In Übereinstimmung mit Three Miles Island, scheint es in Fukushima keine von Strahlung verursachte Todesfälle gegeben zu haben; sogar in Tchernobyl war die nachweisbare Todesrate durch Strahlung klein gegenüber Ereignissen in Bophal oder dem Banqiao Dammbruch.
Was die humanitäre Misere in Fukushima verursachte, war die Reaktion – nicht die vorsorgliche Evakuierung, sondern was folgte und ironischerweise, auch was vorherging. Das einzige andere Gebiet, das gesperrt wurde wegen menschlicher Aktivitäten, ist Tchernobyl. Daraus folgt für den Laien, dass die Strahlung in diesen Sperrzonen ein höheres Risiko darstellt, als jede andere menschengemachte Bedrohung auf dem Planeten.
Die öffentliche Wahrnehmung von radioaktiver Strahlung ist sehr komplex. Es gibt keine generelle Angst vor ionisierender Strahlung – das zeigt sich z.B. in Gebieten mit hoher Radon Konzentration. Die vielen Beispiele von Todesfällen, die durch unachtsamen Umgang mit radioaktivem Material im medizinischen Bereich vorkamen, scheinen nicht von Radiophobie begleitet zu sein ebenso nicht der Mord an Alexander Litvinenko in London 2008. Klar ist, das es etwas gibt in der Kommunikation von Strahlung, die von zivilen nuklearen Aktivitäten stammt, das ein Bündel von Ängsten geschaffen hat, die es in anderen Kontexten nicht gibt.
Auf einem Meeting des Japan Atomic Industrial Forum (JAIF) früher in diesem Jahr, beklagte ein Sprecher, dass die Japanische Öffentlichkeit nicht bemerkt hat, dass menschengemachte radioaktive Strahlung dieselbe ist wie die natürliche Strahlung überall um uns herum. Eine riesige Anstrengung erforderte die Korrektur dieses Missverständnisses, um so Kernenergie akzeptabler zu machen.
Aber gut, was weiß der gut informierte Japaner (oder schließlich, welche unbestreitbaren Fakten sind in der Öffentlichkeit verbreitet)?
Zuerst und vor allem wurden ca. 100.000 Menschen evakuiert aus einer 20km Zone um Fukushima Daiichi und es wurde ihnen nicht erlaubt (außer einigen Hundert erst vor kurzem) in ihre Häuser zurückzukehren über einen Zeitraum von über drei Jahren, was unsägliches Leid verursacht hat. In vielen Gebieten der Sperrzone ist die Strahlung (aus allen Quellen) niedriger, als 5mSv pro Jahr, mit einer radioaktiven Niederschlagdosis von unter 1mSv pro Jahr.
  Klar ist, das es etwas gibt in der Kommunikation von Strahlung, die von zivilen nuklearen Aktivitäten stammt, das ein Bündel von Ängsten geschaffen hat, die es in anderen Kontexten nicht gibt.
Zweitens gibt es Gebiete wie Ramsar in Iran (durchschnittlich 130mSv/a) und Guarapari in Brasilien (Spitzenwerte am Strand in der Größenordnung von 350mSv/a), die nicht evakuiert werden. Es gibt sogar bestimmte Gebiete in Japan (z.B. die Insel Kyushu) wo die natürliche Dosis höher ist, als in einigen Teilen der Sperrzone.
Was kann der gut informierte Japaner damit anfangen? Es scheint drei mögliche Erklärungen zu geben.
1.     Entweder sind die Behörden irrsinnig (oder kaltschnäuzig), so viele Leben aufs Spiel zu setzen und solch riesige Schäden aus unvertretbaren Gründen zu verursachen.
2.     Die Behörden lügen einfach über die Höhe der Kontamination in der Sperrzone.
3.     Menschengemachte radioaktive Strahlung ist signifikant gefährlicher als natürliche Strahlung, sodass Vergleiche bedeutungslos sind.
Angenommen die Japanische Regierung und die nukleare Industrie sind erfolgreich bei der Überzeugung der Menschen, dass ihr (sensibles) Verständnis der indiskutablen offensichtlichen Fakten (Option 3) nicht korrekt ist. Die Fakten werden sich nicht ändern, sodass ein neues Verständnis erforderlich ist. Es ist nicht sofort offensichtlich, dass ein Umschwenken zur Option 1 (die wahre Option) oder 2 das Zutrauen der Bevölkerung zur Industrie oder zum Konzept der Kernenergie verbessern würde.
Ironischerweise ist verdächtig, dass die irrationale Aussperrung zur Annahme führte, die Menschen beschwichtigen zu können. Aber in Wirklichkeit gibt es einen nachweisbaren aber meist unsichtbaren Mythos, dass man auf Nummer sicher gehen muss beim Strahlenschutz. Jede Aktion, die nicht auf Gesundheitsfürsorge begründet ist – will sagen Aussperrung aus einem Gebiet, das sicherer als das Leben in London oder Tokio mit all der dortigen Luftverschmutzung ist – macht mehr Schaden, als Nutzen.
Man kann sicher argumentieren, dass eine übertriebene Vernarrtheit in die Reduzierung der Strahlendosis, weit entfernt von einer Minimierung des schädlichen Einflusses auf Menschen, das eigentliche Kernproblem ist. Möglicherweise ist die Schlüsselfrage – wie schützen wir die Menschen nicht vor radioaktiver Strahlung, sondern vor den Einflüssen des Strahlenschutzes?
Malcolm Grimston ist ein Erfahrenes Forschungsmitglied am Imperial College Centre for Energy Policy and Technology. Er wird an einem Forum über Strahlenschutz am WNA Symposium in London, am 10. – 12. September 2014 teilnehmen.
Die Übersetzung besorgte Rolf Pietsch
Anmerkung der Redaktion. Einige Leser mögen einwenden, dass bei einer so großen Zahl von Evakuierten eine ähnliche Todesrate durch natürliche Todesfälle zu erwarten gewesen sei. Jedoch muss diesem Einwand entgegengehalten werden, dass der durch die erzeugte panische Angst und die dann folgende Evakuierung mit dem drohenden und realen Verlust sämtlicher materieller wie seelischer Werte, der dadurch erzeugte Stress unmittelbar diese Entwicklung der Sterblichkeitsrate deutlich beschleunigt haben muss. Deshalb ist die Argumentation des Autors durchaus nachvollziehbar.
    

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