Bild rechts: Ein Sonnenkraftwerk in Marokko (Photo: Dii)
In einem Telefoninterview mit EurActiv hat der geschäftsführende Direktor von Dii, Paul van Son, zugegeben, dass der ursprüngliche auf dem Export liegende Brennpunkt „eindimensionales Denken“ war.
Obwohl die Industrie-Allianz gebildet worden war, damit im Maghreb erzeugte erneuerbare Energie bis zu 20% des europäischen Strombedarfs bis zum Jahr 2050 decken kann, räumt Dii jetzt ein, dass Europa das meiste seines Verbrauchs aus heimischen Quellen decken müsse.
„Wenn wir über erneuerbare Energie aus Nordafrika reden, wird nur ein kleiner Teil davon den europäischen Markt bedienen”, sagte van Son und fügte hinzu, dass der europäische Markt 90% seines Bedarfs selbst decken könne. „Direkt gesagt, vor vier Jahren ging es bei Desertec nur darum, Energie aus Nordafrika [nach Europa] zu liefern. Wir haben diese eindimensionale Denkweise aufgegeben. Jetzt geht es mehr darum, integrierte Märkte zu bilden, in die erneuerbare Energie ihre Vorteile einbringen kann … Das ist jetzt das Wesentliche“.
Desertec ist ‚zu teuer und utopisch’
Kritiker von Desertec stellten die Durchführbarkeit eines Projektes in Frage, das bis zum Jahr 2050 für Kosten in Höhe von 400 Milliarden Euro 100 GW Strom erzeugen würde; und die Zweifel multiplizierten sich, als Siemens im November vorigen Jahres seinen Rückzug erklärt hatte. Im gleichen Monat hat es Dii nicht vermocht, Unterstützung durch die finanziell schwer gebeutelte spanische Regierung zu erhalten für ein 500 MW CSP [= Communication Service Provider, Netzwerk-Dienstleister] Demonstrationsobjekt in Ouarzazate, Marokko, obwohl das Projekt immer noch läuft.
„Desertec ist in seiner ursprünglichen Form nicht überlebensfähig, weil es zu teuer und utopisch ist. Es hat nur sehr wenig Fördermittel erhalten können. Im Wesentlichen ist es zu einem mehr oder weniger bilateralen Handel geschrumpft“, argumentiert Peter Doege, Präsident von Eurosolar, einer Industriegesellschaft.
Die europäischen Strom-Akteure stellen das ursprüngliche Geschäftsmodell von Dii in Frage und machen geltend, dass der Schwerpunkt auf dem Export inkompatibel mit dem gegenwärtigen Niveau der Netzverbindungen zwischen Maghreb und Europa sowie in Europa selbst ist. Sie fügen hinzu, dass der Markt schon jetzt damit kämpft, zusätzliche Kapazitäten aus erneuerbarer Energie zu absorbieren.
„Auf sehr grundlegende Weise vermissen wir immer noch klare Linien und Kapazitäten für den Export”, meint Susanne Nies, Vorsitzende von Energy Policy and Generation bei Eurelectric, der europäischen Stromindustrie-Gesellschaft.
„Spanien kämpft schon jetzt mit seinen eigenen Überschüssen der Erzeugung mit Erneuerbaren – zusätzliche Importe aus Drittländern würden das Problem mit Sicherheit sehr verschärfen“, fügt sie hinzu.
„Es ist schwierig zu argumentieren, dass die EU zusätzliche RES-Kapazitäten braucht“, sagte sie unter Hinweis auf die technischen, ökonomischen und regulatorischen Rahmenbedingungen, an die das elektrische System angepasst werden muss, um die Energie aufnehmen zu können.
Van Son, der sich wünscht, dass sich Desertec auf Markt-Synergien konzentriert, stimmt zu, dass es noch ein langer Weg vor der Integration in den europäischen Strommarkt ist, sagt aber, dass es ein Fall für die Industrie ist, ihn zurückzulegen.
„Wenn wir die gewaltigen Synergien sehen hinsichtlich realer Geldersparnis, sollte man es Politikern nicht erlauben, keine Vorteile aus diesen Energie-Synergien zu ziehen. Die Schädigung der Einwohner in Europa und dem Nahen Osten ist nicht das, was Politiker tun sollten“, sagte er.*
[*Ob die doppelte Verneinung in diesem Absatz Absicht oder ein Versehen ist, konnte ich nicht entscheiden. A. d. Übers.]
Ungünstige Marktbedingungen
Nordafrikanische Länder, die geographischen Startpunkte der Aktivitäten von Dii, konzentrieren sich darauf, ihren eigenen heimischen Strombedarf zu befriedigen, der rapide wächst. Und sie waren sowieso zögerlich, sich etwas zu öffnen, was sie als ungünstige europäische Marktbedingungen ansahen.
„Wir wissen nicht, ob die Strompreise in Europa uns unsere Investitionen zurückgeben werden”, sagte Mustapha Mekideche, Vizepräsident des staatseigenen algerischen Unternehmens Conseil National Economique et Social (CNES) auf einer Energiekonferenz in Algier im November 2012.
Die staatliche Versorgungsgesellschaft Sonelgaz hat im Dezember 2011 ein Kooperations-Abkommen mit Dii in Brüssel unterzeichnet, trotz der Zweifel algerischer Entscheidungsträger bzgl. Energie über die Zukunft von Dii.
„Die Länder Nordeuropas müssen ihre Bereitschaft zeigen, mit Erneuerbaren erzeugte Energie zu kaufen”, sagte Sonelgaz-Generaldirektor Noureddine Bouterfa in einem algerischen Presse-Interview vor Unterzeichnung des Abkommens.
