von Alexander Wendt

Wenn niemand zuhört: Innenansichten über die Energiewende

Journalisten führen regelmäßig so genannte Gespräche „unter drei“. Der Code bedeutet: Was Politiker oder Chefs von Unternehmen und Organisationen dort sagen, darf nicht zitiert werden, auch nicht camoufliert. Also nicht einmal in der Form: „sagte ein Mitglied des Bundeskabinetts“. Wozu finden solche Gespräche dann überhaupt statt? Weil Amtsträger auch gern einmal aussprechen, was sie wirklich denken, was sie wiederum nur in einer geschützten Atmosphäre tun können, eben unter drei beziehungsweise unter vier Augen. Dem Gespräch wohnt also durchaus eine therapeutische Komponente inne. Die interessantesten, saftigsten und überraschendsten Äußerungen unter drei, die ich in den letzten zwei Jahren zu hören bekam, betrafen ausnahmslos die Energiewende. Natürlich würde ich sie liebend gern komplett zitieren. Das kann ich nicht, ohne den vertraulichen Modus zu verletzen. Einen kleinen Ausweg gibt es allerdings, gewissermaßen die Katzenklappe, durch die ein Journalist der Situation entschlüpfen kann, ohne zu viel preiszugeben. Fast alle großen Medien, „Spiegel“, „Zeit“ et al. praktizieren diese Notlösung irgendwann. Zu diesem Zweck verschleiern sie (und im Folgenden auch ich) die Identität der Zitatgeber bis zur Unkenntlichkeit. Nur an den Zitaten selbst ändert sich nichts. Es handelt sich hier also eher um eine soziologische Untersuchung zu der Frage, wie prominente und mächtige Zeitgenossen in Deutschland das Projekt Energiewende beurteilen, wenn keiner weiter zuhört.

1.    Ein Vorsitzender einer großen, einflussreichen Organisation, der öfters sowohl mit Angela Merkel als auch mit Sigmar Gabriel und etlichen Abgeordneten spricht:

„Die Parteien in Berlin unterscheiden sich bei der Energiewende nur durch die Grade ihres Irrsinns.“

2.    Ein Unionspolitiker, der einmal zu den Wichtigen in der Partei gehörte:

„Ich habe mit Angela Merkel oft über die Energiewende gestritten. Sie ist da stur bis zum ideologischen Starrsinn.“

3.    Ein führender Unionspolitiker: 

„Mit der Energiewende ist es wie mit einem Fuhrwerk, das in eine Sackgasse fährt. Da braucht man nicht hinterherzulaufen, denn das kommt genau dort wieder heraus, wo es eingebogen ist. Von Unterhaltungswert ist nur das Wendemanöver.“

4.    Ein Politiker, der sich mit Angela Merkels duzt:

„Haben Sie einen Ofen? Ich meine, einen Ofen, in den Sie richtig Holz verbrennen können? Nein? Ich habe einen Ofen, ein Grundstück, und Holzvorräte. Mir würde ein Blackout nichts ausmachen.“

5.    Ein gewichtiger Sozialdemokrat in Angela Merkels Kabinett:

„Die Energiewende steht kurz vor dem Aus. Die Wahrheit ist, dass wir auf fast allen Feldern die Komplexität der Energiewende unterschätzt haben. Für die meisten anderen Länder in Europa sind wir sowieso Bekloppte.“

Gut, in diesem Fall spricht nichts dagegen, den Urheber zu nennen: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. Bei einem Besuch eines Kasseler Solarunternehmens rutschte ihm die Bemerkung heraus, der Reporter einer lokalen Nachrichtenplattform sorgte für ihre Verbreitung. Gabriel dementierte nicht.
Mittlerweile muss er auch nicht mehr befürchten, mit seinem Urteil einsam dazustehen. Der Bundesrechnungshof veröffentlichte kürzlich einen regelrechten Verriss der Energiewende: Die Maßnahmen der Bundesregierung seien „unkoordiniert, uneinheitlich, redundant“. Den Ministerien bescheinigen die Rechnungsprüfer, dass ihnen „der umfassende Überblick über die von ihnen selbst eingeleiteten Maßnahmen fehlt“. Die Bundesnetzagentur wiederum weist darauf hin, dass der Bau von 1 860 Kilometern neuer Stromtrassen, die eigentlich bis 2015 den Windstrom in den Süden transportieren sollten, gelinde hinterherhinkt. Bis heute existieren davon gerade 300 Kilometer. Niemand braucht prognostische Fähigkeiten, um vorauszusehen: Auch bis 2020 steht das Leitungsnetz noch nicht, das eigentlich schon in einem halben Jahr gebraucht würde.
Der Plan wiederum, den in diesen Mengen weder benötigten noch transportierbaren Ökostromüberschuss zu speichern, zerbröselt unter den Augen der Bundesregierung. Ein Gutachten in Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums untersuchte kürzlich, ob sich unter den Bedingungen der Energiewende der Bau von Pumpspeicherwerken noch lohnt. Die klare Antwort: Nein. „Die ermittelten Deckungsbeiträge werden nicht zur Refinanzierung von Neuinvestitionen in Pumpspeicherwerke ausreichen,“ heißt es in dem Papier. Andere Speichertechniken wie synthetisches Methan oder Riesenbatterien befinden sich ohnehin noch im Versuchsstadium.
Was bedeutet es eigentlich, dass fast die gesamte wirtschaftliche und politische Elite weiß, dass sich das teuerste Projekt der deutschen Nachkriegsgeschichte zu einer fulminanten Katastrophe entwickelt, dass ihre Mitglieder aber gleichzeitig glauben, sie dürften die Erkenntnis nicht laut aussprechen? Normalerweise scheue ich den Gebrauch historischer Parallelen. Aber hier passt sie möglicherweise doch ins Bild. Ich hatte mich als Journalist in den vergangenen Jahren immer wieder mit ehemaligen DDR-Funktionären unterhalten. Darunter gab es durchaus kluge, reflektierte Leute. Sie versicherten mir ausnahmslos, dass sie den Zusammenbruch ihres Staates schon lange vor 1989 vorausgesehen hatten. Auf meine Frage, warum sie dann weiter mitgemacht hätten, zuckten sie mit den Schultern. Sie sagten, sie verstünden das mittlerweile selbst nicht mehr.
Mein Buch „Der grüne Blackout. Warum die Energiewende nicht funktionieren kann“ zeichnet in seiner Neuausgabe die Geschichte eines singulären Scheiterns gewissenmaßen in Echtzeit nach. Und es bilanziert die Schäden, in der Volkswirtschaft wie in der Natur. Das Buch zum Desaster gibt es seit dem 1. September endlich nicht nur als E-Book, sondern bei Amazon auch als aktualisiertes und stark erweitertes Taschenbuch mit 178 Seiten für 9,99 Euro. Das Taschenbuch besitzt einen unschlagbaren Vorteil: Man kann es lesen, und anschließend dem Politiker seiner Wahl ins Abgeordnetenbüro schicken.
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