Dies gilt besonders für die energieintensiven Industrien Chemie, Aluminium, Eisen und Stahl, Nichteisenmetalle, Papier, Zement und Glas.  Dies sind Industrien, deren Energiekosten einen Anteil von mehr als 25 Prozent an der Bruttowertschöpfung erreichen. Sie werden schon durch den Emissionshandel zusätzlich belastet. Durch den überhasteten Ausstieg aus der Kernenergie und die überzogenen Ziele bei Wind- und Solarstrom kommen zu teure, global nicht wettbewerbsfähige Energiepreise hinzu. (Einen Vortrag von D. Ameling zum Thema finden Sie hier)

Beide zusätzlichen Belastungen führen zu einem leisen Abschied der Industrie aus Deutschland. Dieser Abschied hat in einigen Branchen bereits begonnen. Das gilt für Stahl mit dem Bau eines Stahlwerks in Brasilien. Das gilt für Aluminium mit der Stilllegung der Aluminiumhütte in Neuss.

Der Stahlindustrie in Deutschland drohen mit dem Energiekonzept der Bundesregierung zusätzliche Kostenbelastungen in Höhe von knapp 2 Milliarden Euro pro Jahr. Dieser Betrag entspricht in etwa der Investitionssumme dieser Branche in Deutschland. Die sich daraus ergebende Konsequenz, dass nicht mehr investiert wird, führt zu einer weiteren Schwächung der globalen Wettbewerbsfähigkeit. Dies wird den Auszug beschleunigen. Ein Rückzug dieser Werkstoffindustrien aus Deutschland würde eine ganz erhebliche Schwächung der Wertschöpfungskette vom Werkstoff bis zum fertigen Automobil, bis zur fertigen Maschine oder bis zum fertigen Haushaltsgerät bedeuten. Nur im schnellen Dialog zwischen Werkstoffherstellern und Werkstoffverwendern können die Innovationen realisiert werden, die die Abnehmerindustrien brauchen, um auch ihre Wettbewerbsfähigkeit global zu erhalten.

Noch beträgt der Anteil der industriellen Wertschöpfung an der Bruttowertschöpfung in Deutschland insgesamt etwa knapp 25 Prozent. Frankreich und Großbritannien liegen unter der Hälfte dieses Wertes. Wenn auch Deutschland diesem Beispiel folgt, drohen in Zukunft britische Verhältnisse.

Alle Industrieunternehmen haben in den vergangenen 10 bis 20 Jahren Dienstleistungen ausgegliedert an externe Unternehmen. Das gilt z. B. für die Datenverarbeitung oder Instandhaltungsleistungen. Dieser Teil industrieller Wertschöpfung erscheint in der Statistik konsequenterweise bei den Dienstleistungen. Geschätzt sind es zusammen genommen etwa 10 Prozent, die aus dem Dienstleistungsanteil der Volkswirtschaft dem Anteil der Industrie konsequenterweise zugeschlagen werden müssten, zumal diese Dienstleistungen auch wegfallen, wenn die betreffende Industrie nicht mehr da ist. In Wahrheit also beträgt der industrielle Wertschöpfungsanteil nicht 25 Prozent, sondern 35 Prozent. Ein Drittel unserer Volkswirtschaft hängt also ab von der industriellen Aktivität.

Die Bedeutung der industriellen Wertschöpfung in einer Volkswirtschaft wie Deutschland kann man auch daran erkennen, wie schnell die Industrie in unserem Land die Krise des Jahres 2009 überwunden hat. Ohne diese industrielle Leistungsfähigkeit, mit geringerer industrieller Wertschöpfung also, wären wir heute noch da, wo Frankreich und Großbritannien verharren. Anfang Juli erschien im „Daily Mirror“ in London ein Artikel mit der Überschrift „A quarter of Brits are living in fuel poverty as energy bills rocket (Ein Viertel aller Briten lebt in Energiearmut, seit die Energierechnungen wie eine Rakete stiegen)“. Wir in Deutschland dürfen dies nicht zulassen. Die Politik ist auf dem Irrweg.

Wohlstand und soziale Sicherheit hängen in starkem Maße von der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie im eigenen Lande ab. Wer seine energieintensiven Industrien bewusst zusätzlich belastet, schwächt die Wertschöpfungskette, schwächt die Volkswirtschaft insgesamt. Dabei wird allzu leicht übersehen, dass mit einer schrumpfenden Volkswirtschaft auch Werte wie Immobilien verzehrt werden. Es kommt nicht nur darauf an, dass unsere Energie bezahlbar ist, nein, global wettbewerbsfähig muss sie sein. Die Wettbewerbsfähigkeit muss in Deutschland erhalten bleiben. Unsere Position als Exportnation Nr. 1 haben wir schon abgetreten an China. Jetzt gilt es, mindestens unser Exportvolumen zu halten.

Wenn Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in der F.A.Z. schreibt, „Klimapolitik hat nichts mehr mit Umweltschutz zu tun. Wir verteilen das Weltvermögen um“– natürlich von oben nach unten –, dann irrt er gewaltig. Das Gegenteil – von unten nach oben – wird eintreten, siehe Großbritannien. Die überzogene Förderung von Windstrom und Photovoltaik verteilt das Vermögen von unten nach oben, füllt die Taschen der wohlhabenden Investoren, und dies zu Lasten der Mieter. Wer überdies die Industrie schwächt, verringert den Wohlstand, schädigt das soziale Netz.

Prof. Dr. Dieter Ameling

zuerst erschienen unter Standpunkte in der FAZ vom 11.10.11

mit freundlicher Genehmigung des Autors

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