Im März schrieb George Monbiot, der Erzgrüne und alte Kämpfer der Anti-Atomkraftbewegung, einen Artikel im „Guardian“, in dem er nach einer Renaissance der Atomkraft als einzigem Ausweg im Kampf gegen den Klimawechsel rief – sehr zum Entsetzen seiner grünen Mitstreiter und der meisten Leser dieses Blattes.
Schon zuvor hatten der Vorsitzende der Environment Agency Lord Smith of Finsbury, der Autor und Propagandist Mark Lynas, der Aktivist der Grünen Chris Goodall und der frühere Direktor von Greenpeace UK Stephen Tindale angekündigt, dass auch sie sich für die Atomkraft einsetzen werden.
Die Trendwende betrifft auch genveränderte Nahrungsmittel. Letzten Monat rief eine Organisation aus dem traditionellen Spektrum der Grünen namens „Take the Flour Back“ zu einer Demonstration vor dem Rothamsted Pflanzen-Forschungsinstitut in Hertfordshire auf. Ziemlich erfolglos.
Es lassen sich zwei Antriebsmomente erkennen: zum einen führt die alles überschattende Bedrohung des Klimawandels bei den eher technologisch orientierten Grünen dazu, dass sie die Atomkraft als das geringere zweier Übel einschätzen; kein perfektes Mittel, aber doch eine CO2-arme Alternative zu fossilen Brennstoffen, die eine schnellere und billigere Lösung der Klimawechselproblematik verspricht als der Wind oder die Wellen.
Zum anderen setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass die beiden gehassten Technologien – Atomkraft und Gentechnik – sich als weit weniger gefährlich herausstellten als ursprünglich angenommen. Niemand wurde je durch gentechnisch veränderte Nahrung geschädigt. Im Fall der Atomkraft, hatte die atomare Katastrophe im letzte Jahr einen unerwarteten Effekt: viele ließen sich davon überzeugen, dass wir die Atomkraft lieben lernen müssen.
Monbiot drückt das so aus: „Das Ereignis, das mich zu einem Befürworter der Atomkraft machte, war paradoxerweise die Katastrophe in Fukushima. Ein vergammeltes altes Werk mit vorsintflutlichen Sicherheitsmerkmalen wurde von einem der größten Erdbeben sowie einem der größten jemals aufgezeichneten Tsunamis betroffen und nichtsdestotrotz wurde bisher niemand einer tödlichen Strahlendosis ausgesetzt.“
Auch setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass es die Grünen durch ihre Fixierung auf Atomkraft und genveränderte Lebensmittel zuließen, dass weit wichtigere Bedrohungen aus dem Blickfeld gerieten. „Wenn alle Anstrengungen, die der Gegnerschaft gegen die Atomkraft gewidmet wurden, auf den Kampf gegen den Verlust von Biotopen und den Rückgang der Artenvielfalt gerichtet worden wären“, sagt er, „hätten wir etwas erreichen können.“
Lynas, der früher zu den grünen Hardlinern gehörte, erläutert, dass er seine frühere Haltung nicht mehr verstehen kann. „Ich habe die orthodoxen Meinungen sowohl zur Gentechnik als auch zur Atomkraft während meiner Zeit als Aktivist nie in Frage gestellt“ meint er. „Vom Mainstream abzuweichen, wäre undenkbar gewesen. Das änderte sich bei mir erst, als ich das Umfeld der Aktivisten verließ und wissenschaftliche Bücher zu schreiben begann . . . Ich begann, nach Beweisen zur Untermauerung der Behauptungen zu fragen und ging auch den Literaturhinweisen nach.“
Tracey Brown, Geschäftsführer des Think Tanks “Sense about Science”, drückt es so aus: „An Lösungen für Probleme zu arbeiten führt unweigerlich dazu, die Welt – und zwar die reale Welt – so zu betrachten, wie sie wirklich ist und nicht so, wie man sie sich wünscht.“
Färbt dieses Techno-Grün jetzt auch auf die „Friends of the Earth“ ab, die größte Grünen-Organisation? Vor zehn Tagen ließ sich Mike Childs, die wissenschaftliche und politische Leitfigur dieser Organisation mit einer Äußerung vernehmen, die nahe legte, dass die Organisation nicht länger am Verbot von Atomkraftwerken in Großbritannien festhält. In einem in Lynas’ Blog veröffentlichten Interview kündigte er an, das die „Friends of the Earth“ ein Gutachten beim Tyndall Centre für Klimaforschung in Manchester in Auftrag gegeben haben, das als Grundlage für Entscheidungen zu ihrer Atompolitik dienen soll.
