Gibt es dort tatsächlich Mutationen? Ganz bestimmt, die gibt es überall, bei Menschen, Tieren und Pflanzen. Oder sollte unter dem Bild stehen: „Atomkatastrophe auch in China“?

Die richtige Frage wäre: Gibt es um Fukushima erhöhte Mutationsraten? Nach dem Bericht von Atsuki Hiyama und 6 anderen in der Zeitschrift „Nature“ vom August 2012 über mutierte Schmetterlinge müsste man das annehmen.

Der Bericht sieht wissenschaftlich aus. Was ist aber Naturwissenschaft? Sie erforscht Tatsachen und deren Zusammenhänge. Erstere stellt sie in Form von Zahlen dar, letztere als mathematische Formeln. Damit kommt die Wissenschaft aber nicht aus, sie braucht auch Worte. Da reicht der Wortschatz der Umgangssprache nicht, es mussten Fachausdrücke erfunden werden.

Nun lässt sich mit Zahlen und Fachwörtern beliebiger Unsinn darstellen, und diese Möglichkeit wird in größtem Umfang genutzt. Dadurch wird es aber keine Wissenschaft. Diese ist ein System, in welchem alles zueinander passen muss, Wirkungen zu Ursachen, neue Erkenntnisse zu den etablierten alten. In der Physik begegnet man Namen wie Archimedes, Galilei, Newton, deren Erkenntnisse ewig gültig bleiben, weil sie sich auf von Menschen unabhängige Naturgesetze beziehen. Man ersetzt sie nicht, sondern baut auf ihnen auf. In der Biologie gilt das für die Vererbungsregeln von Gregor Mendel und die Erkenntnisse über Strahlenmutanten seit Muller (1927).

Ganz anders der mit wissenschaftlicher Terminologie dargestellte Aberglaube. Da ist alles beliebig. Was früher war, ist heute anders, Strahlung in Indien ist nicht mit Strahlung in Deutschland zu vergleichen, es gibt Wirkungen ohne Ursache, z.B. leukämiekranke Kinder schon bei der Dosis Null.

Die Wissenschaft ermittelt tatsächliche Zusammenhänge zwischen Wirkung und Ursache. Die Abhängigkeit der Mutationsrate von der Dosis ionisierender Strahlung wird seit 1927 untersucht. Es ging nie um die Frage, gibt es Mutationen? Die gibt es immer, die Frage ist, um wie viel sich die Mutationsrate erhöht. Beginnen muss man also bei der natürlichen Mutationshäufigkeit. In der Arbeit über die Schmetterlinge wurde es nicht so gemacht.

Das wesentliche Ergebnis aller wirklich wissenschaftlichen Versuche seit über 80 Jahren mit Drosophila, Mäusen, Bakterien, Hefe usw. und allen Strahlenarten, Röntgen, Gamma, Beta, Alpha sowie Neutronen ist: Die Zahl sichtbarer Mutationen verdoppelt sich bei Dosen im Bereich von 1.000 Millisievert. Das zu ermitteln erforderte einen großen Aufwand. Oft gibt es unter 100 Nachkommen nicht einen, dessen Aussehen durch Mutation verändert ist. Die natürlichen Mutationsraten liegen fast immer unter 1 %. Anders wäre es auch schlimm, würden wir sagen. Nicht so die Züchter, sie finden das unbefriedigend und steigern die Mutationsraten oft durch Bestrahlung. Ob Sie Ihre Lebensmittel nun im eigenen Garten anbauen, im normalen Lebensmittelmarkt oder im Bioladen kaufen, immer werden Sie einen hohen Anteil an Strahlenmutanten essen.

Nun zu den Schmetterlingen. Die Art (Zizeeria maha) gehört in die Gruppe der Bläulinge, hat es gern warm, in der Gegend von Fukushima geht es gerade noch. Sie kommt auch in Indien vor, wo sie im Bundesstaat Kerala ganz erheblicher natürlicher Radioaktivität ausgesetzt ist,  was ihr offensichtlich nichts ausmacht. Aber glaubt man den Autoren, ist es um Fukushima ganz anders. Die Tiere hat es in der Winterruhe erwischt, als Raupen. Sie waren also am 11. März längst aus dem Ei und daher wurden bei den im Mai gefangenen 144 Schmetterlingen auch keine Mutanten gefunden. Allerdings waren angeblich die Flügel um so kürzer, je näher am Kraftwerk die Schmetterlinge lebten.

Die Schmetterlinge wurden nach Okinawa gebracht; weiter weg von Fukushima geht es in Japan nicht. Dort konnten sie Eier legen, die Raupen schlüpften aus, und da zeigte sich die ganze Katastrophe: 18,5 % Veränderungen an Flügeln, Beinen, Augen und anderem. Dazu kam noch eine hohe Todesrate der Raupen und unnormale Dauer des Puppenstadiums. Die Überlebenden durften wieder Eier legen, und in dieser zweiten Generation wurde alles noch schlimmer: 33,5 % Veränderungen.

Mehrere Wissenschaftler haben die Angaben überprüft und eine Reihe von Unstimmigkeiten gefunden. Ich möchte nur einmal die Dosiswerte vergleichen. Es gibt eine Dosis-Wirkungs-Beziehung! Strahlung schlägt nicht einmal so zu und einmal anders.

1.000.000 Millisievert            Tod von Wespen

     40.000 Millisievert            10 % Mutationsrate bei der Fliege Drosophila

       7.000 Millisievert            Tod von Menschen und Mäusen

       1.000 Millisievert            Verdopplung der normalen Mutationsrate (unter 1%) verschiedenster Tiere

125 Millisievert            Laborversuche der Autoren.  Angeblich Veränderungen,  hohe Sterberate

55 Millisievert            Laborversuche, immer noch Veränderungen und erhöhte Sterblichkeit

4,5 Millisievert             max. Dosis nach Angaben der Autoren an den Fundorten der Schmetterlinge im Mai. Die Dosis war davor höher.

Falls man nicht die Ergebnisse von fast einem Jahrhundert strahlenbiologischer Forschung in Zweifel ziehen will, muss man erkennen: Insekten sind recht unempfindlich gegenüber Strahlung. Und wenn es doch Mutationen gibt? Natürlich gibt es welche, siehe die abartigen Nachkommen der Karauschen. Auf deren Bestand hat das keinen Einfluss. Die Fische haben sehr viele Nachkommen, nur die gesunden und normalen überleben. Das war auch im Kühlteich des Kraftwerks Tschernobyl so. Dort muss man wirklich eine erhöhte Mutationsrate annehmen, aber die Fische ein paar Jahre nach dem Unglück waren zahlreich und gesund.

Dr. Hermann Hinsch; Hannover

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