«St.  Doris, werden Sie Schutzpatronin des ­Klimas», wird in der Kampagne gefordert: Sie zeigt Bundesrätin Doris Leuthard, gewandet wie eine Göttin, mit einem Heiligenschein aus Dampf. Was aussieht wie ein überdrehter Nebelspalter-Scherz, meinen die Schweizer Umweltbewegten tatsächlich ernst. Sechzig Organisa­tionen – von den rot-grünen Parteien über die Profiteure von Öko-Subventionen oder Entwicklungshilfe-Milliarden bis hin zum Gewerkschaftsbund – fordern von der Schweizer Politik, die Energieversorgung «auf 100 Prozent erneuerbare Energien umzustellen», also bis 2030 den CO2-Ausstoss der Schweiz um 60 Prozent zu senken. Per Klick lässt sich dafür ein Mail an St. Doris schicken. Von den mehr als ­eine Million Mitgliedern der beteiligten Organisationen taten es bis Redaktionsschluss 17 534 – um den Geisteszustand der Schweizer muss man sich also noch keine Sorgen machen.
Ohne Heiligenschein trat Doris Leuthard am Montag an der Uni Bern auf. Nachdem der Weltklimarat (IPCC) am Sonntag in Kopenhagen seinen Synthesebericht verabschiedet hatte, stellten ihn die Spitzen des IPCC um den Berner Professor Thomas Stocker im Hauptquartier der sechsjährigen Arbeit vor. Und die Bundesrätin, die über Umwelt, Verkehr und Energie gebietet, deutete in ihrem Referat an, wie es mit der Schweizer Klimapolitik weitergeht. Ihre wichtigsten Aussagen:
«Wir warten immer auf die Berichte des Weltklimarates, und der neue kommt zu einer sehr guten Zeit, vor der Klimakonferenz von Lima.»  Die «gute Zeit» ist perfekt geplant:

Vom 1. bis 12. Dezember findet in der peruanischen Hauptstadt eine der alljähr­lichen Konferenzen statt, zu denen Tausende von Klimaschützern aus aller Welt jetten, um folgenlos darüber zu reden, wie sich das ­Klima schützen liesse.

Doch diesmal müsste etwas geschehen, denn die Konferenz von ­Lima muss jene von Paris im Dezember 2015 vorbereiten, wo die Weltgemeinschaft einen Vertrag mit verbindlichen Zielen zum CO2-Ausstoss aller Länder schliessen soll.
Am Gipfeltreffen, zu dem Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon im Oktober rief, nahmen allerdings die Oberhäupter von China, Indien und auch Deutschland nicht teil.

Der indische Premierminister Narendra Modi sagte gar:
«Das Klima hat sich nicht geändert, wir haben uns geändert.»

Und in den USA straften diese Woche die Wähler Präsident Barack Obama für seine diktatorische Energiepolitik am Kongress vorbei ab. Mit seinem Bericht versucht der IPCC deshalb, die Weltöffentlichkeit aufzurütteln: Es bleibt noch ganz wenig Zeit, um die Katastrophe zu verhindern. Dumm ist nur, dass der IPCC das seit zwanzig Jahren sagt – schon mehrere Verfallsdaten sind folgenlos verstrichen.
«Die Klimaerwärmung ist unbestritten. Die Menschen sind hauptverantwortlich für den Anstieg der Temperaturen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.» Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent stimmten diese Aussagen, verkünden die Wissenschaftler des IPCC im aktuellen fünften Bericht. Im vierten Bericht von 2007 behaupteten sie es erst mit ­einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent.

Die Wissenschaftler glauben also mit ­einer noch grösseren Gewissheit – dabei ­zeigen sie in ihrem eigenen Bericht grössere Ungewissheiten denn je.

