität München. Ein Post-Doc-Aufenthalt in den USA vervollständigte seine Ausbildung. Am „Atomei“ FRM in Garching war er für den Aufbau der Bestrahlungseinrichtungen verantwortlich, am FR 2 in Karlsruhe für die Durchführung der Reaktorexperimente. Als Projektleiter wirkte er bei den beiden natriumgekühlten Kernkraftwerken KNK I und II, sowie bei der Entwicklung des Schnellen Brüter SNR 300 in Kalkar. Beim europäischen Brüter EFR war er als Executive Director zuständig für die gesamte Forschung an 12 Forschungszentren in Deutschland, Frankreich und Grossbritannien. Im Jahr 1994 wurde er als Finanzchef für verschiedene Stilllegungsprojekte berufen. Dabei handelte es sich um vier Reaktoren und Kernkraftwerke sowie um die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe, wo er für ein Jahresbudget von 300 Millionen Euro verantwortlich war.