„Sie werden jetzt einen Prozess durchlaufen, bei dem die Argumente für und wider die Atomkraft, zu neuen Atomkraftwerken sowie der Erweiterung bestehender Kraftwerke und Ideen zum schnellen Brüter [einem Reaktortyp] auf den Tisch gelegt werden“, sagte er.
Obwohl sie zugeben, dass Childs korrekt zitiert wurde, streiten die „Friends of the Earth“ seither jedoch ab, dass es um einen Pro-Atom-Kurs geht und weisen darauf hin, dass nichts entschieden sei, dass die Organisation strikt „faktenorientiert“ sei und mit einer Neuausrichtung ihrer Politik warten will, bis der Tyndall-Report vorliegt.
Aber allein die Möglichkeit, dass die „Friends of the Earth“ im Vereinigten Königreich ihre Einstellung zur Nuklearenergie in Frage stellen, ist für viele ihrer Anhänger eine Horrorvorstellung.
In Großbritannien mag sich ja die grüne Tektonik verschieben, aber im Ausland ist alles starr wie eh und je. In Amerika ist die grüne Bewegung eine eher lokal aufgestellte Angelegenheit, die sich auf spezielle Lebensräume und Arten konzentriert. Obwohl Al Gore, der Propagandist des Klimawandels und frühere Vizepräsident seine „Skepsis“ der Nuklearenergie gegenüber zum Ausdruck brachte, bezieht sich diese mehr auf die Verbreitung von Kernwaffen als auf mögliche Umweltgefahren.
In Deutschland lässt sich die Macht der betonharten grünen Lobby daran ablesen, dass Kanzlerin Merkel – eine ausgebildete Physikerin – letztes Jahr das zivile Nuklearprogramm ihres Landes als Reaktion auf Fukushima einstellte. Dies, so wurde errechnet, wird zu einem Anstieg des CO2-Ausstoßes um mehr als 70 Millionen Tonnen pro Jahr führen.
Die grüne Bewegung in Frankreich sagt zum Thema Atomkraft fast gar nichts, kämpft aber erbittert gegen genveränderte Lebensmittel. Es scheint durchaus möglich, dass zur Befriedigung umweltlicher Sensibilitäten ein Deal gefunden wurde, der das französische Nuklearprogramm nicht in Frage stellt, aber gleichzeitig die „natürlichen“ französischen Lebensmittel und Anbaumethoden hochheilig hält. Viele der Protestler in Rothamsted letzten Monat kamen aus Frankreich.
In gewisser Weise ist das, was jetzt geschieht nicht neu. Obwohl die grüne Bewegung seit den Dreißigerjahren von Leuten dominiert wird, welche die moderne Welt und ihre Bequemlichkeiten ablehnten, gab es doch stets Dissidenten.
So hat der Mann, den viele als Oberpriester des modernen Umweltschutzes sehen, der neunzigjährige britische Wissenschaftler James Lovelock (der den Begriff „Gaia“ zur Beschreibung der Erde und ihrer Biosphäre prägte) die Atomkraft als die einzige Lösung gegen den Klimawandel gepriesen.
Vorige Woche befürwortete Lovelock das Fracking, ein umstrittener Prozess zur Förderung von Erdgas und ließ verlauten, dass Großbritannien zu schnell in die Entwicklung neuer Energiequellen eingestiegen sei, und zwar mit Konzepten, die „hoffnungslos ineffizient und unangenehm“ seien. Ironischerweise haben unsere Politiker trotz der Ansichten britischer Grüner wie Monbiot die CO2-Reduzierungsziele in Gesetze gegossen, so dass sich derartige Konzepte notwendigerweise verbreiten werden.
Die neue Generation der heterodoxen Grünen haben viel Arbeit vor sich, hängt doch ihr Heimatland nach wie vor den alten, romantischen orthodoxen Ideen nach. Häretiker hatten es noch nie leicht. Monbiot und Lynas bestätigen auch, dass sie „gute Freunde“ verloren haben, nachdem sie ihren Gesinnungswandel öffentlich machten.
Lynas drück das so aus: „Für einige Leute ist die grüne Ideologie eine so tiefe Identitätsfrage, dass sie diese nicht hinter sich zurücklassen können und sehr feindselig reagieren, was für mich und andere sehr schwierig war. Dieses anzusprechen war über Jahre hinweg eine große emotionale Belastung und manchmal auch sehr schmerzvoll.
Michael Hanlon, The Sunday Times, 24. Juni 2012
Übersetzt aus dem Englischen von Herbert Blaha

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