Biotreibstoffe waren für das Interesse der Medien seit einiger Zeit nur noch von untergeordneter Bedeutung, nachdem Friends of the Earth (FoE hierzulande als BUND auftretend) einen Bericht veröffentlicht hatten,  in dem sie behaupten, dass Biotreibstoffe möglicherweise mehr Treibhausgase erzeugen als sie einsparen. Vielleicht war es das, was mich zu einer von Sharmans Studien stoßen ließ – und zwar die Studie mit dem Titel „Evidence based policy or policy-based evidence gathering? Biofuels, the EU and the 10% target“.
Die Studie von Sharman und Holmes 2010 (wie man sie salopp nennt) ist nicht öffentlich verfügbar, sondern nach meinem besten Wissen gegen Gebühr hier. Aber Amelia Sharman war so freundlich, mir eine Kopie zu senden, und ich muss sagen, dass sie ziemlich interessantes Zeug enthält.
Die Studie untersucht die EU-Vorgabe zur Beimischung von Biotreibstoffen um 10% und im Besonderen die Art und Weise, mit der die wissenschaftlichen Ratschläge hierzu mit der Entscheidung, dieses Ziel einzuführen, zusammenprallt. Es ist eine düstere Geschichte, die Sharman mit Hilfe von Interviews mit Schlüsselfiguren in der Politik-Maschinerie aufgedeckt hat.
Im Jahr 2009, als das Ziel verkündet worden ist, war bei Weitem nicht klar, ob Biotreibstoffe ein brauchbares Mittel zur Reduktion von Treibhausgasen sind. Aber das 10%-Ziel wurde trotzdem eingeführt. Wie einer der Interviewten erklärte:

„Normalerweise sollte man keine Gesetzgebung vorschlagen, solange keine Beweise zur Rechtfertigung vorliegen. Aber hier haben wir Premierminister und Staatsoberhäupter, die sich einem Ziel verschreiben, ohne jemals die möglichen Auswirkungen abgeschätzt zu haben… Sie haben sie dazu gebracht, diese Ziele zu verkünden, 20% Erneuerbare und 10% Biotreibstoffe, und erst danach haben sie eine Risikobewertung vorgenommen. Und im Grunde haben sie gesagt, dass sie eigentlich keine Risikoabschätzung hinsichtlich des 10%-Ziels mehr durchführen müssen, weil es von den Staatoberhäuptern ja schon abgesegnet sei!…“

Wie Sharman und Holmes prägnant kommentieren:

Die Tatsache, dass die EU ein Ziel befürwortet, ohne jemals eine Risikoabschätzung vorgenommen zu haben, bietet den ersten Hinweis darauf, dass die Motivation nicht aus wissenschaftlichen Beweisen hinsichtlich der Umwelt-Nachhaltigkeit resultiert und dass die Reduktion von Treibhausgasemissionen bei der politischen Entscheidung für das 10%-Ziel eine Rolle gespielt hat.

Es gab viele wesentliche Faktoren, die auf die Hauptentscheidungsträger im politischen Prozess eingewirkt haben. Unter anderem wurde an einer Stelle in den Ring geworfen, dass die Energiesicherheit ein Faktor bei der Entscheidung sein sollte, aber tatsächlich war angesichts der Tatsache, dass die EU Ernteerträge zur Erreichung dieses Zieles importieren müsste, klar, dass dies eine Scheinüberlegung war. Unsauberere und weniger wertvolle Ziele – Zahlungen an diverse Interessengruppen – waren anscheinend viel wichtiger gewesen. Im Besonderen brannten die in den politischen Prozess involvierten Personen darauf, in die Biotreibstoff-Industrie zu investieren und eine substantielle Beruhigungspille für die Produzenten von Zuckerrüben in der EU zur Verfügung zu stellen, die Schwierigkeiten hatten, im Wettbewerb mit den Weltmarktpreisen bestehen zu können. Wie ein anderer der Interviewten erklärte:

„Es gab einen heftigen Streit mit der europäischen Bauernlobby. Die Kommission… war verzweifelt auf der Suche nach ein paar Zuckerstückchen, die man der Bauernlobby präsentieren könnte. Im Besonderen war sie verzweifelt daran interessiert, einen Ausweg zu finden, denn allen Erzeugern von Zuckerrüben war klar, dass sie keine Zukunft hatten, wenn es einmal zu einem Wettbewerb beim Verkauf von Zucker kommen würde. Und dann kam man auf den brillanten Gedanken, dass man diesen Zucker zur Erzeugung von Ethanol verwenden könnte, und dass man allgemein einen subventionierten Markt für Landwirte schaffen könnte und dass dies uns gestatten würde, uns hinter der Energiepolitik zu verstecken, wenn einige dieser Subventionen in der Landwirtschaftspolitik so unpopulär werden. Das war der ursprüngliche Hauptantrieb…“