Trotz des ambitionierten Ziels Algeriens, 40% seines Stromes bis zum Jahr 2030 aus erneuerbaren Energiequellen zu erzeugen, um mehr Gas für den Export freigeben zu können, war der Fortschritt hierauf gerichteter Projekte gering, und eine zugesagte Zusammenarbeit zwischen Dii und Algerien beim Bau eines CSP-Kraftwerkes ist nicht zustande gekommen.
RWE ist immer noch interessiert
Dii hat immer noch Unterstützer, einschließlich des deutschen Unternehmens RWE, das darauf drängt, in den Sektor erneuerbare Energien zu expandieren. In Marokko befindet sich RWE in Verhandlungen in der Desertec am meisten unterstützenden Provinz Maghreb mit Partnern, um eine Koalition zu bilden, dem ersten Schritt in Plänen, 50 MW Solar- und 50 MW Windkraftwerke in UK zu errichten.
„Wir sind überzeugt, dass das Desertec-Projekt eine sehr gute Gelegenheit ist, die Energieversorgung Nordafrikas aus Erneuerbaren zu installieren. Obwohl Manche das Projekt kritisieren, glauben wir, dass es langfristig erfolgreich sein wird“, sagte RWE-Sprecher Martin Pack.
RWE hat bestätigt, dass die von marokkanischen Projekten erzeugte Energie für den lokalen Markt und nicht für den Export bestimmt ist.
Positionen:
Susanne Nies, Vorsitzende der Abteilung Energiepolitik und –erzeugung bei der Industriegesellschaft Eurelectric, sagte:
„Hinsichtlich des Energieverbrauchs ist die Welt derzeit zweigeteilt. Einerseits gibt es in sich entwickelnden Ländern – Türkei, Brasilien, China, Indien usw. – starke Wachstumsraten von eindrucksvollen 8 bis 10% pro Jahr. Nordafrika und Afrika als Ganzes sind tatsächlich Teilhaber dieses Trends. Andererseits sieht sich die OECD-Welt einschließlich Europas bis zum Jahr 2020 einem negativen Energieverbrauchs-Trend gegenüber. Dies liegt an der fortgesetzten Rezession, demographischen Veränderungen und verbesserter Energieeffizienz – trotz der Tatsache, dass die Elektrifizierung noch zunehmen wird.
Das ursprüngliche Geschäftsmodell von Desertec basierte auf dem Export. Dies hätte die Erzeugungskosten wieder herein gebracht. Allerdings muss dieser ursprüngliche ‚Export‘-Gedanke neu überdacht werden, und zwar aus zwei wesentlichen Gründen:
Erstens vermissen wir immer noch sehr grundlegend Leitungen und Kapazitäten für den Export. Diese zu errichten ist technisch schwierig wegen der tiefen Gewässer im Mittelmeer. Mehr noch, die Verbindung zwischen Nordafrika und Europa ist nicht das Problem. Vielmehr lautet die Frage, was mit der zusätzlichen Kapazität passiert, wenn sie erst einmal die Iberische Halbinsel erreicht. Spanien kämpft bereits jetzt mit seinen eigenen Überschüssen von Erneuerbaren – zusätzliche Importe aus Drittländern würden dieses Problem mit Sicherheit verschärfen. Spanische Leitungen müssten verstärkt werden, um überschüssigen Strom nach Frankreich zu schicken. Aber die Verbindung über die spanisch-französische Grenze hinweg ist ebenfalls überlastet. Es stimmt zwar, dass es hinsichtlich der Stärkung des mediterranen Rings von Leitungen Fortschritte gegeben hat, aber das muss dringend noch weiter verfolgt werden im allgemeinen Interesse aller betroffenen Länder.
Zweitens ist es schwierig zu argumentieren, dass die EU die zusätzlichen RES-Kapazitäten braucht. [RES= Renewable Energy Sources] Europa befindet sich gegenwärtig in einer Lage, in der die RES-Kapazität im Wettbewerb steht, existierende konventionelle Kraftwerke zu ersetzen. Diese Verschiebung erfordert die Lösung zahlreicher Systemprobleme, einschließlich der Neu-Synchronisation des Systems nach der Entwicklung von RES, insbesondere hinsichtlich des veränderlichen Windes und der Sonnenscheindauer. Obwohl diese Variabilität nicht selbst das Problem ist, zwingt es das System dazu, seine Funktionsweise zu ändern, was auch bedeutet, dass man für die Anpassung technischer, ökonomischer und regulatorischer Rahmenbedingungen Zeit braucht. Wird während dieser Zeit sogar noch mehr RES aus Desertec in das System geleitet, würde dieser Prozess nicht unterstützt werden.
Und es gibt noch einen Grund, warum man hinsichtlich der ursprünglichen Export-Dimension vielleicht noch etwas skeptischer sein sollte, und zwar die Unsicherheit über den eigenen Energieverbrauch in Afrika. Es wäre ein großer Fehler von Seiten Afrikas, die eigene heimische Stromerzeugung und Versorgungssicherheit aufs Spiel zu setzen, um die Nachfrage in Europa befriedigen zu können. Die Nachfrage in Afrika übersteigt schon jetzt das Angebot. Gleichzeitig muss die Kohlenstoff-Falle vermieden werden. Ein überzeugendes Geschäftsmodell wird hierfür gebraucht. Die Bewegung weg von sehr teurem CSP hin zu Windkraftanglagen, die näher am Markt sind, aber auch zu großen Photovoltaik-Anlagen ist sicherlich das Richtige“.
Link: http://www.euractiv.com/energy/desertec-abandons-sahara-solar-p-news-528151
Übersetzt von Chris Frey EIKE

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