2007 wurde das Buch in Deutschland neu aufgelegt. Joachim Radkau, renommierter Umwelthistoriker, schrieb eine ausführliche Einleitung zum Reprint. Er lobte Carson, lobte die Wirkmacht ihres Buch, das Umdenken hin zum ökologischen Bewusstsein. Eine Kleinigkeit vergaß Radkau: DDT hatte zuvor nach Ansicht der National Academy of Science der USA rund 500 Millionen Menschen das Leben gerettet. DDT wurde nämlich nicht nur als Pflanzenschutzmittel eingesetzt, sondern ­– im Vergleich dazu in sehr sparsamen Dosierungen – auch zur effizienten Bekämpfung der Anopheles-Mücke, der Überträgerin der Malariakrankheit. Das Verbot von DDT wiederum ist deshalb für einige Milliarden schwerste Krankheitsfälle verantwortlich, für Malaria-Epidemien, für bis zu drei Millionen Malariatote pro Jahr(!), infolgedessen für volkswirtschaftliche Schäden, für Not und Elend in Afrika und Südasien.
Carsons Buch und seine Folgerungen sorgten dafür, dass die moderne Umweltbewegung gleich in ihren Anfängen ihre Unschuld verlor. Sie ging damit über Leichen, viele Millionen Leichen. Die Strategen der ersten Stunde sorgten dafür, dass das Verbot umfassend gelten sollte, auch für die geringen Dosen in der Mückenbekämpfung. Einige äußerten sich dabei in einer Weise, die nahelegt, dass ihnen das Schicksal von Afrikanern nicht nur gleichgültig war, sondern dass sie im DDT-Verbot und die ungebremste Malaria womöglich auch eine Lösung für das "Umweltproblem" Mensch, die Überbevölkerung sahen.
Das DDT-Verbot markierte daher schon zu Beginn einen nicht unbedeutenden Seitenaspekt der Bewegung: den Ökoimperialismus. Wir ergötzen uns an Grundsätzen, die wir aus unserer komfortablen Situation der Reichen aufstellten, oft genug nur symbolisch begründet, und oktroyieren sie anschließend kraft unserer wirtschaftlichen Potenz den armen Ländern auf, die damit größte Probleme bekommen.
Der Kampf gegen die Malaria mit DDT war nach dem Krieg in Afrika, Lateinamerika und Asien äußerst erfolgreich. Beispiel Sri Lanka: 1948 noch 2,8 Millionen Fälle, 1963 nur noch 17. Beispiel Sansibar: 1958 waren 70 Prozent aller Bewohner malariakrank, 1964 nur noch fünf Prozent. Ähnlich lief es in anderen Ländern. Dann kam das DDT-Verbot. Und Länder, in denen der Kampf gegen die Malaria fast gewonnen schien, wurden wieder auf die Ausgangslage zurück geworfen. Dabei war das DDT-Verbot das Ergebnis eines ausgesprochen dubiosen Anhörungsverfahrens im US-Kongress, ein Schlüsselerlebnis für die aufkommenden Ökoverbände der USA.
Charles Wurster, in den sechziger Jahren führender Wissenschaftler beim amerikanischen Environmental Defense Fund (EDF), brachte es damals auf den Punkt: "Wenn die Umweltbewegung über DDT obsiegt, wird sie eine nie gekannte Autorität gewinnen. Es geht um viel mehr als nur DDT." Entsprechend verbissen betrieben die Verbände ihre Lobbyarbeit. Das Verbot kam, wurde über die Entwicklungshilfe und offen oder versteckt angedrohte Handelssanktionen auch in den malariaverseuchten Ländern durchgesetzt.
Parallel dazu stellte sich immer klarer heraus, dass das Verbot haltlos war. Nach und nach entkräfteten dutzende wissenschaftliche Studien, die in angesehenen Blättern wie "Science" oder "Lancet" veröffentlicht wurden, die Horrorszenarien aus Rachel Carsons Buch, und erst recht die Mär, dass jemals Menschen durch angemessenen Gebrauch von DDT zu Schaden gekommen wären. Doch DDT war Teufelszeug, ist Teufelszeug und wird immer Teufelszeug bleiben. In manchen Ländern nahm deshalb die Malariaepidemie erneut so dramatische Ausmaße an, dass vernünftige Köpfe die zwischenzeitliche Verwendung von DDT wieder durchsetzten, teilweise – doch dies erfolgte ohne dass es einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde.
Bei allem Zynismus des Verbotes hätte all das wenigstens einen Sinn ergeben können: Wenn nämlich die Akteure der globalen Umweltpolitik daraus gelernt hätten und sich ihrer Verantwortung auch für die Lebenssituation in den Ländern Afrikas und Asiens wenigstens ein wenig bewusster geworden wären. Doch auch Jahrzehnte später gilt: Erfolge von Umweltkampagnen, das Beharren auf Prinzipien ist wichtiger als die Solidarität, selbst wenn die Prinzipien auf keinem sachlich begründeten Fundament fußen.