Gegen diesen leicht irrsinnigen Hintergrund wurden die politischen Entscheidungsträger mit widersprechenden wissenschaftlichen Beweisen hinsichtlich der Brauchbarkeit der Biotreibstoffe konfrontiert. Dreh- und Angelpunkt in dieser Diskussion war eine Studie von Searchinger et al. (2008), die ergab, dass Biotreibstoffe tatsächlich mehr Treibhausgase produzieren als sie einsparen, wenn man einmal die indirekten Auswirkungen des Landverbrauchs mit einbezieht.
(Nebenbei: Sie werden bemerkt haben, dass ich mich zu Beginn dieses Artikels auf eine jüngere Studie von Friends of the Earth bezogen habe, die zu der gleichen Schlussfolgerung gekommen ist. Unabhängig vom Ergebnis selbst ist es interessant, darüber zu spekulieren, ob die Studie von Searchinger vor oder nach dem Zeitpunkt veröffentlicht worden ist, an dem Friends of the Earth mit ihrer Kampagne aufgehört haben, Biotreibstoffe verpflichtend in UK einzuführen.)
Aber zurück zum Kern dieser Geschichte. Die Searchinger-Studie scheint ein Hauptstreitpunkt zu sein, und die Repräsentanten der Biotreibstoffindustrie scheinen sich in ziemlich persönlichen Attacken auf den Autor engagiert zu haben, um ihrer Politik zum Durchbruch zu verhelfen. Allerdings gab es immer mehr zunehmende wissenschaftliche Beweise, die die Biotreibstoffe ähnlich wie die Searchinger-Studie sehr kritisch sahen. Obwohl Sharman und Holmes das nicht erwähnen, kann man außerdem nur schwer die Worte des Nahrungsmittelbeauftragten der UN übergehen, der im Jahr 2007 Biotreibstoffe als ein „Verbrechen gegen die Menschheit“ bezeichnet hatte. Die Entscheidung, weiterzumachen und das 10%-Ziel vor diesem Hintergrund einzuführen, scheint daher völlig unerklärlich.
Der politische Unternehmer
Also trieben die Interessengruppen in die eine Richtung und der wissenschaftliche Beweis in die andere. Wie kam es dann, dass das Ziel der Biotreibstoffe schließlich seinen Weg in die Politik gefunden hat? Dafür müssen wir einer mysteriösen Person danken, die Sharman den „politischen Unternehmer“ nennt (ich schätze mal, dass Sharman und Holmes wissen, wer das ist, doch hält sie die Ethik der Forschung davon ab, seine/ihre Identität öffentlich zu machen).

Fast alle Teilnehmer an den Interviews verwiesen auf einen individuellen Akteur innerhalb der EU, der starken Einfluss auf diese politische Entscheidung hatte, aber eine ansehnliche Kontroverse mit anderen Akteuren im politischen Netzwerk des Prozesses heraufbeschworen hat. Dies wirft zwei Fragen auf: Wie kann ein Individuum innerhalb der EU einen so starken Einfluss auf den politischen Prozess nehmen, und warum trägt die Politik nicht den zunehmenden wissenschaftlichen Daten Rechnung, die die Fähigkeit der Biotreibstoffe in Frage stellen, Treibhausgase zu reduzieren?

Wie wirklich? Warum wirklich?
Sharman erklärt, dass der politische Unternehmer weithin von den anderen Teilnehmern am politischen Prozess als ein Protagonist der Transport- und Biotreibstoffindustrie angesehen wird, von dem man sagt, dass er hinsichtlich der Unterstützung des Zieles „dogmatisch“ sei. Die Motivation dieses Einzelindividuums zusammen mit dem politischen Druck, die verschiedenen Interessengruppen zu unterstützen, die in die Biotreibstoffindustrie involviert sind, war eine starke Kraft, diese Bioziele in die Statuten zu hieven.
Allerdings gab es immer noch das vertrackte Problem des Gewichts des wissenschaftlichen Beweises gegen die propagierte Politik, aber dies scheint für den Unternehmer kein Problem gewesen zu sein. Den Insidern zufolge, die von Sharman und Holmes interviewt worden sind:

„…der internen EU-Dokumentation…, die die Entscheidung beflügelte, mit dem 10%-Ziel fortzufahren, wurde ein hoher Einfluss auf das schließliche politische Ergebnis zugeordnet. Die Beweise für eine kritischere Betrachtung … hatten nicht den gleichen Einfluss.“

Andere Interviewte wurden deutlicher dazu, was man gemacht hatte:

Einige der Interviewten haben auch angedeutet, dass der politische Unternehmer als ein Informationswächter fungierte, der den Entscheidungsträgern die wissenschaftliche Kontroverse nur verschleiert ersichtlich machte, indem er sicherstellte, dass nur Daten durchdrangen, die für das gewünschte Endziel sprachen und die in der Lage waren, den politischen Prozess in dieser Richtung zu beeinflussen. Die Fähigkeit des politischen Unternehmers, über die wissenschaftliche Literatur nach Belieben zu verfügen und die Vorteile des 10%-Zieles innerhalb und außerhalb der EU zu propagieren, wurde als ein kritischer Faktor ausgemacht. Dies deutet darauf hin, dass es nicht so sehr fehlende Beweise waren, die das gewünschte Ergebnis herbeigeführt hatten, sondern eher ein Kleben an Beweisen*. Allerdings soll keine dieser Kritiken den Verdacht aufkommen lassen, dass der politische Unternehmer in ausgesprochen böser oder hinterhältiger Absicht agiert hat. Einer der Interviewten unterstellte, dass der Unternehmer „…möglicherweise immer noch die besten Absichten hat (auch wenn er komplett daneben lag)…“ NGOs und der politische Unternehmer selbst scheinen die Politik als ein beliebiges Opfer einer Wertekontroverse zu sehen – Biotreibstoffe als umweltpolitischer ‚Bösewicht des Tages’.

Wenn man die Biotreibstoffe als ein “Verbrechen gegen die Menschheit” sieht, frage ich mich, ob nicht ein wenig mehr Zynismus hinsichtlich der „guten Absichten“ des Unternehmers angebracht wäre.
Wie ich oben sagte, seine Identität ist nicht bekannt. Aber ich bin sicher, dass es uns nicht wehtut zu spekulieren.
Andrew Montford
Aktualisierung von Registered CommenterBishop Hill
Ian Wishart nimmt sich der Geschichte hier an.
Link: http://bishophill.squarespace.com/blog/2012/2/20/the-entrepreneur.html
Übersetzt von Chris Frey EIKE

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