Umstritten ist vor allem die Klimasensitivität, also die Frage, wie stark sich das Klima erwärmt, wenn sich der CO2-Anteil in der Atmosphäre verdoppelt. Im neuen Bericht gibt der IPCC einen Bereich von 1,5 bis 4,5 Grad und ­einen besten Wert von 3 Grad an – mit einer grösseren Unsicherheit als früher. Dabei zeigen zahlreiche neue Studien, dass der Wert viel tiefer liegen dürfte: Nicholas Lewis und Judith Curry stellen nur die vom IPCC beurteilten Studien zusammen und kommen damit auf einen Bereich von 1,25 bis 2,45 Grad mit einem besten Wert von 1,64 Grad. Der Klimarat löste das Problem seines Unwissens elegant: In der Zusammenfassung des Syntheseberichts spricht er das heikle Thema gar nicht an.
«Der IPCC-Bericht ist neutral und objektiv, er gibt uns Politikern Leitlinien für das, was wir tun sollten.»
Judith Curry, eine führende Atmosphärenphysikerin am Georgia Institute of Technology, sagte im Januar 2014 in einer Anhörung im Kongress:
«Ich bin zunehmend besorgt darüber, dass sowohl das Problem des Klimawandels als auch seine Lösung gewaltig übersimplifiziert werden. Aufgrund meiner Forschung zur Ungewissheit frage ich mich, ob diese Dynamik noch gesund ist, sowohl für die Wissenschaft als auch für den politischen Prozess.»
Der Physiker Charles F. Kennel und der Politologe David G. Victor, Spezialist für Klimaverhandlungen, zweifelten gar vor einem Monat in der Zeitschrift Nature, dass es sinnvoll sei, wie der IPCC zu verlangen, dass sich die Erde nicht mehr als zwei Grad erwärmen dürfe. Dieses Ziel sei vor vier Jahren «auf dürftiger wissenschaftlicher Grundlage» festgelegt worden: «Seither sind zwei eklige politische Probleme aufgetaucht. Erstens ist das Ziel nicht erreichbar. Zweitens ist es unpraktisch, weil es den Regierungen und den Leuten nicht sagt, was sie tun sollen.» Deshalb erlaube es den Politikern, Aktivität vorzutäuschen, «während sie tatsächlich kaum etwas ­machen».
«Wir brauchen eine Transformation unserer Wirtschaft, unserer Technik, unseres Verhaltens, vor allem im Energiesektor, um unsere Emissionen zu senken.» Doris Leuthard will das Leben der Schweizer ändern. Dabei setzt sie weniger auf die Klimapeitsche als auf den Energieknüppel: In der Wintersession ab 24. November streitet der Nationalrat an vier Tagen um die Energiestrategie 2050. Klar ist: Die Schweizer müssen sich einschränken, denn sie müssen auch die Atomkraft­werke abstellen, die bisher im Mix mit der Wasserkraft dafür sorgten, dass die Schweiz vorbildlich dasteht mit einem CO2-Ausstoss pro Kopf von 5 Tonnen gegenüber 9 in Deutschland, das den günstigen und verlässlichen Strom mit Braunkohle erzeugen muss, 17 in den USA und gar 21 in Luxemburg. Die Schweizer wollen sich aber nicht einschränken, wie sie in jeder Abstimmung in Gemeinden und Kantonen zeigen. Deshalb will der Bundesrat eine Volksabstimmung über die Energiewende krampfhaft vermeiden.
«Wir wollen nächstes Jahr in Paris einen Vertrag mit bindenden Verpflichtungen schlies­sen. Jedes Land muss bereit sein, seinen fairen Teil zu leisten.» Bei ihrem Auftritt in Bern drückte sich die Bundesrätin um eine Aus­sage dazu, was die Schweiz als ihren «fairen Teil» anbieten will. Bisher schloss sich die Schweiz der EU an, diese konnte sich gegen den erbitterten Widerstand von Polen darauf einigen, den CO2-Ausstoss bis 2030 um 40 Prozent zu senken – weil der faule Kompromiss in merkelscher Manier völlig unverbindlich bleibt.
Die Schweiz, die schon vorbildlich dastehe, könne ihren CO2-Ausstoss nur mit Mühe weiter senken, betonte Doris Leuthard. Sie will stattdessen Ablasszahlungen leisten, nämlich nochmals hundert Millionen Dollar für den Green Climate Fund spenden. Dank diesem Fonds, an der gescheiterten Klimakonferenz von Kopenhagen 2009 beschlossen, sollen jährlich hundert Milliarden in die armen Länder fliessen, die angeblich am meisten unter dem Klimawandel leiden; neben der Schweiz nimmt aber kaum jemand die Verpflichtung ernst.
Das heisst: St. Doris enttäuscht ihre schwärmerischen Verehrer – sie entwickelt sich mit ihrem Taktieren nicht zum Engel, sondern zu Angela.

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Anmerkung EIKE-Redaktion :

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in WELTWOCHE Zürich:

| Die Weltwoche, Ausgabe 45/2014 Donnerstag, 6. November 2014  ; http://www.weltwoche.ch/

EIKE dankt der Redaktion der WELTWOCHE für die Gestattung des ungekürzten Nachdrucks.

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