Fünf Millionen Kinder erblinden heute jährlich wegen Unterversorgung an Vitamin A, bei vielen weiteren führt das Defizit zu Hirnschädigungen oder zu frühkindlichem Altern. 670.000 von ihnen sterben deshalb laut wissenschaftlichen Studien, und zwar jedes Jahr. Vor allem in Indien und anderen Staaten Asiens. Der Grund: Reis, dort auf dem Land bisweilen das ausschließliche Nahrungsmittel, sorgt einfach nicht für ausreichende Vitaminversorgung. Alle Appelle oder Hilfen hin zu größerer Nahrungsvielfalt, die das Problem natürlich lösen könnte, sind weitgehend gescheitert, an der Armut, aber auch an eingefahrenen Nahrungsgewohnheiten.
Es gäbe einen Ausweg aus dem Dilemma. Aber das hat einen Makel – nicht in Indien oder auf den Philippinen oder sonst wo auf der Welt, sondern ausschließlich bei uns, im reichen, bestens versorgten Europa, und deshalb kann der Ausweg nicht zum Zuge kommen. Die kurz- oder mittelfristige Lösung des Problems wäre nämlich eine Reissorte, die genetisch verändert ist.
Nach jahrzehntelanger Forschung, Entwicklung und wissenschaftlicher Prüfung haben zwei Biologen, Ingo Potrykus und Peter Beyer, eine Reissorte hervorgebracht, den sogenannten "Goldenen Reis", der Betacarotin enthält, ein Provitamin, aus dem der menschliche Körper Vitamin A aufbauen kann. Fünf bis sechs Millionen Kinder hätten eine Chance der Erblindung oder dem Tod zu ergehen, wenn sie ihn essen dürften. Man müsste nicht mehr warten, bis sich in Jahrzehnten die Nahrungsgewohnheiten verändern, die Wirkung könnte unmittelbar eintreten.
Doch der Reis darf noch nicht einmal für den Verzehr angebaut werden. Eine internationale, finanzstarke Lobby aus Umweltverbänden der reichen Länder sorgt bis zum heutigen Tag dafür, dass der genveränderte Reis noch keine Zulassung hat. Bestens vernetzt baut sie über die heimischen Regierungen Druck auf die Verwaltungen in den Entwicklungsländern auf. Und Aktivisten ihrer Partnerorganisationen in Asien werden unterstützt, damit sie zum Zertrampeln von Versuchsfeldern übers Land fahren können.
Alles nur aus einer dem hiesigen Luxus geschuldeten Biolandbau-Seeligkeit, die von einer längst nicht mehr gegebenen (warum auch?) gentechnikfreien Welt träumt, und die ebenso über Leichen geht, wie weiland das völlig unnötige DDT-Verbot. Dabei sind die sachlichen Argumente auch hier, gegen den Goldenen Reis längst entkräftet. Es gibt keine gesundheitlichen Verfänglichkeiten, und es werden auch keine Konzerne mit dem Goldenen Reis reich, was stets als Kritikpunkt angeführt wird. Ingo Potrykus hat den Reis ohne sie entwickelt, ja streckenweise auch gegen sie. Er hat den Saatgutkonzernen die nötigen Patente abgerungen, indem er ihnen drohte, sie ansonsten öffentlich an den Pranger zu stellen. Es geht schließlich um Leben und Tod, ein Argument, das die Konzerne – ganz im Gegensatz zu den Umweltverbänden – überzeugte.
So könnte der Goldene Reis kostenlos an die kleinen und mittleren Farmer abgegeben werden, und, da der Reis nicht als Hybridreis entwickelt wurde, kann das Saatgut aus jeder Ernte wieder neu gewonnen werden – zwei Eigenschaften, die fälschlicherweise immer wieder in Abrede gestellt werden, weil sie dem Klischee der Gentechnik widersprechen.
Ansonsten sollen jetzt nur noch allzu durchsichtige Argumente den Einsatz verhindern. Mal ist danach zu wenig Betacarotin im Reis, mal wird vor einer Überdosis gewarnt.
Das Hauptargument, das übrig blieb, ist bezeichnend genug und dokumentiert die Schwäche der Kritiker nur zu deutlich: Der Goldene Reis, so heißt es inzwischen allenthalben, sei das "Trojanische Pferd", das mithilfe von Argumenten der Humanität die Gentechnik salonfähig machen solle. Mit anderen Worten: Man hat Angst davor, dass die Einführung einer gentechnischen Pflanze alle Gegenargumente entkräftet. Mit noch anderen Worten: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Ulli Kulke ist Reporter und Journalist Bei WELT und WELT am SONNTAG

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