Wenn es um Energiepolitik geht, hat unsere Energieministerin Doris Leuthard (CVP) eine flexible Meinung. Vor zehn Jahren plädierte sie noch für Atomstrom (Weltwoche Nr. 34/2014), nach Fukushima war über Nacht alles anders. Heute redet sie am liebsten nicht mehr über das Thema. Erst kürzlich schrieb Leuthard in der Westschweizer Zeitung Le Temps einen Artikel zur menschengemachten Klimaerwärmung. Leuthard plädiert für eine Reduktion des CO2-Ausstosses.
Eine CO2-Reduktion sei nur zu erreichen, wenn man den Verbrauch fossiler Brennstoffe reduziere. Das wiederum rufe nach drastischen Massnahmen: der Beschränkung des Energieverbrauchs pro Kubikmeter Wohnraum etwa, der Begrenzung des Energie­verbrauchs pro Einwohner – und nach dem Ausbau der inländischen Stromproduktion. Spätestens hier ist Stirnrunzeln angesagt. Kommen nicht fast vierzig Prozent unseres Stroms – vertraglich gesicherte Bezüge aus französischen AKW nicht mit eingerechnet – aus Kernkraftwerken? Wie ist das nun genau mit dem Atomausstieg?
Seit einem Jahr arbeitet der Nationalrat an der bundesrätlichen «Energiestrategie 2050», die in der Wintersession traktandiert ist. Anfang nächstes Jahr geht das Geschäft in den Ständerat. Wichtige Weichen werden gestellt. Zur Debatte steht ein Paket mit zehn revidierten Gesetzen. Angesichts der politischen Grosswetterlage ist zu befürchten, dass das Parlament die Strategie in den wesentlichen Teilen gutheissen wird. Das eingangs erwähnte, unlösbare Dilemma zwischen CO2 und Atom wird man dabei nach Leuthards Vorbild tunlichst ignorieren. Ein Winkelried, der sich für diese unbequeme Wahrheit eine Bresche schlagen würde, ist leider nicht in Sicht.

Man mag einwenden, der Strom müsse halt künftig «ökologisch», mit Sonne, Wind und Biomasse, erzeugt werden. Wie realistisch ­diese Option ist, zeigt ein Blick nach Deutschland, wo die sogenannte Energiewende seit über zehn Jahren im Gang ist und bislang mit über hundert Milliarden Euro subventioniert wurde.

Dazu ist festzuhalten, dass der Anteil des Atomstroms in Deutschland vor dem Ausstiegsentscheid mit 22 Prozent markant tiefer lag. Doch obwohl bislang nur die ältesten AKW stillgelegt wurden, konnte der CO2-Ausstoss Deutschlands nicht gesenkt werden. Wegen der tageszeit- und witterungsbedingten massiven Produktionsschwankungen und der gewaltigen Differenz zwischen Sommer und Winter erwiesen sich Wind und Sonne schlicht und einfach als untaugliche Stromlieferanten. Das Defizit wird am Ende mit Kohle gedeckt.

Alle zwei Monate ein neues AKW in China

Tatsächlich ist der Atomausstieg nur in ganz wenigen Ländern ernsthaft ein Thema. In den meisten Industrieländern, von Frankreich über Grossbritannien, Finnland, Tschechien, Russland bis zu den USA, befinden sich neue Kernkraftwerke im Bau. Schwellenländer setzen massiv auf diese Option. In China zum Beispiel befinden sich zurzeit 28 AKW im Bau, durchschnittlich alle zwei Monate geht ein neues Kernkraftwerk ans Netz.

Der Grund ist simpel: Die Kernenergie ist allen Vorurteilen zum Trotz sicher, günstig und umweltfreundlich. Kraftwerke der vierten Generation, an denen China intensiv forscht, schaffen lange strahlende Abfälle aus der Welt.

Gemäss der bundesrätlichen Energiestrategie soll bis 2050 die Stromproduktion aus Wasserkraft um zehn Prozent gesteigert werden, diejenige aus Sonne, Geothermie, Wind, Biomasse gar um das Siebzigfache. Weil sich mittlerweile trotz steigender Konsumentenpreise nicht einmal die relativ günstige Wasserkraft mehr rechnet – die Weltwoche erklärte dieses «grüne Paradox» in der Nr. 41/2013 –, wäre das nur mit milliardenschweren Subventionen denkbar.

Alternative Kraftwerke erfordern neue Stromnetze und gigantische Speicher, was die Kosten zusätzlich massiv in die Höhe treibt. Doch selbst wenn das Plansoll erreicht würde, reichte es bei weitem nicht aus, um die Lücke des Atomstroms zu schliessen.

Deshalb soll gespart werden. Trotz wachsender Wirtschaft und Bevölkerung soll der Energieverbrauch innert vierzig Jahren halbiert werden. Der Stromverbrauch soll – bei gleichzeitigem Ersatz von Erdöl und Erdgas durch Elektrizität – um zehn Prozent sinken. In der Theorie ist alles möglich. Tatsache ist: Obwohl das Energiesparen seit vier Jahrzehnten über alle Kanäle propagiert wird und obwohl der Konsum gemäss Plansoll schon lange sinken müsste, ist er in Wirklichkeit stetig gestiegen. Konkret stieg der Gesamtenergiebedarf letztes Jahr um 2,5 Prozent, beim Strom betrug die Zunahme 0,6 Prozent. Lediglich in Krisenzeiten sinkt der Bedarf jeweils leicht, doch bislang hat noch niemand ernsthaft die Forderung aufgestellt, zwecks Energiesparens eine Rezession herbeizuführen.
Wissenschaftler der ETH haben errechnet, dass die Energiestrategie technisch durchführbar ist. Auf dem Papier ist alles möglich – aber zu welchem Preis? Und mit welchen Folgen für die Verbraucher, die Wirtschaft und die Umwelt? Es hat den Anschein, dass diejenigen das Absurde der «Energiestrategie 2050» leichter erkennen, die nicht an einer Universität studiert haben (sie vertrauen eher dem gesunden Menschenverstand). Und selbstverständlich ­alle, die nicht vom Staat gefördert werden (sie müssen die Zeche bezahlen).

Die deutschen Konsumenten zahlten letztes Jahr rund 21 Milliarden Euro für Ökostrom – und bekamen dafür Energie im Wert von zwei Milliarden Euro. Man kann im Moment nur beten, dass die Schweiz diesen Wahnsinn nicht wiederholt.

Lukas Weber ist Elektroingenieur ETH und hat zum Thema Energieverbrauch promoviert. Er arbeitete beim Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) und publiziert über Energiefragen.
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Anmerkung EIKE-Redaktion :
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in WELTWOCHE Zürich:
© Die Weltwoche; 09.10.2014; Ausgabe-Nr. 41; Seite 45   /   http://www.weltwoche.ch/
EIKE dankt der Redaktion der WELTWOCHE für die Gestattung des ungekürzten Nachdrucks.
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PDF zum Download unten
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Welche Blüten der Subventions-Wahn bei "Grünen Energien" nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo treibt, das ist z.B. auch hier in der WELTWOCHE zu lesen:

Das Solardebakel von Calasparra

Von Alex Baur
Für 180 Millionen Franken liessen Schweizer Stromversorger das Solarkraftwerk Puerto Errado nahe dem ­spanischen Murcia bauen. Bei ihrem Meisterwerk unterschätzten sie die Launen der spanischen Sonne und Politiker. Ein Augenschein vor Ort.
http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2014-10/das-solardebakel-von-calasparra-die-weltwoche-ausgabe-102014.html
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